Lisa zerknüllte ein Papiertaschentuch in ihrer Hand.
Ein paar Tränen flossen über ihre Wange.
Nein.
Sie konnte es nicht glauben.
Noch immer nicht.
Karstens Worte hallten noch immer in unseren Ohren.
Unsere Beziehung ist an einem toten Punkt.
Das weißt du selber.
Lass uns Auszeit nehmen.
Zwei, drei Monate.
Dann sehen wir weiter.
Aber so kann es nicht weitergehen…
Wahre Worte?
Lisa schluchzte verhalten.
Sie wusste was getuschelt wurde in der Arbeit.
In seiner Abteilung.
Immerhin war Karstens rechte Hand ihre beste Freundin.
Er hat ein Auge geworfen auf die neue Schreibkraft.
Carola Schneider.
Er verbringt fast alle Pausen mit ihr…
War das fair?
Zehn Jahre war sie mit Karsten beisammen.
Hatte sich jeden Kinderwunsch verbeten.
Weil Karsten keine Kinder wollte.
Nicht jetzt.
Zehn Jahre.
Die nicht spurlos an ihr vorübergegangen waren.
Kleine Fältchen um die Augen.
Blaue Ringe.
Morgens waren oft ihre Lider richtig geschwollen.
Ihr Busen war nicht mehr so straff.
Und auch bei 53 Kilo ein wenig Zellulitis…
Lisas Kopf sank auf die Brust.
Sie wollte aufschreien.
Ihre besten Jahre hatte sie Karsten geopfert.
Ihre besten und schönsten Jahre.
Es ging nicht nur um die verlorenen Jahre.
Weggewischt.
Weil ihm eine andere, jüngere besser gefiel.
Nein.
Wer würde sie noch ansehen?
Welcher Mann konnte sich noch für sie interessieren?
Zehn Jahre hatte sie nur für Karsten gelebt.
Jetzt war sie fünfunddreißig.
Singlefrauen wie sie gab es zuhauf…
Das Handy läutete.
Karsten mit dem Firmenhandy.
Sie ließ es klingeln.
Warum noch Rücksicht nehmen?
Warum fair sein?
War er denn fair????
Sie erschrak.
Als sie den Hass in sich spürte.
Körperlich.
Wie er sich in ihr manifestierte.
Als eine Stimme, die sie nicht zum Schweigen bringen konnte.
Ein zweites ich…
Mit zitternden Händen trat Lisa wieder vor den Spiegel.
Vernichtet die Spuren von den Tränen.
Trug Farbe auf.
Farbe, die ihre Seele Lügen strafte.
Jeder musste sehen, was sie fühlte.
Durch welche Hölle sie ging…
Auf dem Weg zur Arbeit läutet das Handy wieder.
Lisa warf Karsten aus der Leitung.
Mit einer Aggressivität, die sie nicht an sich kannte.
Nicht vorher.
Natürlich hatte sie viel schlucken müssen.
In der Beziehung mit Karsten.
Ihre Hobbys aufgeben müssen.
Nach und nach.
Weil das alles Karsten nicht passte.
Singen?
Ist doch lächerlich?
Hast du nichts Besseres zu tun?
Auch viele Freunde waren ihr abhanden gekommen.
Freunde, die sie brauchen hätte können.
Vor allem jetzt.
Trennung auf Probe.
Ja.
Sie wusste genau, was das hieß.
Zwischen den Zeilen.
Ich ziehe zu ihr.
Probiere es mit ihr.
Und wenn es passt…
Wie unglaublich demütigend.
Sie würde isoliert sein.
Ganz schnell.
Und ihren Kummer weiter hineinfressen.
Wie all die Jahre zuvor.
Als er das ausgelöscht hatte.
Was gut und schön in ihr gewesen war.
Ihre Lebensfreude…
Das Handy läutete das dritte Mal.
Lisa nahm es schon nicht mehr wahr.
Sie konzentrierte sich auf den Verkehr.
Als sie aus dem Auto stieg.
Und die Straße überquerte.
Das Leben ist nicht fair.
Karsten würde sie abservieren.
Und wollte ihr auch noch den schwarzen Peter dafür zuschieben.
Sie ist so kalt.
Fast eisig.
Wir haben ja kein Liebesleben mehr…
Ihre Freundin hatte ihr das zugetragen.
Karsten hatte es schon länger in der Arbeit erzählt.
Und immer wieder.
Karsten beklagte sich über sie.
Und ihre zunehmende Unlust.
Es stimmte.
Sie hatten lange nicht miteinander geschlafen.
Nachdem er sie zur Abtreibung gezwungen hatte.
Seither hatte sie kein Begehren mehr verspürt.
Auf ihn.
Oder sonst jemand.
Sie hatte nur mehr an das Kleine denken müssen.
Auf dass sie sich gefreut hätte…
Ein Kind?
Bist du wahnsinnig?
Wie konnte dir das passieren?
Natürlich sie.
Ihr Fehler.
Wer sonst?
Lisa blieb unvermittelt stehen.
Tränen standen in ihren Augen.
Sie war an allem Schuld.
Auch wenn es in der Arbeit nicht lief.
Ließ er sie das immer spüren.
Sie war sein Prellbock gewesen.
Zehn lange Jahre lang…
Lisa setzte wieder einen Schritt.
Langsam.
Vielleicht war es doch gut, wenn er ging.
Wieder all das tun.
Das ihr früher Spaß gemacht hatte.
Und wer weiß…
Vielleicht lief ihr sogar ein Mann über den Weg.
Der nicht all das wieder zu ersticken versuchte.
Das in ihr blühte…
Lisa schluckte.
Presste die Augen aufeinander.
Dann betrat sie energisch die Firma…
Vivienne