Die Sommerin

Schlaftrunken taumel’ ich Punkt sieben Uhr hoch, da der Kleine meine moralische Unterstützung braucht. Ihn ruft die Schule und ich spende Beileid. Hitzefrei wurde abgeschafft, statt ausgebaut. Dabei wird doch ständig ausgebaut!

Ich weiß nicht, welcher Schreibtischtäter das fröstelnd unter seiner Klimaanlage ausgeheckt hat. Kindergenerationen wachsen nun ohne

Schlaftrunken taumel’ ich Punkt sieben Uhr hoch, da der Kleine meine moralische Unterstützung braucht. Ihn ruft die Schule und ich spende Beileid. Hitzefrei wurde abgeschafft, statt ausgebaut. Dabei wird doch ständig ausgebaut!

Schlaftrunken taumel’ ich Punkt sieben Uhr hoch, da der Kleine meine moralische Unterstützung braucht. Ihn ruft die Schule und ich spende Beileid. Hitzefrei wurde abgeschafft, statt ausgebaut. Dabei wird doch ständig ausgebaut!

Ich weiß nicht, welcher Schreibtischtäter das fröstelnd unter seiner Klimaanlage ausgeheckt hat. Kindergenerationen wachsen nun ohne die Fluchttür „Hitzefrei“ auf, das ist wie das Fällen des geliebten Baumhauses. Völlig daneben. Wir stehen also in der Küche, klappern mit den Augen und denken an das Hitzefrei – so viel Sommer ist es schon am Morgen. Ich bin noch gar kein Mensch, viel zu müde. Mitternacht fühlte ich mich toll; es wurde endlich kühl. Jetzt könnte ich so schön schlafen, das Thermometer wird bloß zwanzig Grad zeigen. Nachsehen wäre zu anstrengend; ich gähne laufend oder laufe gähnend? und kann mich wirklich nur an der Kaffeetasse festhalten.

Mit dem Kaffee und der Zeitung müsste nun etwas aus dem Tag werden. Aber ich sehe keine Linie in den Buchstaben, keine Ordnung. Der Tag hat erst Fetzen und noch kein Muster. Das Schulkind schaut freundlich auf mich und gibt mir mit seinem Lächeln einen Teil seiner Energie ab. Vielleicht so groß wie ein Stück Würfelzucker. Ein klarer Gedanke schiebt sich nach vorn, zu den Pupillen, direkt ans Licht. Ich sollte ein Kleid anziehen und Schwimmen gehen. Es könnte perfekt sein, wenn noch keine dreißig Grad sind und ich eine Bahn allein habe. Erfreulicherweise steht das Kleid sofort im Kopf fest. Mit sicherem Griff  – ein Wunder –  ziehe ich es aus dem Schrank und über den Körper. Bisschen enger sitzt es wohl als letztes Jahr, egal. Der Schwimmrucksack ist nicht da –  dann ist er im Auto. Als ich mich in den Verkehr einfädel’, stolz, wie weit ich doch mit dem Morgen gekommen bin, ohne Pannen, fällt mir auf, dass ich kein Geld dabei habe und mir die frischen Brötchen auf dem Rückweg abschminken kann, aber es ist Sommer! Ich brauche nicht ins Büro wie die Leute vor mir, ich werde etwas Einmaliges aus dem Tag machen!

Der Schwimmrucksack liegt nicht im Kofferraum! Ich schreie fast vor Ärger und bin immer noch verschlafen. So hätte ich nicht ins Auto steigen sollen, steigen dürfen. Dann findet er sich auf dem Rücksitz. Auch die Dauerkarte steckt an ihrem Platz. Diese Krise ist wohl überstanden. Im Wasser sind mehr Leute, als ich gedacht habe. Es gibt keine Einzelbahn, es gibt stattdessen zwei Schwatzliesen vor meiner Nase, um die ich ständig herum schwimmen muss. Ich treffe sie zwanzig Mal. Meine Gedanken kreisen bald um die Unglücklichen, die jedes Jahr ertrinken. Und wie ich der Statistik zwei neue Fälle bescheren könnte. Auf welche hechte ich mich zuerst, um sie zu versenken? Es ist pervers, aber ich kann nicht anders. Ich hätte ein Mordmotiv. Wie ist der perfekte Mord im Schwimmbad? Warum haben die beiden keinen Picknickkorb in der Hand, wenn sie es sich im Wasser gemütlich machen? Bringen sie den morgen mit?

