KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne – November 2003
…im Regen stehen gelassen
Haben Sie, liebe Leser, gestern vielleicht zufällig Thema gesehen? Neben organisierten Diebsbanden aus dem Osten, die in Wien binnen weniger Minuten scheinbar gesicherte Juwelierläden ausräumen oder einem Halbschuh-Alpinisten, der sozusagen in letzter Sekunde vor dem Erfrierungstod gerettet werden konnte, war wieder das Schicksal jenes jungen Mannes Thema, der schon vor einigen Wochen im Mittelpunkt der Sendung stand: Der bisher unbescholtene Mann war fälschlich der Vergewaltigung eines jungen Mädchens beschuldigt worden, sein Fahndungsfoto ging durch alle Medien, vermeintliche Zeugen identifizierten ihn eindeutig und trotzdem erwies sich diese Hetzjagd als folgenschwerer Irrtum der Behörden.
Der wahre Täter, mittlerweile auch endlich gefasst und eingesperrt, wurde durch DNA-Tests eindeutig überführt. Rechtlich gesehen gibt es nicht den geringsten Zweifel an der Unschuld des angeblichen Kinderschänders. Aber sein persönlicher Albtraum ist noch nicht vorbei, erst kürzlich wurde er von Skinheads, zu denen die Kunde vom wahren Sex-Täter noch nicht durchgedrungen sein dürfte, überfallen und verprügelt. Nicht nur die physischen Wunden des Mannes sind tief, hieß es dazu im Thema. Ohne Rauch kein Feuer, meinen anscheinend noch immer zu viele, sonst wäre es wohl nicht möglich, dass dieser Mann, das Opfer einer verhängnisvollen Kette an Fehleinschätzungen, noch immer nicht wirklich rehabilitiert ist. Und natürlich wie sollte es denn anders sein in so einer Situation denken die Verantwortlichen nicht im Traum daran sich zu entschuldigen.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese oder eine verwandte Thematik in den Mittelpunkt meiner Kolumne gestellt habe. Und immer wieder zerbreche ich mir auch den Kopf darüber, was das für Menschen sind, die einen anderen zuerst verdächtigen (was ja durchaus passieren kann) und einsperren (geschehen so in einer Reihe von anderen Fällen) und dann, wenn sich überraschend aber unaufhaltsam die Fakten und Schlussfolgerungen als irrig herausstellen, jede Verantwortung von sich weisen. Wir konnten aufgrund der Beweislage von nichts anderem ausgehen. Schön, das Statement kann sich der unschuldig Verdächtigte dann in die Haare schmieren, denn der Anspruch auf zumindest finanzielle Entschädigungen wird in derartigen Fällen auch hintertrieben, so gut als möglich. Am liebsten, indem man dem Betroffenen zumindest eine Teilschuld an der voreiligen Verfolgungsjagd anzulasten versucht.
Wie kann man in solchen Fällen die (männlichen wie weiblichen) Verantwortlichen also am besten charakterisieren? Wohl am deutlichsten damit, dass ihnen jedes Rückgrad fehlt. Jenes Rückgrad, das zumindest einen Normalsterblichen im Falle einer gewaltigen Fehleinschätzung sagen lässt: Mea Culpa, meine Schuld. Jene Herrschaften brauchen das allerdings nicht, denn wer von eigenen Gnaden unfehlbar ist, streicht automatisch das Wort Es tut mir leid aus dem Sprachschatz. Es ist in der Karriere und im beruflichen Fortkommen nur hinderlich, und wer keine Fehler zugibt, kann zumindest nach außen hin so tun, als hätte er/sie diese nie verbrochen. Und wenn man dann doch die Möglichkeit zu einem Gespräch mit seinem Opfer einräumt so gesehen gestern im Thema- dann sicher nicht, um Verzeihung zu erbitten.
Präpotenz charakterisiert sich so, und natürlich Selbstgerechtigkeit. Ganz klar, ich verstehe genau, im Grunde haben es diese Leute nur gut gemeint. Sie waren aufgebracht, wie die ganze Bevölkerung, dass ein Kind von einem brutalen, kranken Kerl vergewaltigt worden ist. Da war es unumgänglich nötig, schnell zu handeln um diese Bestie zu ergreifen, von weiteren Schandtaten abzuhalten. Und nicht das erste Mal auf die Gefahr hin, den falschen Mann zu verhaften und ihm bitteres Unrecht zuzufügen. Wie kann ich auch nur die Situation so einseitig betrachten: was weiß ich denn schon, welcher Druck in der Öffentlichkeit und durch die Medien auf den Verantwortlichen lastete? So groß nämlich, dass man dem Opfer, dem kleinen Mädel, sogar suggerierte, es habe sich geirrt, als es den vermeintlichen Triebtäter auf einem Foto nicht als seinen Vergewaltiger erkannte…
Eine Lüge ist wie ein Schneeball… sagt Martin Luther, ein folgenschwerer Irrtum ist es auch. Eine falsche Schlussfolgerung folgt der anderen, eine Hatzjagd wie mit Bluthunden wird auf den verzweifelten Mann veranstaltet, bis dieser zwar gefasst aber auch die Jäger in einer Sackgasse stehen. Sie sind der falschen Fährte gefolgt, der tollwütige Fuchs erwies sich als verschreckter Hauskater. Die DNA-Proben kann man schließlich nicht anfechten. Ein reiner Glücksfall, dass der wahre Kinderschänder schließlich doch ergriffen werden konnte. Immerhin wäre es ihm fast gelungen, die Verschnaufpause, die er durch die Suche nach dem anderen Mann genießen durfte, seine Spuren zu verwischen. Und hätte in der Folge noch mehr Kinder, noch mehr Mädchen vergewaltigen können,… man möchte den Gedanken gar nicht weiterspinnen.
Der Fall ist geklärt und natürlich gibt es keine Schuldigen in diesem Spektakel (außer dem gefassten Triebtäter natürlich), aber ein zweites Opfer neben dem vergewaltigten Mädchen. Ob dieser Mann, der über Wochen als Kinderschänder gejagt wurde, je über dieses erlittene Unrecht und die Demütigungen hinwegkommen wird, halte ich im momentanen Fall mehr als fraglich. Er wird mit Sicherheit eine Therapie brauchen, um diese traumatischen Erlebnisse verarbeiten zu können, und selbst dann wird das Vertrauen in Österreichs Justiz, in seine Rechtssprechung, an die Gerechtigkeit für immer erschüttert sein. Die Herren (oder Damen) mit der weißen Weste haben es da vergleichbar einfach. In ihrer Position putzen sie sich die Schuhe am gemeinen Fußvolk ab und dürfen ungestraft weiter das tun, was sie bisher auch gemacht haben zum Wohle der Gesellschaft. Im schlimmsten Fall halt auch wieder einen Unschuldigen hetzen, meint
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