Home Kolumnen Kritisch betrachtet
08.07.2005, © Vivienne
Verlernt, mit einander zu reden
In den letzten Tagen schockten uns wieder die aktuellen Scheidungszahlen in Österreich, die im vergangenen Jahr im Bundesschnitt wieder über zwei Prozent gestiegen sind. Fast jede zweite Ehe scheitert und wenn man die Statistik genauer studiert, wird man so manches höchst Interessante feststellen: es trennen sich nicht wenige Paare, die eigentlich schon die silberne Hochzeit überstanden haben. Selbst nach fünfzig gemeinsamen Jahren werden tatsächlich Ehen bei uns getrennt, und das gibt schon irgendwie zu denken. Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten rasant verändert und wenn ich mich selber in Augenschein nehme, habe ich mich zu einem ganz anderen Menschen entwickelt, als man vor zwanzig Jahren hätte erwarten können.
Unser Umfeld ist also in einem ständigen Wechsel begriffen, nicht jeder kann auf diese Veränderungen und Eingriffe gleich reagieren. Aber sind das alles plausible Erklärungen dafür, dass Liebe keinen Bestand mehr hat? Die meisten Menschen denken sich doch etwas dabei, wenn sie vor den Traualtar treten. Sieht man mal von jenen ab, die sich etwas überhastet in dieses Abenteuer stürzen, etwa, weil ein Kind unterwegs ist. Aber was muss passieren, dass das Versprechen, das man sich gegenseitig gegeben hat, nach relativ kurzer Zeit oft schon nichts mehr bedeutet? Trotz gemeinsamer Kinder oder einem gemeinsam geschaffenen Heim? Wie ich schon anklingen ließ: unser Leben hat sich in den letzten Jahrzehnten sehr verändert. Als meine Eltern vor über vierzig Jahren geheiratet haben, war es selbstverständlich, dass meine Mutter zu arbeiten aufhörte.
Heute undenkbar. Und während meine Mutter natürlich bei den Kindern daheim blieb, trachtet jede Frau heute, nach der Geburt der Kinder, schnellst möglich wieder arbeiten zu gehen um die Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu wahren. Um einmal einen eigenen Pensionsanspruch zu erwerben. Und um eigenes Geld ausgeben zu können, über das man dem Mann keine Rechenschaft schuldig ist. Alles Punkte, die zum modernen Selbstverständnis einer Frau gehören, die keine rechte Erfüllung mehr zwischen Küche und Schlafzimmer allein finden kann. Frau definiert sich heute anders. Man beansprucht ähnliche Freiräume, wie sie die Männer schon über Jahrhunderte genießen und dieser Anspruch bringt es wohl auch mit sich, dass das alte Bild der Ehe, wie es gern von der Katholischen Kirche noch immer vorgepredigt wird, ins Wanken gerät.
Auf diese Weise eröffnen sich Frauen einfach auch einen erweiterten Horizont, inklusive eigenem Freundeskreis und diese Entwicklung kann es schon mit sich bringen, dass sich Paare auseinander entwickeln. Formulieren wir es einmal so: die große Leidenschaft, die am Beginn einer Beziehung zwischen zwei Menschen den Ton angibt, muss früher oder später dem Alltag weichen und dessen Anforderungen standhalten. Ich fürchte genau genommen, dass sich in dieser Zeit irgendwann einmal die Fähigkeit verliert miteinander zu reden. Richtig nämlich. Sich Probleme, Ängste und Sorgen gegenseitig mitzuteilen und zu teilen. Ich kann mich selber als Kind gut erinnern, dass mein Vater, ein Schichtarbeiter, nach der anstrengenden Schicht immer ein großes Mitteilungsbedürfnis hatte. Und er erzählte gern, worüber er sich wieder ärgern hatte müssen oder welchen Streich man dem Kollegen gespielt hatte.
Mir scheint so, als ob diese ganz wichtige Funktion einer Ehe oder Beziehung mehr und mehr verschwindet. Viele Menschen machen sich auf die oben beschriebene Weise lieber bei Freunden oder Kollegen Luft. Der Partner oder die Partnerin erfahren oft nichts mehr oder nur am Rand davon. Und dadurch verliert man wertvolle gemeinsame Momente. Die Ehe wird zum Nebeneinander, langsam aber stetig. Dabei kommt es nicht einmal so sehr darauf an, dass man einfach nicht so viel Zeit mit dem Gefährten verbringt wie früher, sondern dass man diese kostbare Zeit nicht mehr richtig nutzt. So ist es nicht verwunderlich, dass man als Mensch oft vom Freundeskreis und persönlichen Umfeld mehr geprägt wird und mehr mitbekommt als vom Partner selbst. Man nimmt sich nicht mehr Zeit für einander, man nimmt den Menschen an der Seite für selbstverständlich. Was er aber nicht ist. Man verliert sich, Spannungen werden nicht abgebaut sondern kulminieren im Extremfall in heftigen Streitgesprächen. Irgendwann hat man sich nichts mehr zu sagen oder der Dialog wird von der Animosität beherrscht, die sich angesammelt hat.
Reden ist Silber, Schweigen ist Gold, heißt es in einem alten Sprichwort. Wie alle diese klugen Sprüche kann auch dieses bisweilen etwas eindimensional wirken. Es ist schon richtig, dass man in einer Diskussion vieles zerreden kann, weil es nicht notwendig ist, dass man jedes Problem bis zum Kern bloßlegt. Aber elementare Dinge gehören vor allem in einer Beziehung ausgeredet, weil sie mitunter zu schwerwiegenden Problemen im Miteinander führen können. Man gestatte mir eine Metapher: Wenn ein Abfluss etwa verstopft ist, wird es auch nötig sein, die Wurzel des Übels zu beseitigen. Immer nur halbherzig weiter zu machen und zu hoffen, das Problem löst sich von selbst auf, wird unter Umständen einmal eine kleine Überschwemmung in der Küche zur Folge haben
Vivienne
Redakteure stellen sich vor: Vivienne
Alle Beiträge von Vivienne