Mein Hirn ist angesprungen, funktioniert ganz passabel, denn Krimiautoren tüfteln eben mit Freude an Morden herum, während Kfz-Meister Autos reparieren und Schreibtischtäter das Hitzfrei kalt lächelnd vernichten.

Natürlich vergaß ich auf die große Uhr zu sehen, um meine Zeit zu dokumentieren. Das nun der Zeiger auf halb Neun springt, nützt mir wenig. Ich vergesse entweder die Uhr, oder ich verzähle mich bei den Bahnen. Dafür habe ich einen Mordfall zu bewältigen. Schwimmerin gegen Schwätzer. Es geht mir saugut! Ich sauge meine tausend Meter mühelos auf, Bahn für Bahn, trinke sie direkt vom Sommer, werde mich im Winter daran laben! Die kleinen Wassertropfen perlen an mir herab wie edle Swarovski-Kristalle, märchenhaftes Zauberwasser! Am liebsten würde ich jeden Tropfen einzeln einfrieren und mir dann im grauen Novemberwetter immer einen aus dem Eisfach herausnehmen, um auf der Hand den Sommer zu fühlen, wenigstens die Erinnerung. Würde ich meinen Gefrierschrank mit Sommerwiese füllen, mit Himmelblau, mit Lavendel und Dill, und mir dann ein Duftpäckchen über die nackten Arme, über Hals und Nacken reiben, könnte ich damit den November klitzeklein halten?

Ich weiß, ich bin irgendwie betrunken, heißhungrig, unzurechnungsfähig. Ich weiß, es gibt Feinfrostkräuter, aber die Krümel haben nichts mit dem Sommer zu tun. Schon weil Sommer nicht in eckige Pappe geht. Ordnung gepresst kann kein Sommer sein. Manchmal grase ich über den Balkon wie ein Kaninchen. Hier ein Blatt Zitronenmelisse, dann Schnittlauch, und zum Schluss Basilikum. Die Existenz als Kaninchen würde ich befürworten. Wenn Wiedergeburt, dann Kaninchen bei einem liebevollen Menschen, der mich selbstverständlich nicht in den Kochtopf wirft.

Mein Hunger geht auf keine Kuhhaut. Zu Hause häufe ich Holundermarmelade auf das eine Brot, so dass sie herunter laufen muss. Das andere Brot wird mit Geflügelsalat und Nektarinenscheiben belegt, eine maßlose Angelegenheit. Ich werde nicht satt, und wenn ich satt bin, kriege ich nichts mehr auf die Reihe. Weil der Magen dann das einzige Organ ist, das arbeitet und ich bleibe glückselig außen vor. Nichts auf die Reihe kriegen ist furchtbares Deutsch, aber es stimmt. Es heißt Krieg, Chaos, Bankrott, widerspricht allen schön gedrechselten Plänen. Ich kann doch nicht sagen: Ich bekomme einen Bankrott – wäre das besser?

Es kommt jedenfalls wie ich bereits ahnte: Nichts geht mehr. Um dreiviertel Zehn. Bei 28 Grad. Und ich merke, wie ich mich darin suhle, wie die Wildsau im Schlamm. Wie fern mir die fleißige Ameise ist. Wie es kein Muss gibt, denn ich habe eine Woche Urlaub.

Beim Zähneputzen kitzelt mich eine verführerische Idee: wieder ins Bett gehen, um zehn Uhr morgens. Genial! Urlaub, ich bin gar nicht da. Ich bin Sommer. Die Sommerin – mein neuer Job. Und die Konzertkarten? Na bis zwanzig Uhr werde ich mich wohl wieder eingesammelt und das Hirn von weiche Birne auf feste Birne umgestellt haben. Ein kleiner Schweißtropfen rinnt über die Haut. Schwitzen beim Zähneputzen! Ich müsste das Kleid ausziehen, denke ich im Bett. Das ist aber wirklich das Allerletzte, was ich noch erledigen kann. Vogelgezwitscher – Ornithologie. Sommerlogie oder Sommermanie?

