Die Heimsuchung…

Wer kommunikativ ist und den Kontakt mit anderen Leuten sucht, wird beim Zug fahren immer viel Gelegenheiten finden, sich plaudernd mit anderen die Zeit zu vertreiben. Ich selber tu das zum Beispiel gerne, wenn mir danach ist. Manchmal aber döse ich auch einfach nur oder träume vor mich hin. Bisweilen bin ich auch schon im Zug eingeschlafen… Aber die Chance, mit Leuten, die ich vermutlich alle nicht immer so leicht wieder sehen werde, ein paar belanglose Worte zu wechseln, lasse ich normalerweise selten ungenutzt. Aber einmal, vor einigen Jahren auf der Heimfahrt von Linz, hatte ich eine Begegnung der dritten Art. Eine von der Sorte, die man nicht schnell vergisst…

An einem Freitagabend saß ich mittags im Zug. Eine anstrengende Arbeitswoche war zu Ende gegangen und ich war froh, dass ich jetzt heimfahren konnte. Ich hatte mir einen Fensterplatz ausgesucht und mich in dem Geviert der Plätze richtig breit gemacht. Der Wagon war fast leer – das muss an den Osterferien gelegen haben. Schüler fanden sich deshalb kaum in den Abteilen und die meisten Leute hatten sich überhaupt frei genommen. Ich kuschelte mich in meinen Platz und beobachtete aus dem Fenster das Treiben an den anderen Bahnsteigen. Es war schon recht warm und ich freute mich, dass der Frühling Einkehr gehalten hatte.

Kurz vor der Abfahrt des Zuges ging die Tür zum Abteil auf. Eine ältere Frau in einem relativ warmen Mantel trat ein und lächelte mich an. „Ist da noch frei?“ fragte sie mich mit treuherzigem Blick. Ich nickte und lächelte zurück. Die Dame nahm ihre Wollmütze ab und musterte mich interessiert. „Sie sind auf der Heimfahrt?“ fragte sie mich. Ich nickte. „Gott sei Dank, ich bin froh, dass ich jetzt ein verlängertes Wochenende zum Ausspannen habe!“ Die Frau blickte mich mit großen Augen an. „Ausspannen? Sie werden doch sicher dem Leiden unseres Herrn Jesus gedenken. Heute ist Karfreitag. Vergessen Sie nicht, dass er uns von der Erbsünde befreit hat!“ Ich war etwas verdattert, denn eine solche Reaktion hatte ich nicht erwartet. Was ging diese Frau eigentlich meine Freizeitgestaltung an? ging mir durch den Kopf.

Inzwischen hatte die Frau aber schon in ihrer Handtasche zu kramen begonnen und förderte bald ein paar Broschüren zutage, die mir verdächtig bekannt vorkamen. Natürlich hatte ich so etwas schon öfter gesehen, Heftchen dieser Art kamen von den Zeugen Jehovas und ich hatte ich sie immer weggeworfen, wenn man sie mir in die Hand gedrückt hatte. Später hatte ich mich dann gar nicht mehr darauf eingelassen, wenn ein „Gläubiger“ dieser Sekte mich ansprach, was relativ häufig vorkam, da ich immer schon aus einem sehr naiv wirkenden Gesicht in diese Welt geblickt hatte. Ich hatte mein Manko irgendwann durchschaut und mit sturer Ablehnung darauf reagiert. Ziemlich erfolgreich sogar.

In diesem Fall hatte konnte ich mich aber der Zwangsbeglückung schlecht entziehen, weil ich im Zug saß. Während die alte Lady ihre Paraphrasen herunterbetete und ich ihr mit halbem Ohr zuhörte, überlegte, ich mir, wie ich ihren Redefluss stopfen konnte, ohne unhöflich zu werden. Heute hätte ich kein Problem damit, mir diese versuchte Gehirnwäsche zu verbieten, aber damals war ich noch mehr bemüht bei niemandem anzuecken und außerdem tat mir die Frau leid. Ich sah die traurigen Gestalten der Jehovas sehr oft am Bahnhof bei der alten Straßenbahnhaltestelle stehen, wo sie ihre potentiellen Opfer bei jedem Wetter, Hitze wie Eisregen, ansprachen.

Das Gelabere der Frau ging mir schon auf den Geist. Toleranz hin oder her halte ich persönlich nichts von einer Religion, die alle Fröhlichkeit und alle Feste verbietet und ihren Schäfchen die sexuellen Stellungen wie die allgemeine sexuelle Frequenz vorschreibt. Gott hat mit Sicherheit andere Sorgen, als sich über das Gedanken zu machen. Da bemerkte ich, dass wir in eine Haltestelle einfuhren. Eine Idee zuckte durch meinen Kopf. „Ich muss aussteigen!“ sagte ich schnell und stand auf. Die Frau nickte mir zu und versuchte noch, mir ein paar ihrer Broschüren in die Hand zu drücken. Aber ich lief aus dem Abteil, stieg schnell aus und ein Stück weiter vorn wieder ein. Ich schwitze vor lauter Laufen, aber mein Trick hatte funktioniert. Die nächsten beiden Stationen bis zu meinem Bahnhof blieb ich für mich allein. Allerdings blickte ich mich beim Aussteigen noch vorsichtig um, ob mir nicht auch die alte Frau über den Weg laufen würde. Aber sie war nirgendwo zu sehen. Ich blickte in den wolkenlosen blauen Himmel über mir und grinste zufrieden. Einem tollen Wochenende stand nichts im Wege…

Nach einer wahren Begebenheit…

© Vivienne

Schreibe einen Kommentar