Albert, mein Mann, strich sich ein Butterbrot und verteilte ein wenig Extrawurst und Gurkerl darauf. Er biß herzhaft hinein und stellte mit der Fernbedienuung die Sportübertragung, das Champions League Finale, lauter. „Ich hoffe so auf Inter Mailand, Vivi, mein Schatz. Komm, schau doch. Wir führen 1:0!“ Ich seufzte möglichst laut und gekünstelt und mit gestellt vorwurfsvollem Blick auf Ali und stellte den Staubsauger zurück in die Nische im Schlafzimmer. Alles nur Koketterie, im Grunde war es mir egal, wenn Albert Fußball schaute. Ich hatte auch nichts dagegen, wenn die Bayern verloren, aber es war mir nicht wichtig. Wichtig war mir, dass es wieder sauber war und dass Albert nicht ernsthaft verlangte, dass ich mir das Spiel ansah. Trotzdem setzte ich mich zu ihm und schenkte ihm eine Cola ein während ich den obligaten Kaffee schlürfte…
„Halbzeit!“ Ali stand triumphierend auf, als wäre er der Trainer der Italiener. „Wir führen!“ Ich grinste und stellte das Fernsehgerät leiser. „Schade, dass es wieder regnet. Ein Abend in einem Gastgarten wäre mir lieber als alle deine Champions League Matches.“ Ali lachte. „Da würdest du wohl Gummistiefel brauchen. Bei dem Regen…“ Er setzte sich wieder zu mir. „Da war doch neulich was in der Arbeit… die Frau Pfeifer. Die Teilzeitkraft im Geschäft.“ Albert kicherte. „Die kam doch schon öfter in bunten Gummistiefeln in die Arbeit.“ Ich zog die Brauen hoch. Wollte mich Ali aufziehen? Aber mein Mann schüttelte den Kopf. „Ehrlich, sie kam in bunten Gummistiefeln. Ich habe das einmal auf MTV gesehen, da war eine verrückte Moderatorin damit gestylt. Sah schrecklich aus, wenn du mich fragst, und die Frau Pfeifer stiefelte herein wie bei einem Casting für „Bauer sucht Frau!“ Nun musste ich kichern. „Aber wieso trägt sie Gummistiefel? Das ist doch lächerlich!“
Albert räusperte sich. „Die Frau Pfeifer ist sich sehr cool vorgekommen mit ihren Gummistiefeln. Sie hat es nicht einmal gemerkt, wenn die Kunden sie deswegen aufgezogen haben. Sie hielt das für Bewunderung.“ Nun lachte ich nicht mehr. „Das ist doch total schräg! Wie alt ist denn die Frau Pfeifer? Ich meine, wenn ein junges Mädchen solche Gummistiefel trägt, weil es glaubt, das wäre total angesagt, dann ist das einfach eine gewisse Unerfahrenheit und Dummheit. Aber die Frau Pfeifer ist doch sicher schon älter, oder?“ Ali nickte. „Richtig, Vivi. Die Frau Pfeifer ist über dreißig, aber anscheinend hat sie daheim auch öfter MTV laufen. Und sie steht auf diese verrückten Stiefel. Frag mich nicht warum, die ist wahrscheinlich in der Pubertät hängen geblieben. Oder sie meint, sie müsste etwas aus ihrer Jugend nachholen… Wer weiß!“
Albert stand auf und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. „Geht gleich weiter, ich hoffe, wir bringen es über die Zeit. Die Bayern sind brandgefährlich, die drehen viele Matches oft innerhalb von Minuten wieder um.“ Ich grübelte noch über die seltsame Frau Pfeifer und ihre Gummistiefel. Wirklich merkwürdig, dass eine Frau in diesem Alter sich wie ein verhinderter Teenager verhielt. Also stieß ich Albert an. „Hat da niemand was gesagt bei euch in der Arbeit, wenn diese Frau Pfeifer ihre schrägen Gummistiefel trug?“ Albert schmunzelte über meine Neugierde. Er nahm einen Schluck vom Bier, dann ergriff er die Fernbedienung und stellte wieder lauter. Das wichtigste Match des Jahres – bis zur Weltmeisterschaft zumindest – ging weiter. „Was ich weiß, hat Rossecker, unser Chef, zuerst nichts gesagt. Er hat etwas verdattert geblickt, das hat man mir erzählt, aber kein Wort darüber verloren… Noch nicht.“
Minuten verfolgte er begeistert das Spiel und hatte mich und meine Frage, so schien es, völlig vergessen. Schließlich legte ich ihm die Hand auf die Schulter. „Wann hat er dann etwas gesagt?“ Albert blickte mich einen Moment etwas ungehalten an. Dann lachte er und meinte resignierend. „Du gibst ja doch keine Ruhe, oder? Also bevor ich ein wichtiges Tor versäume oder eine spielentscheidende Wendung…“ Er wandte sich konzentriert an mich. „Ein paar Tage hat er nichts gesagt, der Rossecker. Aber dann wurde das Regenwetter immer stärker. Und stell dir vor, die Pfeifer hat dann die nassen Gummistiefel ausgezogen und zum Trocknen an ein Fenster im Geschäft gestellt. Sah nicht sehr dekorativ aus. Selber ist sie barfuß herumgelaufen. Bis die Stiefel wieder trocken waren.“ Mir blieb der Mund offen. „Tatsache?“ Albert nickte. „Es hat erbärmlich ausgesehen. Das hat übrigens auch der Rossecker gefunden.“
Ein Pfiff auf dem Spielfeld entriss mir für einen Moment die Aufmerksamkeit meines Mannes, aber er vergaß nicht auf mich. „Nun, der Rossecker hat daraufhin der Pfeifer gesagt, dass das nicht geht. Die stinkigen Gummistiefel hätten im Geschäft nichts verloren sondern nur im Aufenthaltsraum. Und sie solle lieber Hausschuhe im Geschäft tragen, allgemein wäre ihm das lieber als diese Gummistiefel in den schreienden Farben.“ Ich blickte Ali neugierig an. „Und? Das war es doch noch nicht!“ „Du hast recht!“ lachte mein Mann. „Das war es noch nicht. Die Pfeifer dachte nämlich im Traum nicht daran, der Anordnung unseres Geschäftsführers Folge zu leisten. Die Stiefel standen weiter im Geschäft zum Trocknen und sie lief barfuß herum und bediente die Kunden. Schließlich wurde es Rossecker zu bunt und er ließ die Pfeifer wissen, dass sie sich beim nächsten mal eine neue Arbeit suchen könne. Und dann gab sie endlich widerwillig aber doch nach…“ Albert nickte und jubelte in der nächsten Minute über das 2:0 der Mailänder…
Vivienne/Gedankensplitter