Betrunken vom Sommer!

Wie soll ein Kind ohne Hitzefrei klarkommen? Gebt uns zurück, was uns gehört! Hitzefrei!

Ach, war nur ein Gerücht von der Abschaffung des Hitzefrei, sagt mein Kleiner mittags, na gut. Dann brauche ich keine Demo auf die Beine stellen, sondern kann einfach weiter Urlaub machen.

©NM

Ich weiß nicht, welcher Schreibtischtäter das fröstelnd unter seiner Klimaanlage ausgeheckt hat. Kindergenerationen wachsen nun ohne die Fluchttür „Hitzefrei“ auf, das ist wie das Fällen des geliebten Baumhauses. Völlig daneben. Wir stehen also in der Küche, klappern mit den Augen und denken an das Hitzefrei – so viel Sommer ist es schon am Morgen. Ich bin noch gar kein Mensch, viel zu müde. Mitternacht fühlte ich mich toll; es wurde endlich kühl. Jetzt könnte ich so schön schlafen, das Thermometer wird bloß zwanzig Grad zeigen. Nachsehen wäre zu anstrengend; ich gähne laufend oder laufe gähnend? und kann mich wirklich nur an der Kaffeetasse festhalten.

Mit dem Kaffee und der Zeitung müsste nun etwas aus dem Tag werden. Aber ich sehe keine Linie in den Buchstaben, keine Ordnung. Der Tag hat erst Fetzen und noch kein Muster. Das Schulkind schaut freundlich auf mich und gibt mir mit seinem Lächeln einen Teil seiner Energie ab. Vielleicht so groß wie ein Stück Würfelzucker. Ein klarer Gedanke schiebt sich nach vorn, zu den Pupillen, direkt ans Licht. Ich sollte ein Kleid anziehen und Schwimmen gehen. Es könnte perfekt sein, wenn noch keine dreißig Grad sind und ich eine Bahn allein habe. Erfreulicherweise steht das Kleid sofort im Kopf fest. Mit sicherem Griff  – ein Wunder –  ziehe ich es aus dem Schrank und über den Körper. Bisschen enger sitzt es wohl als letztes Jahr, egal. Der Schwimmrucksack ist nicht da –  dann ist er im Auto. Als ich mich in den Verkehr einfädel’, stolz, wie weit ich doch mit dem Morgen gekommen bin, ohne Pannen, fällt mir auf, dass ich kein Geld dabei habe und mir die frischen Brötchen auf dem Rückweg abschminken kann, aber es ist Sommer! Ich brauche nicht ins Büro wie die Leute vor mir, ich werde etwas Einmaliges aus dem Tag machen!

Der Schwimmrucksack liegt nicht im Kofferraum! Ich schreie fast vor Ärger und bin immer noch verschlafen. So hätte ich nicht ins Auto steigen sollen, steigen dürfen. Dann findet er sich auf dem Rücksitz. Auch die Dauerkarte steckt an ihrem Platz. Diese Krise ist wohl überstanden. Im Wasser sind mehr Leute, als ich gedacht habe. Es gibt keine Einzelbahn, es gibt stattdessen zwei Schwatzliesen vor meiner Nase, um die ich ständig herum schwimmen muss. Ich treffe sie zwanzig Mal. Meine Gedanken kreisen bald um die Unglücklichen, die jedes Jahr ertrinken. Und wie ich der Statistik zwei neue Fälle bescheren könnte. Auf welche hechte ich mich zuerst, um sie zu versenken? Es ist pervers, aber ich kann nicht anders. Ich hätte ein Mordmotiv. Wie ist der perfekte Mord im Schwimmbad? Warum haben die beiden keinen Picknickkorb in der Hand, wenn sie es sich im Wasser gemütlich machen? Bringen sie den morgen mit?

