KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne – August 2003
Viel Lärm um nichts!
Vor bald 20 Jahren, bald nach meiner Matura, hatte es mich für einige Zeit nach Salzburg verschlagen. Ich hatte hochtrabende Pläne damals, die ich aber irgendwie in der schönen Festspielstadt aus den Augen verlor. Nach fast drei Jahren kehrte ich der Stadt wieder den Rücken. Was blieb, waren ein paar Freundschaften (wie etwa zu einer Amerikanerin, mit der ich selbst jetzt noch hin und wieder via Email verkehre) und Erinnerungen an Reisebusse mit ganzen Heerscharen von begeisterten Japanern, an hohe Preise im Cafe oder an eine beeindruckende Jedermann-Aufführung am Salzburger Residenzplatz. Leben möchte ich in der Mozartstadt nicht mehr, weil ich ohnedies kein Stadtmensch bin aber die paar Jahre dort möchte ich in gewisser Weise trotzdem nicht missen.
Unlängst wurde ich wieder in Gedanken an die Zeit in Salzburg versetzt. Die Salzburger Festspiele wurden ja eröffnet und hatten bald einen handfesten Skandal, der durch alle Medien ging. Die Gruppe Gelatin hatte im Zuge der Festspiele eine riesige Männerskulptur geschaffen: nackt und deshalb mit einem riesigen erigierten Penis ausgestattet, aus dem sinniger Weise auch noch Wasser spritzte. Der Erfolg eines Kunstwerkes ist auch immer so groß, wie das Aufsehen, das es erregt und gemessen daran hatte dieses Objekt einen großen Erfolg. Die ganzen Streitereien bis hin zur Holzverkleidung, mit der man schließlich Neugierigen, Interessenten und Entsetzten den Blick auf die schamlose Statue nahm, hatten nur die sicher nicht beabsichtigte Auswirkung, dass dieses Kunstwerk nun in jedermanns Mund war und der Skandal auch im benachbarten Ausland große Wellen schlug.
Natürlich stellt sich da zuerst die Frage: war so eine nackte Statue wirklich notwendig? Meine Antwort ist, notwendig war sie bei Gott nicht, aber nicht alles, was nicht unbedingt notwendig ist, stellt deshalb auch eine Erregung öffentlichen Ärgernisses dar. Der Aufstand um dieses Projekt der Gruppe Gelatin war zunächst einmal – oberflächlich betrachtet lächerlich, denn wie kann sich heutzutage noch jemand wegen einer nackten Männerskulptur ernsthaft aufregen? Schon von den Römern sind sehr freizügige Kunstwerke überliefert, in denen die primären Geschlechtsmerkmale eindeutig (und manchmal auch sexuelle Handlungen!) dargestellt sind. Seien Sie ehrlich, in Museen, Ausstellungen oder Vernissagen gibt es von je her sehr viel nackte Haut zu bestaunen, weil der nackte Körper von Mann oder Frau für die Künstler in allen Jahrhunderten eine große Faszination ausgeübt hat. Besuchen Sie doch einmal eine Kunstuniversität! Jedes Kind im wahrsten Sinn des Wortes weiß im Grunde schon vom Fernsehen (oder aus der Bravo, bei mir war es ja nicht anders!) wie eine nackte Frau oder ein nackter Mann aussieht. Wo liegt also das Problem?
Wirft sich die nächste Frage auf: gut, an der Nacktheit der Skulptur kann man sich nicht ernsthaft stoßen, aber kann man so ein Objekt ernsthaft als Kunst verkaufen? Meine Antwort ist: Warum nicht? An dieser Stelle könnte man wieder die alte Diskussion Was ist Kunst überhaupt beginnen? Muss Kunst schön sein, gefällig anzusehen oder schamhaft und bieder? Wenn wir ehrlich sind, auch das alles war Kunst nie oder nie allein. Mir fällt in dem Zusammenhang immer als erstes Egon Schiele ein, der zu seiner Zeit heftig angefeindet wurde, sich aber als einer der ersten getraut hat, bei seinen Arbeiten weiter als die meisten seiner Zeitgenossen zu gehen, der neue Wege beschritt, innovativ war. Gerade er wurde für seinen Mut bestraft und er konnte den späteren Erfolg seiner Werke nicht mehr miterleben. Ein typisch österreichisches Schicksal… Ich habe so meine eigene Definition von Kunst entwickelt, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte, aber dazu etwas später.
