Home Prosa Aus dem Hinterhof der Seele
21.04.2005, © Vivienne
Ich halt’s nicht mehr aus…
Margit knallte die Tür hinter sich zu.
Ihr könnt mich alle.
Lasst mich einfach in Ruh!
Die letzten Worte erstickten in Schluchzen.
Sie schlüpfte in ihre Stiefletten.
Nahm die Jacke.
Und lief hinaus.
Hinaus in die junge Nacht.
Ernst Millöcker blickte seine Frau verwirrt an.
Was ist los?
Elisa Millöcker zuckte die Achseln.
Ich weiß nicht.
Es stimmt schon länger etwas nicht mit ihr.
Ihr Blick fing sich im Fenster.
Wenn ich es wüsste
!
Aber auf der Uni passt alles.
Ich habe neulich mit Professor Schmidt gesprochen.
Er ist sehr zufrieden.
Sie drehte sich unvermittelt zu ihrem Mann um.
Ob sie doch wegen Rainer Hinsch so fahrig ist?
Du weißt doch, ihrem Studienkollegen
?
Margit saß im Bus stadteinwärts.
Sie fror.
Es war nass und kalt draußen.
Sie wusste auch nicht wohin sie überhaupt fuhr.
Kein Ziel
Margit wischte wieder eine Träne aus dem Auge.
Kuschelte sich in ihre dünne Jacke.
Wieder musste sie an den Streit mit ihren Eltern denken.
Ihr Vater.
Wie unglaublich unsensibel!
Na, wann nimmst du ihn den Mal mit?
Deinen jungen Freund?
Diesen Rainer?
So heißt er doch?
Hundert Mal hatte sie ihren Eltern erklärt.
Rainer und ich – wir sind nur Freunde.
Wir arbeiten an der Uni an gemeinsamen Projekten.
Und wir sind befreundet.
Aber nicht mehr
Hundert Mal fast dieselben Sätze.
Geringfügig verändert.
Hundert mal hatte sie gute Miene gemacht zum bösen Spiel.
Wenn ihr Vater wieder witzig sein wollte.
Margit Hinsch.
Das klingt doch hübsch, oder?
Was hält ihr davon?
Margit ballte ihre kleinen Hände zu Fäusten.
In Erinnerung
Ernst Millöcker blickte auf die Uhr.
Es ist fast Mitternacht.
Sollten wir nicht die Polizei anrufen?
Elisa legte den Hörer des Telefons wieder auf.
Zum dritten Mal hatte sie versucht ihre Tochter anzurufen.
Auf dem Handy.
Und immer war es abgeschaltet gewesen.
Vielleicht ist auch nur der Akku leer.
Elisa versucht sich Mut zu machen.
Sie blickte ihren Mann zaghaft an.
Ich glaube nicht, dass die Polizei etwas unternimmt.
Sie ist erst vor gut drei Stunden weg.
Außerdem kann sie bei einer Freundin übernachten.
Man würde uns nicht ernst nehmen
Sie fühlte sich plötzlich sehr müde.
Und setzte sich an den Tisch.
Ihre Hände umklammerte eine Tasse Tee.
Ihr Mann trat hinter sie.
Legte die Hand auf ihre Schulter.
Sie ist uns entglitten, nicht wahr?
Wir haben geglaubt, alle richtig gemacht zu haben.
Bei ihrer Erziehung.
Mit einer Vertrauensbasis.
Und plötzlich stellen wir fest.
Sie ist nicht mehr offen zu uns.
Sie redet nicht mehr so frei wie früher.
Dabei hat sie Probleme.
Probleme von denen wir keine Ahnung haben.
Seine Frau begann krampfhaft zu schluchzen.
Margit stieg im Zentrum aus.
Schlenderte durch die Straßen.
Es regnete wieder stärker.
Aber sie hatte keine Lust sich in ein Lokal zu setzen.
Überall hätte sie Rainer über den Weg laufen können.
Überall
Sie lächelte wehmütig.
Die Erinnerung schmerzte sehr.
Was für ein hinreißender Bursch!
Eher klein gewachsen zwar.
Aber richtig süß.
Sie hatte gewusst, dass sie ihn mochte.
Fast sofort.
Sie waren ein Team.
Vom ersten Augenblick an.
Sie konnte mit ihm reden.
Ganze Nächte hatten sie philosophiert.
Diskutiert.
Es war ihr nicht einmal gleich aufgefallen.
Wie verliebt sie war.
Sie hatte nur immer automatisch seine Nähe gesucht.
Wie ein Reflex.
Margit konnte die Tränen nicht unterdrücken.
Es war so seltsam gewesen.
In jener Nacht bei ihm.
Mit all den Erwartungen.
Und einem Kondom in der Tasche.
Für alle Fälle.
Aber er wich zurück.
Als sie ihn küsste.
Fast wie ein Schlag.
Mitten ins Gesicht.
Er liebte sie nicht.
Offensichtlich.
Aber er erklärte ihr auch nicht warum.
Nicht mit einem Wort.
Und so hatte sie auch geschwiegen.
Vor allem aus Angst.
War er schwul?
Gehörte er zu einem anderen Mädchen?
Rainer verlor kein Wort darüber.
Und sie trafen sich weiter.
Erwähnten diese Nacht nicht wieder.
Nach außen hin schien alles unverändert.
Niemand hätte einen Unterschied festgestellt.
Aber Margit fraß den Kummer in sich hinein.
Der sich ausbreitete wie ein Geschwür
Ernst Millöcker diskutierte mit einem Polizisten.
sie war so aufgebracht.
So war sie noch nie!
Nein.
Auf der Uni gibt es keine Probleme.
Sie nimmt keine Drogen.
Sie ist überhaupt sehr verlässlich.
Warum wollen Sie nichts unternehmen?
Millöcker legte aufgebracht auf.
Du hattest Recht.
Mein Anruf war sinnlos.
Er sah seine Frau verzagt an.
Ich mache mir solche Sorgen um sie!
Seine Frau tupfte mit dem Taschentuch ihre Augen.
Vergeblich.
Die Tränen kamen immer wieder.
Sie konnte nicht sprechen.
Sie fühlte sich so ohnmächtig.
Elisa lehnte sich gegen das Fenster.
Schloss die Augen.
Margit schlenderte die Donau entlang.
Das Wasser schien unfreundlich.
Grau.
Sie blieb stehen.
Starrte in den Fluss.
Begann, kleine Steine ins Wasser zu werfen.
Dann immer größere.
Margit nahm, was sie fand.
Hauptsache schwer.
Wasserspritzer trafen sie.
Immer öfter.
Sie wurde langsam nass.
Dann hielt sie inne.
Nichts mehr zum Werfen da?
Sie sah sich wieder um.
Dann blickte sie wieder ins Wasser.
Sie beugte sich nach unten
Vivienne
Redakteure stellen sich vor: Vivienne
Alle Beiträge von Vivienne