Mein Hirn ist angesprungen, funktioniert ganz passabel, denn Krimiautoren tüfteln eben mit Freude an Morden herum, während Kfz-Meister Autos reparieren und Schreibtischtäter das Hitzfrei kalt lächelnd vernichten.

Natürlich vergaß ich auf die große Uhr zu sehen, um meine Zeit zu dokumentieren. Das nun der Zeiger auf halb Neun springt, nützt mir wenig. Ich vergesse entweder die Uhr, oder ich verzähle mich bei den Bahnen. Dafür habe ich einen Mordfall zu bewältigen. Schwimmerin gegen Schwätzer. Es geht mir saugut! Ich sauge meine tausend Meter mühelos auf, Bahn für Bahn, trinke sie direkt vom Sommer, werde mich im Winter daran laben! Die kleinen Wassertropfen perlen an mir herab wie edle Swarovski-Kristalle, märchenhaftes Zauberwasser! Am liebsten würde ich jeden Tropfen einzeln einfrieren und mir dann im grauen Novemberwetter immer einen aus dem Eisfach herausnehmen, um auf der Hand den Sommer zu fühlen, wenigstens die Erinnerung. Würde ich meinen Gefrierschrank mit Sommerwiese füllen, mit Himmelblau, mit Lavendel und Dill, und mir dann ein Duftpäckchen über die nackten Arme, über Hals und Nacken reiben, könnte ich damit den November klitzeklein halten?

Ich weiß, ich bin irgendwie betrunken, heißhungrig, unzurechnungsfähig. Ich weiß, es gibt Feinfrostkräuter, aber die Krümel haben nichts mit dem Sommer zu tun. Schon weil Sommer nicht in eckige Pappe geht. Ordnung gepresst kann kein Sommer sein. Manchmal grase ich über den Balkon wie ein Kaninchen. Hier ein Blatt Zitronenmelisse, dann Schnittlauch, und zum Schluss Basilikum. Die Existenz als Kaninchen würde ich befürworten. Wenn Wiedergeburt, dann Kaninchen bei einem liebevollen Menschen, der mich selbstverständlich nicht in den Kochtopf wirft.

Mein Hunger geht auf keine Kuhhaut. Zu Hause häufe ich Holundermarmelade auf das eine Brot, so dass sie herunter laufen muss. Das andere Brot wird mit Geflügelsalat und Nektarinenscheiben belegt, eine maßlose Angelegenheit. Ich werde nicht satt, und wenn ich satt bin, kriege ich nichts mehr auf die Reihe. Weil der Magen dann das einzige Organ ist, das arbeitet und ich bleibe glückselig außen vor. Nichts auf die Reihe kriegen ist furchtbares Deutsch, aber es stimmt. Es heißt Krieg, Chaos, Bankrott, widerspricht allen schön gedrechselten Plänen. Ich kann doch nicht sagen: Ich bekomme einen Bankrott – wäre das besser?

Es kommt jedenfalls wie ich bereits ahnte: Nichts geht mehr. Um dreiviertel Zehn. Bei 28 Grad. Und ich merke, wie ich mich darin suhle, wie die Wildsau im Schlamm. Wie fern mir die fleißige Ameise ist. Wie es kein Muss gibt, denn ich habe eine Woche Urlaub.

Beim Zähneputzen kitzelt mich eine verführerische Idee: wieder ins Bett gehen, um zehn Uhr morgens. Genial! Urlaub, ich bin gar nicht da. Ich bin Sommer. Die Sommerin – mein neuer Job. Und die Konzertkarten? Na bis zwanzig Uhr werde ich mich wohl wieder eingesammelt und das Hirn von weiche Birne auf feste Birne umgestellt haben. Ein kleiner Schweißtropfen rinnt über die Haut. Schwitzen beim Zähneputzen! Ich müsste das Kleid ausziehen, denke ich im Bett. Das ist aber wirklich das Allerletzte, was ich noch erledigen kann. Vogelgezwitscher – Ornithologie. Sommerlogie oder Sommermanie?

