Nein, das war nicht meine Woche, ganz bestimmt nicht! Gedanken wie dieser gingen mir ständig durch den Kopf während ich mir den Kopf darüber zerbrach, was mir in den letzten Tagen in der Arbeit und daheim so alles passiert war… Der Bericht, den ich gedankenverloren an die falsche Nummer gefaxt hatte, die Schnitzel, die mir daheim in der Bratpfanne verbrannt waren, weil ich mich zwischendurch niedergesetzt hatte und bei einem Glas Wasser ins Grübeln gekommen war… Ich kannte mich selbst momentan nicht, ich war unkonzentriert und hatte ständig Kopf- und Gliederschmerzen und das Schlimmste war wohl, dass Ali das alles nicht einmal wirklich zur Kenntnis zu nehmen schien. Mein Mann selber war oft nicht bei der Sache und ich fragte mich, was ihm wohl durch den Kopf ging. Wobei ich mich oft fragte, ob ich es wirklich wissen wollte.
Der Gedanke, dass er an eine andere Frau dachte, drängte sich mir immer wieder auf, mehr als das, es schien sogar Hinweise dafür zu geben. Er kam mehrmals später von der Arbeit wie üblich und außerdem ertappte ich ihn dabei, wie er einen Modekatalog durchblätterte – dass er angesichts der spindeldürren Models darin nicht unbedingt an mich denken würde müssen, lag auf der Hand. Wir waren nun schon über fünf Jahre beisammen und ich fragte mich, ob bei uns ein wenig die Luft heraußen war. Wenn ich ehrlich war, ich hatte keinen wirklichen Hinweis darauf, dass Ali sich verliebt hatte, aber in meinem indifferenten Zustand, der sich in dieser Unsicherheit und in einer merkwürdigen Abwesenheit äußerte, wuchs meine Angst. Angst, Ali zu verlieren, obwohl ich mir schon vor vielen Jahren einmal geschworen hatte, eine Beziehung nie bis zum bitteren Ende zu führen. Auseinander gehen, wenn es an der Zeit ist! war immer meine Devise gewesen, aber wenn ich mir vorstellte, ich müsste mich bald von Albert trennen…
Ich ging am Wochenende früh zu Bett. Irgendwie fühlte ich mich nicht besonders gut, ich verspürte ein flaues Gefühl im Magen und der Kopf schmerzte wieder einmal. Ali schien nicht einmal enttäuscht zu sein, dass ich ihn alleine im Wohnzimmer sitzen ließ. „Schlaf gut“ rief er mir nach und war vertieft in den Krimi, der auf einem Privatsender lief. Ich konnte kaum denken und deckte mich zu während ich zu schlafen versuchte. Ein wirrer Traum bemächtigte sich meiner, das verschwommene Gesicht einer Frau tauchte in diesem Traum ständig auf und dieses Gesicht und das von Ali schienen immer wieder miteinander zu verschwimmen. Ich hörte mich keuchen und wälzte mich hin und er als ich plötzlich Alis Stimme hörte, immer lauter und schließlich schlug ich die Augen auf. Mein Mann sah mich an, ich glaubte Sorge in seinen Augen lesen zu können. Aber das beschäftigte mich nur zweitrangig, weil ich realisierte, dass ich ganz nass war: nass geschwitzt und trotzdem fror ich…
„Vivi!“ Ali konnte ich nun ganz deutlich verstehen. „Was ist los mit dir? Sag doch endlich etwas!“ Ich hatte Alis Worte nun endlich begriffen, er musste schon eine ganze Weile auf mich eingeredet haben. Trotzdem konnte ich nicht antworten, ich krächzte nur heiser und wenn ich ehrlich war, ich wusste gar nicht, was mit mir los war. Ich fühlte mich in diesem Moment nur unendlich verloren und ich begann zu weinen, hilflos wie ein Kind. Ali rief den Notarzt an, und während er auf ihn wartete, hielt er meine Hand und redete auf mich ein. Mir war speiübel und als ich mich schließlich in einem Eimer übergeben konnte, den mir Ali rasch geholt hatte, fühlte ich mich wieder besser. Der Arzt diagnostizierte eine Magen-Darm-Grippe – das Eis letzte Woche am Linzer Bahnhof hatte mir offenbar nicht gut getan. Anders konnte ich mir meinen Zustand nicht erklären.
Ich begriff nun auch, warum ich die ganze letzte Woche schon so schlecht beisammen gewesen war. Meine mangelnde Konzentration, meine Fehler, das beständige Unwohlsein – die Krankheit hatte schrittweise von mir Besitz ergriffen. Ali besorgte in der Apotheke Antibiotika, gab mir Kräutertee zu trinken und half mir, mich umzuziehen. Ich stank schon förmlich, völlig verschwitzt wie ich war, dann zogen wir noch das Bett um und irgendwann am frühen Morgen schlief ich wieder ein. Der Genesungsschlaf dauerte fast bis Mittag – ich fühlte mich zwar müde und schwach, aber die Übelkeit und die Bauchschmerzen hatten nachgelassen. Ali war schon lange auf, kochte mir ein Süppchen und nach und nach normalisierten sich meine Gedankengänge. Verrückt, dass mir vorgekommen war, Ali könnte eine Freundin haben – hatte er mir nicht selber kürzlich erzählt, dass in der Firma eine neue Software zum Einsatz kam und er deshalb Überstunden machen musste? Aber die Krankheit hatte mich aus dem seelischen Gleichgewicht gebracht – ich hatte nicht mehr klar denken können und alles negativ interpretiert.
Ich hatte nicht vor, Ali von diesen dummen, verwirrten Überlegungen zu erzählen. Stattdessen trank ich viel Tee und schluckte brav meine Antibiotika. Wenigstens gab es nun auch eine logische Erklärung für meine Black-Outs, in der Firma wie daheim. Nein, deswegen musste ich mich sicher nicht genieren. Gegen einen Infekt wie diesen war auch ich machtlos. „Brauchst du etwas?“ Die ruhige Stimme meines Mannes drang wieder an mein Ohr. Ich spürte seine Hand an meiner Stirn – „Ich glaube nicht, dass du noch viel Fieber hast! Siehst du – es wird wieder!“
© Vivienne