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24.10.2005, © Vivienne

Wien hat gewählt

Seit 17:00 Uhr sind die Wahllokale in Wien geschlossen, aber die erste Hochrechnung von ca. 18:00 Uhr unterscheidet sich im Detail doch um einiges von dem, was die Meinungsforscher und auch die ersten Prognosen erwartet haben. Die SPÖ unter Häupl wird nämlich die absolute Mehrheit entgegen allen Annahmen knapp verfehlen, obwohl sie etwas über 2 % zulegen kann. Die große Überraschung der Wahl ist aber die FPÖ, die mit Strache den prognostizierten Absturz auf deutlich unter 10 % nicht nur abwehren sondern den Stimmenverlust mit gut 5 % in Grenzenhalten kann. Vorläufig liegen die Freiheitlichen damit sogar noch vor den Grünen, die zwar ebenfalls gute 2 % zulegen können aber die angepeilte 15 % Marke doch (noch?) verfehlen.

Der Gewinn der ÖVP liegt mit ebenfalls mehr als 2 % im gesunden Rahmen und Dr. Johannes Hahn, der seine Partei in den Wahlkampf führte, wird sich zufrieden auf die Schulter klopfen, dass er die Absolute der SPÖ verhindert hat. Hahn hat einen in meinen Ohren sehr aggressiven Wahlkampf geführt und wahrscheinlich hatte er auch gar keine andere Wahl, nach all den Sympathiewerten die Bürgermeister Michael Häupl von allen Seiten bescheinigt worden waren. Ich persönlich nehme allerdings an, dass es mit die FPÖ war, die letztlich die Absolute der Roten verhindert hat. Der eine oder andere unentschiedene Wähler, der weder die Absolute der Roten wollte noch den Konservativen seine Stimme schenken wollte, wird im Zweifel dann doch wieder für die FPÖ gevotet haben. Und das hat sich ausgewirkt…

Ein schöner Erfolg jedenfalls für die Freiheitlichen, die, um es blumig zu formulieren, ihrem früheren einfachen Parteimitglied Jörg Haider die lange Nase gezeigt haben. Haider selber konnte beim ersten Antreten mit seinen Orangen gerade 1 % der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Noch weniger als die Kommunisten. Die Wahlbeteiligung kann mit unter 60 % als nicht gerade aufregend bezeichnen, sie liegt um fast  8 % unter der von 2001. Was sich wohl damit erklären lässt, dass für viele Wahlberechtigte am Wahlausgang und am Sieg der Sozialdemokraten kein Zweifel bestand. Auch diese Tatsache dürfte Häupl Wähler und damit die Absolute gekostet haben, was aber „Wiens Fiaker“ angesichts der ausgebauten und gesicherten Absoluten an Mandaten leicht verschmerzen kann.

Was kann man bundespolitisch aus diesen Zahlen ableiten? Mit Sicherheit wird Schüssel keine Trauerstimmung aufkommen lassen und sich mit dem Stimmengewinn der Wiener Parteifreunde und dem Verhindern der absoluten Mehrheit der Sozialdemokraten trösten.  Im Wahlkampf von Johannes Hahn musste ja sehr oft der niederösterreicherische Landeshauptmann Pröll herhalten, um eine ÖVP-Regentschaft in Wien schmackhaft zu machen. Pröll ist schließlich einer der letzten Konservativen, die noch sehr fest im Stuhl des Landeshauptmanns sitzen dürfen. Einer der wenigen Paradeschwarzen, um es etwas trivialer zu formulieren, die noch verblieben sind, und Schüssel wird sich bis zur Bundeswahl 2006 etwas einfallen lassen müssen. Auch wenn er betont Gelassenheit zur Schau stellt…

Zwar hat umgekehrt auch Kreisky in seiner Blütezeit gegen Opposition in den Bundesländern große Wahlsiege eingefahren, aber dieses Kunststück muss ihm Schüssel erst einmal nachmachen. Eine große Koalition scheint mir in einem Jahr nicht mehr unrealistisch, da die möglichen anderen Koalitionspartner von Schüssel „schwierigen internen Zerreißproben ausgesetzt sind“ (die FPÖ) oder aber stimmenmäßig nicht mehr richtig weiterkommen (die Grünen). Und somit lebt auch die Chance, dass Schüssel 2006 Kanzler bleibt…

Vivienne

PS: Beachten Sie, liebe Leser, bitte, dass Vivienne diesen Beitrag während der Auszählung der Stimmen geschrieben hat und die Prozentzahlen zum Endergebnis leicht schwanken können.

 

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