Elektroschock

Der Patient mit der Diagnose „Schizophrenie“ war 45 Jahre alt. Psychopharmaka schwemmten ihn auf wie einen Ballon, der nahe zu platzen drohte. Der Chefpsychiater in weiß, war schlank und trug eine Brille mit goldenem Rand. Draußen vor der Klinik herrschte der Sturm und die Menschen schwiegen durch ihn hindurch. Der Tag der Entscheidung nahte, wie der Wind durch einen Türspalt blinzelt. Der Elektroschock empfing den Patienten mit der Diagnose „Schizophrenie“ nun wie ein geduldiger Engel, im Ruhestand. Der Professor, sagte dem Patienten noch „Guten Tag“, drückte ihm feste seine Hand und sah dann auf seine goldene Uhr. „Wir beginnen“ war die nüchterne Aufforderung an seinen Oberarzt, der neben dem liegenden stand. Der Anästhesist war nicht sehr groß und nahm den Unterarm des Patienten, um die Nadel der Spritze, die funkelnd in den Raum fiel, dort einzustechen. Die Narkose wirkte schnell, fast wie Schlangengift. Der Oberarzt überragte den Chefarzt um gar zehn Zentimeter, die Voltzahl der Elektroschockbehandlung stellte er ein, auf einhundertzehn und die Kontakte an den Schläfen des Patienten, strahlten eisig, in das Behandlungszimmer, bestehend aus weißen Wänden. Der Herzschlag des Patienten dröhnte mahnend in den Raum, und die Augen des Patienten waren fest geschlossen, nur die Innenseiten der Hände lagen offen wie ein Scheunentor. Der Strom schlägt ein wie der Blitz und manchmal zerschlägt er ganze Bäume, doch der Patient merkt von alledem nichts, der schläft friedlich, unter den Qualen der Betäubung. Mehrmals bäumt sich sein Körper auf, doch die Fesseln an Armen und Beinen halten ihn fest, mit eisernem Willen. Die Heilung sieht manchmal furchterregend aus, als schlüge das nackte Gesicht des Teufels ein, der grinsend seine Fratze in das Grau der angeschlagenen Seele wirft. Die Prozedur hat aber auch irgendwann sein Ende, der Strom verbraucht sich Sekunde um Sekunde und die Kraft weicht wie aus Kübeln. Am Ende bleibt der Trost: denn zwanzig Prozent Erfolgsquote mit dem Schock, ist wenig, aber gut. Noch Fragen?

(C) Wilhelm Westerkamp

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