Dass Ali einmal schlecht gelaunt aus der Arbeit kam, passiert nur alle hundert Jahre einmal, so meine Erfahrungswerte. Dass er an diesem Freitagnachmittag die Lippen zusammengekniffen hatte, wie ein Hund, der Prügel bezogen hatte, verunsicherte mich sofort. Aber mein Mann sagte zunächst kein Wort, er küsste mich zur Begrüßung oberflächlich, als er mich von der Arbeit abholte und konzentrierte sich stur auf den Straßenverkehr, als er uns ins Einkaufszentrum chauffierte. Schließlich hielt ich diese Situation nicht mehr aus: „Was zum Teufel ist los? Hat dich Rossecker wieder geärgert?“ Rossecker war Alis Chef und normalerweise wusste mein Mann ihn zu nehmen. Ich glaubte also nicht unbedingt an diese Möglichkeit.
Albert schnaufte laut. „Nicht jetzt!“ „Jetzt!“ widersprach ich energisch. Typisch männliches Verhalten. Während ich wie die meisten Frauen jedes Probleme sofort auszudiskutieren versuchte, fraß Ali wie viele Männer alles Anstehende hinein und versuchte es auch in diesem Fall. Mein Mann widersprach, ließ aber ein kurzes Lächeln in seinen Augen aufblitzen. Und schließlich begann Ali doch zu reden… „…eigentlich total lächerlich, das Ganze, aber der Kerl war derart unverschämt… ich hätte ihm eine langen können!“ Wieder reagierte ich verwirrt. Zu verbaler Gewaltandrohung neigte Ali nämlich normalerweise noch viel weniger. Ich zog die Stirne kraus. Ali begann sich zu sammeln. „In der Arbeit erhielt ich am Vormittag einen Anruf am Handy. Mit unterdrückter Rufnummer. Ich nahm das Gespräch an, und es meldete sich jemand mit norddeutschem Idiom. Aber nicht ganz echt, wie mir schnell bewusst wurde, der Dialekt war überzogen, daran bestand kein Zweifel.“
„Was wollte er?“ fragte ich in eine kurze Pause hinein. Albert wirkte wider angespannt. „Der Typ schrie: Hier ist Erwin. Wo ist Vivi? Ich will das Miststück sprechen, und wimmel mich nicht wieder ab. Hol das Luder sofort her oder du erlebst was!“ Ich war perplex. „Er sagte echt „Vivi“? Wer ist der Kerl?“ Albert grunzte vernehmlich. „Ich dachte mir zuerst, da kann es sich nur um ein Missverständnis handeln. Aber woher kannte er dann deinen Namen? Ich legte auf und ehrlich gesagt, ich war ziemlich wütend.“ Ich begriff nicht. Ich kannte keinen Erwin aus Deutschland und Beschimpfungen dieser Art verbat ich mir. Konnte es sich vielleicht einfach um ein Missverständnis handeln? Ali schüttelte den Kopf. „Nein, das war es nicht, Vivi. Daran habe ich auch zuerst gedacht. In der nächsten halben Stunde wiederholte sich das Schauspiel drei oder vier Mal. Der Mann mit dem unechten deutschen Slang rief an, beschimpfte dich, beschimpfte in der Folge auch mich und begann mir unverhohlen zu drohen, wenn du nicht endlich am Telefon erscheinen würdest.“
Ich konnte mir keinen Reim auf die Sache machen. Wer tut so etwas? Der Mann musste mich und Ali kennen und offenbar wir auch ihn, sonst würde er sich nicht mit unterdrückter Rufnummer melden. Ich war betroffen, während Ali auf den Parkplatz des Einkaufszentrums fuhr und den Wagen abstellte. Ali wirkte etwas gelöster. „Es hat sich alles geklärt, Mädchen. Hinter der Sache steckte ein Mitarbeiter im Lager mit dem ich neulich einen Streit hatte. Der Mann hatte eine Lieferung schlampig übernommen, die Hälfte der Sachen fehlte und darunter auch eine Teillieferung für unsere Abteilung. Ich habe ihm die Leviten gelesen und Rossecker davon erzählt. Seipel, so heißt er, ist nicht gerade der Fleißigste und der Engagierteste und hat von Rossecker die Rute ins Fenster gestellt bekommen. Der Mann war daraufhin so wütend, dass er sich diese Aktion einfallen hat lassen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Das kann doch nicht dein Ernst sein! Der Kerl spinnt doch völlig! Wie habt ihr ihn denn erwischt?“ Ali gurtete sich los. „Zufällig, Rein zufällig. Seipel ist jedes Mal auf das Herren-WC gelaufen, um mich anzurufen und der Lagerleiter ist schließlich auch wütend geworden, weil Seipel nie da war, wenn er ihn brauchte. Und der Lagerleiter hat ihn auch am WC erwischt, als er zum wiederholten Male mit verstellter Stimme mich am Telefon terrorisierte. Es dauerte nur Minuten um die Angelegenheit völlig aufzuklären, Seipel musste seinen Hut nehmen.“ Das erste Mal grinste Ali breit. „Rossecker muss weiß im Gesicht gewesen sein vor lauter Wut, als er Seipel rauswarf. Mit dem gut gemeinten Rat sich nicht mehr blicken zu lasen und die Mitarbeiter nicht mehr zu belästigen.“
„Verrückter Kerl!“ Ich konnte mich nur wundern über diesen Typen. „Was bezweckte er denn überhaupt damit?“ „Er wollte mich ärgern, sonst gar nichts. Zur Weißglut bringen und das wäre ihm auch beinahe gelungen…“ Albert legte seinen Arm um mich, sein Blick hatte mit einem Mal etwas sehr Zärtliches an sich. „Ich möchte den kennen, der nicht wütend wird, wenn seine Frau so übel beschimpft wird. Noch dazu eine Frau wie du…“ Ali war fast wieder der Alte! Es war halt doch besser über solche Dinge zu reden als sie hineinzufressen…
© Vivienne