Der Stimmenimitator

Der Mensch entwickelt oft große Talente, wenn es darum geht, eingegangene Verpflichtungen oder die Einhaltung von Versprechen zu umschiffen. Er wird dabei oft gerade zu kreativ und zeigt Fähigkeiten, die einer gerechteren Sache doch besser anstünden. Es scheint mir fast so als mache es den Reiz der Sache erst aus, wenn man Tricks und Pläne entwickeln kann um sich zu drücken. Denn nicht immer geht es wirklich um gewollten oder beabsichtigten Betrug, wenn man sich mit List an der Umgehung einer Verpflichtung probiert. Bisweilen möchte man nur seinen Intellekt testen, ein anderer versucht vielleicht auch nur ein momentanes Manko überdecken…

Gerne erinnere ich mich in diesem Zusammenhang an eine Geschichte aus der Sturm- und Drangzeit meines Mannes Ali, der in einem Vorort von Linz aufgewachsen ist. An fast genialen Streichen hatte es da schon manches zu erzählen gegeben, andererseits war Ali immer schon ein guter Beobachter gewesen, der auch als Teenager bereits einen Blick für das Bemerkenswerte hatte – wie auch anders möglich bei einem Skorpiongeborenen! Ali hatte mir also berichtet, dass seinerzeit ein Bekannter seines Vaters in der Gegend ein Fahrradgeschäft geführt hatte, bei dem auch die Fahrräder von Albert und seiner Schwester erstanden worden waren: nicht übermäßig billig aber von vergleichsweise ausgezeichneter Qualität und mit tollem Service, auch wenn die Garantie schon abgelaufen war…

Claus Hörzinger, so der Name des kleinen Geschäftsmannes, gewährte auch gerne Kredit, wenn die Schillinge gerade nicht so locker saßen. Schließlich kannte hier jeder jeden und um einen offenen Betrag einzufordern bedurfte es nicht gleich der Drohung mit dem Inkassobüro – meist genügte ein kurzer Anruf, um die wenigen säumigen Schuldner zu erinnern. Meist handelte es sich dabei wirklich um Versehen, denn Schulden dieser Art geraten in einem ländlichen Bereich wie diesem meist auch schnell zum Gesprächsthema Nr. 1. Und nichts ist unangenehmer als wenn die Nachbarn wissen, dass man knapp bei Kasse ist. Sollte man zumindest meinen, denn in einem Fall musste Claus Hörzinger zur Kenntnis nehmen, dass der Ideenreichtum eines säumigen Schuldners unerwartete Höhen erreichen kann…

Werner Wenzel, ein Familienvater und damals Nachbar von Alis Eltern hatte für seinen Firmling kurz vor Pfingsten ein Fahrrad erstanden, natürlich bei Hörzinger, wie es sich gehörte, und war mit ihm verblieben, dass er ihm den offenen Betrag mit dem Urlaubsgeld überweisen wollte. Eine „kleine finanzielle Krise“ war der Grund für den kurzfristigen Kredit und Hörzinger dachte sich nichts Schlechtes bis er im Spätsommer bei der Durchsicht seiner Unterlagen und Rechnungen feststellte: Wenzel hatte noch nicht bezahlt… Claus Hörzinger griff also nach Geschäftsschluss zum Telefonhörer und wählte die Nummer von Wenzel. Wenzel meldete sich auch gleich mit seiner tiefen unverwechselbaren Stimme und Hörzinger begann sein Anliegen: „Du Werner, das Fahrrad für deinen Firmling ist noch nicht bezahlt…“

Wenzel fiel ihm gleich darauf ins Wort, aber seine Stimme klang nun merkwürdig hoch und gepresst: „Da Pappa is ned daham. Müssen’s später anrufen!“ Und legte auf. Hörzinger blieb angesichts dieser Vorstellung der Mund offen, wie mir Ali immer grinsend schilderte, wenn er diese Geschichte zum Besten gab. Wenzel, finanziell noch immer nicht so gut gestellt, hatte sich, um sich vorläufig noch vor einer Zahlung drücken zu können, reaktionsschnell als Stimmenimitator versucht und wenn er Hörzinger schon nicht überzeugen hatte können, übertölpelt hatte er ihn allemal und Wenzel hütete sich in den folgenden Tagen, selber ans Telefon zu gehen – vorzugsweise abends, wenn der Zweiradhändler anrufen hätte können.

Natürlich blieb Werner Wenzel das Fahrrad danach nicht lange schuldig. Nach ein paar Wochen betrat er wie zufällig das Geschäft und bezahlte das Fahrrad. Hörzinger verlor kein Wort über die Stimmakrobatik des Mannes sondern steckte den Betrag schweigend ein. Warum Wenzel nicht gleich hätte sagen können, dass er in ein paar Wochen zahlen würde, blieb dabei offen. Möglicherweise wäre es Wenzel unangenehm gewesen, noch einmal um Stundung zu ersuchen, vielleicht saß ihm aber auch der Schalk im Nacken und er wollte einfach spontan ausprobieren, ob ihm der Schmäh gelingen würde… Hörzinger soll jedenfalls nach dieser Erfahrung, das Rechnungswesen seines Geschäfts etwas umgestellt haben. Jedenfalls bestand er danach üblicherweise auf Barzahlung, und niemand hat es ihm verübelt, denn der Vorfall hatte die Runde gemacht…

Nach einer wahren Begebenheit…

© Vivienne

Schreibe einen Kommentar