Betrunken vom Sommer!

Wie soll ein Kind ohne Hitzefrei klarkommen? Gebt uns zurück, was uns gehört! Hitzefrei!

Ach, war nur ein Gerücht von der Abschaffung des Hitzefrei, sagt mein Kleiner mittags, na gut. Dann brauche ich keine Demo auf die Beine stellen, sondern kann einfach weiter Urlaub machen.

©NM

die Fluchttür „Hitzefrei“ auf, das ist wie das Fällen des geliebten Baumhauses. Völlig daneben. Wir stehen also in der Küche, klappern mit den Augen und denken an das Hitzefrei – so viel Sommer ist es schon am Morgen. Ich bin noch gar kein Mensch, viel zu müde. Mitternacht fühlte ich mich toll; es wurde endlich kühl. Jetzt könnte ich so schön schlafen, das Thermometer wird bloß zwanzig Grad zeigen. Nachsehen wäre zu anstrengend; ich gähne laufend oder laufe gähnend? und kann mich wirklich nur an der Kaffeetasse festhalten.

Mit dem Kaffee und der Zeitung müsste nun etwas aus dem Tag werden. Aber ich sehe keine Linie in den Buchstaben, keine Ordnung. Der Tag hat erst Fetzen und noch kein Muster. Das Schulkind schaut freundlich auf mich und gibt mir mit seinem Lächeln einen Teil seiner Energie ab. Vielleicht so groß wie ein Stück Würfelzucker. Ein klarer Gedanke schiebt sich nach vorn, zu den Pupillen, direkt ans Licht. Ich sollte ein Kleid anziehen und Schwimmen gehen. Es könnte perfekt sein, wenn noch keine dreißig Grad sind und ich eine Bahn allein habe. Erfreulicherweise steht das Kleid sofort im Kopf fest. Mit sicherem Griff – ein Wunder – ziehe ich es aus dem Schrank und über den Körper. Bisschen enger sitzt es wohl als letztes Jahr, egal. Der Schwimmrucksack ist nicht da – dann ist er im Auto. Als ich mich in den Verkehr einfädel’, stolz, wie weit ich doch mit dem Morgen gekommen bin, ohne Pannen, fällt mir auf, dass ich kein Geld dabei habe und mir die frischen Brötchen auf dem Rückweg abschminken kann, aber es ist Sommer! Ich brauche nicht ins Büro wie die Leute vor mir, ich werde etwas Einmaliges aus dem Tag machen!

Der Schwimmrucksack liegt nicht im Kofferraum! Ich schreie fast vor Ärger und bin immer noch verschlafen. So hätte ich nicht ins Auto steigen sollen, steigen dürfen. Dann findet er sich auf dem Rücksitz. Auch die Dauerkarte steckt an ihrem Platz. Diese Krise ist wohl überstanden. Im Wasser sind mehr Leute, als ich gedacht habe. Es gibt keine Einzelbahn, es gibt stattdessen zwei Schwatzliesen vor meiner Nase, um die ich ständig herum schwimmen muss. Ich treffe sie zwanzig Mal. Meine Gedanken kreisen bald um die Unglücklichen, die jedes Jahr ertrinken. Und wie ich der Statistik zwei neue Fälle bescheren könnte. Auf welche hechte ich mich zuerst, um sie zu versenken? Es ist pervers, aber ich kann nicht anders. Ich hätte ein Mordmotiv. Wie ist der perfekte Mord im Schwimmbad? Warum haben die beiden keinen Picknickkorb in der Hand, wenn sie es sich im Wasser gemütlich machen? Bringen sie den morgen mit?

Mein Hirn ist angesprungen, funktioniert ganz passabel, denn Krimiautoren tüfteln eben mit Freude an Morden herum, während Kfz-Meister Autos reparieren und Schreibtischtäter das Hitzfrei kalt lächelnd vernichten.

