Natascha lag im Bett.
Der Wecker würde gleich läuten.
Das wusste sie.
Aber sie konnte sich nicht aufraffen.
Nicht aufstehen.
Sich duschen und anziehen.
Vor einer Stunde war Karl gefahren.
Er hatte sie zärtlich angelacht.
Umarmt.
Und dann geküsst.
Ich liebe dich.
Du bist mein Fels in der Brandung…
Wunderschöne Worte.
Am Anfang war sie noch dahin geschmolzen.
Bei diesen oder ähnlichen Phrasen.
Aber jetzt?
Über ein Jahr ging das nun.
Ihr „schlampiges Verhältnis“ zu Karl.
Karl.
Ihr Geliebter.
Der verheiratet war.
Drei Kinder mit seiner Frau großzog.
Und ihr jedes Mal wieder schwor.
Ich liebe dich…
Nie hätte sie gedacht.
Dass ihr einmal so etwas passieren würde.
Verheiratete Männer waren immer tabu für sie gewesen.
Auch fix liierte.
Nicht einmal auf banale Flirts ließ sie sich normalerweise ein.
Ich bin stark.
Ich weiß, was ich will.
Und ich gebe mich nicht mit Halbheiten zufrieden…
Große Worte einer selbstbewussten Frau.
Seit drei Jahren geschieden.
Und immer auf der Suche nach der großen Liebe.
Sie war nicht immer einfach.
Ungebundene Männer gab es wenig.
Vor allem keine, die sie wollte.
Männer, die sich bei ihr breit machen wollten.
Auf ihre Kosten zu leben versuchten.
Die sie zu beherrschen versuchten.
Oder sonst unmöglich waren.
Sie gab es zuhauf.
Und sie war sie alle losgeworden.
So was hatte sie nicht not.
In keinster Weise.
Bis sie an einem Wochenende Karl in die Arme gelaufen war.
Im wahrsten Sinn des Wortes.
Sie hatte die Bar gerade verlassen wollen…
Karl hatte sie eingeladen.
Auf den Schreck hin…
Seine dunklen Augen hatten sie von Anfang an fasziniert.
Karl war Außendienstmitarbeiter.
Die ganze Woche zwischen Linz und Salzburg unterwegs.
Von seiner Familie hatte er nichts erzählt.
Aber dafür, dass er nicht glücklich war.
Seinem Leben noch einmal einen neuen Sinn geben wollte.
Jetzt.
Mit dreiundvierzig Jahren…
Frühmorgens waren sie auseinander gegangen.
Es war nichts passiert.
Nicht einmal ein Kuss.
Aber Natascha hatte gemerkt.
Sie hatte sich verliebt.
Und sie wollte ihn wiedersehen…
Eigentlich.
Aber sie hatte kein Wort darüber verloren.
Bis er ein paar Wochen später vor ihrer Tür stand.
Völlig unerwartet.
Keine Ahnung, wie er sie gefunden hatte.
Sie war ihm wortlos in die Arme gefallen.
Minuten später hatten sie sich schon auf ihrer Couch gewälzt.
Sich geliebt.
Tief und leidenschaftlich.
Zwei Menschen, die sich brauchten.
Wie ein Stück Brot…
Erst nach und nach war Karl mit der Wahrheit herausgerückt.
Hatte von seiner Frau und den Kindern gebeichtet.
Ein Schock.
Natascha hatte nicht mehr zurückgekonnt.
Als er zugegeben hatte.
Ich kann sie nicht verlassen.
Das geht finanziell nicht.
Du willst doch nicht, dass ich auf deiner Tasche liege…
Natascha hatte so manches begriffen.
Nach und nach.
Wie schnell man als Frau in eine derartige Situation kommen konnte.
Früher hatte sie Zweitfrauen verachtet.
Für ihre Dummheit.
Und Inkonsequenz.
Ein glatter Schnitt!
Ihre Worte.
Nun war sie selber nicht dazu fähig.
Und durchlebte ein Jahr schon die Abgründe.
Sie war fahrig geworden.
Litt oft an Schlafstörungen.
Und ihr Magen schmerzte immer wieder.
Ganz ohne Grund.
Die Beziehung machte sie kaputt…
Sie merkte es fast ständig.
Ob Karl sie liebte?
Sie fragte sich das oft.
Und hatte keine Antwort dafür.
Mag sein.
Mag nicht.
Auf jeden Fall gehörte sie, Natascha, zu den Freiräumen.
Die er sich selber zugestand.
In seiner unbefriedigenden Ehe.
Im Grunde ging es nur darum, ob sie da mitmachte.
Ob sie sich ausnutzen ließ oder nicht.
Und bisher hatte sie nicht die Kraft gehabt ihn wegzuschicken…
Der Wecker riss sie schrill aus ihren Gedanken.
Sie sprang aus dem Bett.
Lief ins Bad.
Nach dem Duschen stand sie lange vor dem Spiegel.
Sie sah alt aus.
Alt und unglücklich.
Fast versteinert.
Dabei war sie erst siebenunddreißig…
Was hatte sie sich immer jung gefühlt!
Lebendig.
Spritzig.
Nun begann sie zu verwelken…
Vivienne