Rote Haare waren den größten Teil meines Lebens mein Markenzeichen, liebe Leser. Zuerst in langen Zöpfen gebändigt, dann in einer Dauerwelle ins rechte Licht gerückt – rothaarig zu sein gehörte zu meiner Lebensphilosophie und zu meinem Temperament… Dafür half ich bisweilen auch mit rötlichen Tönungen nach um den Schimmer zu betonen. Auch als die Mähne einem Kurzhaarschnitt wich, leuchteten die Haare weiter rot… Die rote Vivienne – das hatte auch etwas mit meinem politischen Bekenntnis zu tun, das passte einfach zu mir. Und als ich altersmäßig gegen Vierzig ging und feststellen musste, dass die Haare immer dunkler und immer weniger rot waren, machte mich das betroffen…
Mittlerweile war ich in einer Firma im Zentrum von Linz gelandet. Ich pflegte meinen Kurzhaarschnitt und obwohl ich eigentlich stolz und froh sein hätte müssen, dass ich im Gegensatz zu vielen Altersgenossinnen keine grauen Haare hatte, war ich sehr unzufrieden. Ich begann mir Blondierungen zu kaufen, die ich die halbe Zeit einwirken ließ, um die Frisur wieder rot zu färben. Das gelang ganz gut, setzte aber ein gewisses Fingerspitzengefühl voraus. Aber ich passte immer auf – bis eines Samstags mein Schwager anrief, als ich die Haare gerade voller Präparat hatte. Wir verplauderten uns und plötzlich lag ich eine halbe Stunde über der geplanten Einwirkzeit.
Ich wusch mir die Haare sofort, aber der Blick in den Spiegel machte mich nicht mehr glücklich – blond wie eine Semmel… Lange regte ich mich nicht darüber auf. Ich zuckte die Schultern und wollte das Malheur bald ausbügeln, beim nächsten Haare färben… Montags kam ich in die Arbeit und erntete die ganze Missbilligung des damaligen Vorgesetzten. Der Mann hatte mich während des gesamten Dienstverhältnisses unter seiner Fuchtel nicht leiden können. Halbwegs freundlich war er nur gewesen, solange ich ein freundschaftliches Verhältnis zu einer Kollegin pflegte, die seine Geliebte gewesen war und ihn privat mit ihren Blowjobs verwöhnte.
Warum ihn meine blonde Mähne so störte, kann ich nur vermuten. Im Grunde, möchte ich sagen, geht einen Vorgesetzten die Haarfarbe einer Mitarbeiterin gar nichts an. Außer man befindet sich im persönlichen Kundenkontakt. Das traf aber in diesem Fall bestimmt nicht zu. Die unverhohlene Antipathie, die der Vorgesetzte mir entgegenbrachte, beruhte auf Gegenseitigkeit. Als mir bewusst wurde, wie sehr ihn mein neuer Blondschopf störte, beschloss ich, diesen Blondschopf zu meinem neuen Markenzeichen zu machen. Natürlich bedeutete das auch eine ziemliche Umgewöhnung. Aber ich freundete mich schließlich mit den hellen Locken an.
Einmal passierte mir ein Missgeschick mit der Haarfarbe. Sie war billig und hellte die Haare nicht auf, sie bekamen sogar einen leicht bräunlichen Farbton. Der Chef war sich nicht zu blöd mich an dem Tag in sein Büro zu holen und mich zu loben für meine wunderschöne Haarfarbe, die mir so gut passte. Ich wartete nach dieser missglückten Aufhellung genau zwei Wochen, dann schlug ich mit der Chemiekeule wuchtig zurück. Der Vorgesetzte muss mich daraufhin gehasst haben wie die Pest. Er begann verstärkt seinen Sadismus an mir auszuleben. Die Situation in der Firma hatte sich verändert: gekürzte Arbeitszeiten, die Abteilung stark dezimiert und wir Mitarbeiter am Schleuderstuhl.
Mir selbst war übel mitgespielt worden, ich kämpfte um meine Existenz. In dieser Situation hatte ich durch meine blonden Haare eine Möglichkeit in die Hand gespielt bekommen, die mir half dem Chef zu widersprechen. Demütigungen, Erniedrigungen und diverse Bösartigkeiten durch ihn standen an der Tagesordnung. Aber – an meinen blonden Haaren scheiterte der Vorgesetzte. Ein lebendiger Beweis, dass ich blieb, wer ich war. Vor fast zweieinhalb Jahren verließ ich die Firma. Hinter mir die Sintflut! Nach weiteren Rochaden hätte wieder nur ein Teilzeitjob auf mich gewartet… Der Weggang fiel mir entsprechend leicht…
Die Haare färbte ich auch in der neuen Firma weiter blond. Blond war mein neues Selbstverständnis geworden, auch wenn ich oft färben musste: meine dunklen Haare drängten ständig nach. Ich hinterfragte das Ganz aber nicht, bis sich mir neulich beim Blondieren ein Stoßseufzer entrang – ich wollte nicht mehr… eine Stunde Farbe einwirken lassen, den heftigen Geruch der Farbe einatmen… Warum auch? Der Protest hatte seinen Zweck verloren… Die alte Firma tangierte mich nicht mehr und wo der frühere Vorgesetzte, der gekündigt worden war, mittlerweile sein Geld verdiente, interessierte mich nicht im Geringsten. Auf jeden Fall war er weit weg…
Ich vertraute mich Peter in dieser haarigen Angelegenheit an. Er bekräftigte mich darin, das zu tun, was ich für richtig halte.
Darum, liebe Leser, werden in den kommenden Monaten meine Haare nach und nach braun werden. Gegen den früheren Chef muss ich schließlich nicht mehr in Opposition gehen…
Mal sehen, wie lange mir diese Haarfarbe gefällt.
Vivienne