Die nächste
Überlegung in diesem Zusammenhang drängt sich auf: Wer sagt, was Kunst ist? Darf Kunst zensuriert werden, beschnitten, eingeengt? Kunst ist ein weites Feld, keine Frage, aber Kunst setzt auch immer Kreativität voraus und die Möglichkeit, seine Ideen und Vorstellungen darin zu verwirklichen. Da darf auch niemand anderer daran etwas ändern außer dem Künstler selber: es sind seine Visionen, die darin stecken. Außerdem ist ein Gemälde kein Deutschaufsatz, das z.Bsp. die Kritiker nach strengen, festen Regeln in ein Schema, in einen Rahmen pressen können: niemand bestimmt was Kunst ist. Unselige Versuche in der Vergangenheit (3. Reich), Kunst etwa in gut und entartet zu unterteilen, haben nicht nur unzählige Künstler zur Emigration gezwungen, nein, es wurden auch viele großartige Werke deshalb sinnlos vernichtet. Auf eine Wiederholung derartiger Willkür legt eigentlich kein zivilisierter Mensch wert. Die Kunst soll frei sein, sonst kann sie nicht erblühen, sonst kann sie sich nicht entfalten. Zwang oder Einschränkung töten die Kunst, so wie sie sein soll.
Daraus ergibt sich nun die Frage: woraus ergibt sich dann, was Kunst ist? An dieser Stelle möchte ich nun gerne meine eigene Definition von Kunst erläutern: Kunst ist, wenn sich ein oder mehrere fantasievolle Köpfe kraft ihrer Kreativität ein Objekt schaffen (dabei ist alles möglich) hinter dem eine Aussage steht oder mit der sie die Menschen zum Nachdenken oder Diskutieren anregen wollen. Sie sehen also: Kunst muss nicht vorrangig schön sein, sie ist das und noch viel mehr – sie hat so viele Spielarten wie es Menschen gibt, die sich damit auseinander setzen. Was der Künstler selber mit einem Werk ausdrücken möchte, muss nicht zwangsläufig für jeden, der sich das Gemälde ansieht bindend sein: der eine sieht die kraftvollen Farben, der andere die feine Pinselführung und der dritte spürt für sich eine gewisse Harmonie, die davon ausgeht und die ihn gefangen nimmt. Das ist das Schöne an der Kunst, jeder bestimmt selber, was für ihn Kunst ist das ist auch Meinungsfreiheit ohne dabei wertend zu sein. Kunst kann also gefallen oder auch nicht, aber sie steht immer für sich selbst.
Kommen wir zu unserem nackten Mann nach Salzburg zurück: mittlerweile steht er nicht mehr (im wahrsten Sinn des Wortes) und das ist schade, finde ich, den er hat mir immer ein Schmunzeln entlockt. Der ganze Medienrummel war ein Sturm im Wasserglas mit viel zu viel Tamtam wegen einer nackten Statue in zugegeben – etwas provokanter Pose. Ob nun wirklich der Bürgermeister der Stadt Salzburg deshalb so erbost über das Kunstwerk war, weil ihn womöglich angesichts einer gewissen unübersehbaren Größe Penisneid erfasst hat, wie man ihm teilweise in den Medien unterstellte, überlasse ich Ihnen und Ihren Überlegungen. Sie konnten sich in der Berichterstattung sicher ein Bild von dem Herrn machen, also lassen Sie Ihrer Fantasie ungeniert freien Lauf! Auch das ist Kunst, meint
Vivienne
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