Natürlich vergaß ich auf die große Uhr zu sehen, um meine Zeit zu dokumentieren. Das nun der Zeiger auf halb Neun springt, nützt mir wenig. Ich vergesse entweder die Uhr, oder ich verzähle mich bei den Bahnen. Dafür habe ich einen Mordfall zu bewältigen. Schwimmerin gegen Schwätzer. Es geht mir saugut! Ich sauge meine tausend Meter mühelos auf, Bahn für Bahn, trinke sie direkt vom Sommer, werde mich im Winter daran laben! Die kleinen Wassertropfen perlen an mir herab wie edle Swarovski-Kristalle, märchenhaftes Zauberwasser! Am liebsten würde ich jeden Tropfen einzeln einfrieren und mir dann im grauen Novemberwetter immer einen aus dem Eisfach herausnehmen, um auf der Hand den Sommer zu fühlen, wenigstens die Erinnerung. Würde ich meinen Gefrierschrank mit Sommerwiese füllen, mit Himmelblau, mit Lavendel und Dill, und mir dann ein Duftpäckchen über die nackten Arme, über Hals und Nacken reiben, könnte ich damit den November klitzeklein halten?

Ich weiß, ich bin irgendwie betrunken, heißhungrig, unzurechnungsfähig. Ich weiß, es gibt Feinfrostkräuter, aber die Krümel haben nichts mit dem Sommer zu tun. Schon weil Sommer nicht in eckige Pappe geht. Ordnung gepresst kann kein Sommer sein. Manchmal grase ich über den Balkon wie ein Kaninchen. Hier ein Blatt Zitronenmelisse, dann Schnittlauch, und zum Schluss Basilikum. Die Existenz als Kaninchen würde ich befürworten. Wenn Wiedergeburt, dann Kaninchen bei einem liebevollen Menschen, der mich selbstverständlich nicht in den Kochtopf wirft.

Mein Hunger geht auf keine Kuhhaut. Zu Hause häufe ich Holundermarmelade auf das eine Brot, so dass sie herunter laufen muss. Das andere Brot wird mit Geflügelsalat und Nektarinenscheiben belegt, eine maßlose Angelegenheit. Ich werde nicht satt, und wenn ich satt bin, kriege ich nichts mehr auf die Reihe. Weil der Magen dann das einzige Organ ist, das arbeitet und ich bleibe glückselig außen vor. Nichts auf die Reihe kriegen ist furchtbares Deutsch, aber es stimmt. Es heißt Krieg, Chaos, Bankrott, widerspricht allen schön gedrechselten Plänen. Ich kann doch nicht sagen: Ich bekomme einen Bankrott – wäre das besser?

Es kommt jedenfalls wie ich bereits ahnte: Nichts geht mehr. Um dreiviertel Zehn. Bei 28 Grad. Und ich merke, wie ich mich darin suhle, wie die Wildsau im Schlamm. Wie fern mir die fleißige Ameise ist. Wie es kein Muss gibt, denn ich habe eine Woche Urlaub.

Beim Zähneputzen kitzelt mich eine verführerische Idee: wieder ins Bett gehen, um zehn Uhr morgens. Genial! Urlaub, ich bin gar nicht da. Ich bin Sommer. Die Sommerin – mein neuer Job. Und die Konzertkarten? Na bis zwanzig Uhr werde ich mich wohl wieder eingesammelt und das Hirn von weiche Birne auf feste Birne umgestellt haben. Ein kleiner Schweißtropfen rinnt über die Haut. Schwitzen beim Zähneputzen! Ich müsste das Kleid ausziehen, denke ich im Bett. Das ist aber wirklich das Allerletzte, was ich noch erledigen kann. Vogelgezwitscher – Ornithologie. Sommerlogie oder Sommermanie?

Betrunken vom Sommer!

Wie soll ein Kind ohne Hitzefrei klarkommen? Gebt uns zurück, was uns gehört! Hitzefrei!

Ach, war nur ein Gerücht von der Abschaffung des Hitzefrei, sagt mein Kleiner mittags, na gut. Dann brauche ich keine Demo auf die Beine stellen, sondern kann einfach weiter Urlaub machen.

© Nele Mint

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