Es war die immer Freitägliche Redaktionskonferenz.
Die verfettete Redaktionskatze saß gemütlich auf der Fensterbank und schaute interessiert den Spatzen auf der anderen Seite der Scheibe zu, wie die sich laut um ein Stück Semmel stritten. Das eine mitfühlende Seele, nämlich ich, vorsorglich vorhin für die unterhaltsamen Kerlchen dort deponiert hatte.
Sich laut räuspernd, da wohl schon ob seines wieder mal sehr umfänglichen Monologes, trocken im Mund und dabei mit dem Zeigefinger auf mein rechtes Auge zielen, grunzte er mir zu:
„Miller, machen sie doch mal was zu gefälschten Glashütten!“
Nicht die Katze, ich erschreckte ob des brutalen Angriffs unseres Galeeren-Aufsehers auf mein einziges noch intaktes Guckorgan.
Die Katze tat einfach so, als wäre alles wie immer.
Die Kollegen sahen ziemlich überrascht zuerst zum Editor und dann zu mir.
Ach was, Glashütten werden nun auch schon gefälscht! Warum, zum Teufel, dann nicht so popelige Käseblätter wie das unsere. Dann könnte ich, Frankie Miller, anstatt genervt auf die Tasten meiner Olivetti zu stieren, nur um immer wieder des Editors Herzens-Wünschen zu entsprechen, einfach aus der verdammten Kopie schnuckelig flott abschreiben.
Na gut, Fälschung hin und her, aber wozu fälschen Fälscher Glashütten? Sollte die Coca-Cola-Aktie, von mir unbemerkt etwa doch wieder gestiegen sein und der Clan der Brausewasser-Zusammenrührer im fernen Atlanta beschlossen haben, ihre einer Michelangelo-Statue nachempfundenen und daher sehr weiblich daherkommenden früheren Glaspulle, eine neue Chance zu geben?
Sozusagen als Kopfstoß auf die Umweltschützer-Petflaschen-Ideologen und diese Scheiß-Rücknahme-Automaten?
Da, sehr verehrter Herr Editor, muss schon etwas mehr her, als das sonst so dürftige Hintergrundwissen aus ihrem berufenen Munde.
Glashütten, bei Tageslicht betrachtet, verhütten einfach nur Sand zu Glas! Daraus formt man dann in weiteren technischen Vorgängen zum einen Fensterscheiben, Trinkgefäße und natürlich auch die schon so lange von nicht Wenigen schmerzlich vermissten Cola-Flaschen!
Was, zum Teufel, könnte man an einer Glashütte wohl fälschen? Quarzsand womöglich?
Später dann, ich saß immer noch etwas unentschlossen vor meiner Tastatur, bequemte sich der Editor dann doch noch zu einer seiner allgemein als ziemlich herablassend empfundenen Erläuterungen.
„Miller, Uhren von dieser sächsischen Manufaktur! Sie können allerdings ihren Blick ruhig mal um das Königreich Sachsen herumkreisen lassen. Die Asiaten fälschen doch heutzutage alles! Sogar Sonnenbrillen, B-H`s und Potenzpillen! Also alles was auf dem Markt Rang und Namen hat.“
Schon war er wieder weg, nicht ohne das Unverständnis seiner Edelfeder namens Frankie Miller damit ins Unendliche gesteigert zu haben.
Die Kollegin zur Rechten, die mir schon immer alles Pech der Welt wünschte und bekanntermaßen Katzen hasste, machte in meine Richtung das allseits bekannte, einst von Peter Fonda und Dennis Hopper im Film „Easy Rider“, unter die an Symbolen Interessierten geworfene und seit dem herzlich gern genommene Geste. Die mit dem gestreckten Mittelfinger!
Na schön, Herzchen, mach du schnellstens was mit für dich, weil zu übergewichtig, untragbarer Mode!
Ätsch!
Glashütte-Uhren also! Schicki-Micki-Zwiebeln aus dem Sachsenland? Uhr-alte Handwerkerkunst aus einem Deutschen Landstrich in dem einst ein Großmaul dem dicken König Nimmersatt, August dem Starken, schönstes Gold versprach und stattdessen nur das Porzellan „erfand“.
Auch eine Art von Fälschung, wenn man bedenkt, dass schon lange vor ihm, die Chinesen darauf ein weltweites Patent hatten!
Nun gut, Miller, denk nicht immer ganz so kompliziert. Fake-Uhren von Rollflex und Kartier, sogar von Gutschi und Gardine und nicht zu vergessen Bleitring, gibt’s fast überall auf den Flohmärkten der Republik. Wenn man nur die bekannten Schieber aus dem Kiez diskret genug danach fragt.
Nur, warum interessiert sich unser Editor auf einmal für einen solchen Tand? Hat er etwa auch?
„Da Miller, etwas zur Anschauung!“
Er war hinter meinen Sessel getreten und hatte mir eine dieser sehr schönen Uhren vom Deutschen Teil des Erzgebirges auf den Schreibtisch gelegt.
Da war sie! Die Glashütte! Diese Uhr, die nicht umsonst einen vierstelligen Betrag bei ihrem Träger locker gemacht hatte. Nein, diese Uhren waren jeden Cent wert. Tolles Design, edle Zurückhaltung ausstrahlend. Dem Träger etwas von Beständigkeit zu geben bereit. Und nicht zuletzt, dem Besitzer zu seinem Besitzerstolz noch die Gewissheit garantierend, dass er nun auch äußerlich erkennbar, zum Adel der Besitzenden gehöre! Ja wenn…! Ja wenn sie denn echt ist!
„Na klar, Miller, das Ding ist ne echte Fälschung!“
Sprach`s und war schon wieder weg.
Ich sah mir die Uhr ganz genau an, während die Kollegen in der Redaktion sich alle hinter mir versammelten, wohl um nur einen kleinen Blick darauf zu werfen.
Schönes dezentes, sehr weißes Zifferblatt. Möglicherweise sogar eine Spur zu weiß? Eine etwas zu unruhig zuckende Zentral-Sekunde, die möglicherweise das Quarz-Werk verrät, obwohl dick und fett Automatic auf dem Zifferblatt steht. Lederband mit Faltschließe. Irgendwie gediegen, jedoch…?
„Ganz klar, ne Fälschung! Sieht man doch sofort.“
Unser Praktikant Joe, der mit den rostroten Ziegeln auf dem Dach und den Segelohren, aber dem wohl auch größten Talent unter unseren Nachwuchsschmierern hier, hatte sich einfach die Uhr geschnappt und ließ sie nun reihum gehen.
„Würde ich jetzt auch erstmal sagen.“
Unser Kriminal-Bericht-Spezialist Schorsch, der uns unlängst vom Konzern in der Metropole, mitten in die Redaktion gepflanzt wurde, nur weil noch einige der im Land verstreuten Lokalredaktionen, nun nur noch zentral im Werk „gemacht werden“, hatte in seiner betont betulichen Art, die jede wirkliche Meinung schon im Ansatz für obsolet erklärte, wieder mal äußerst vorsichtig geurteilt.
Er legte die Uhr übervorsichtig vor mich hin.
Warum kaufen Leute so einen Schund? Eine Billig-Uhr, die auf den ersten Blick als plumpe Fälschung erkannt, doch höchstens ein wenig Mitleid mit deren Träger, aus den eigentlich zu Beeindruckenden herauskitzelt.
Und dass dieses Machwerk wohl auch dazu gehören musste, darüber waren wir uns wohl alle einig. Jedoch…?
Es war diese Physio-Therapeutin, die sich noch zuletzt so nett um meinen verstauchten Fuß-Knöchel kümmerte, die mir dann, soeben vom Urlaub aus der Türkei zurück, ihre Gutschi-Sonnenbrille zeigte, die sie „fürn Appel und ein Ei“ dort am Strand erstanden hatte. Und jetzt erinnerte ich mich auch wieder an unser Gespräch in der Praxis, als ich ihr wortreich erklärte, dass es meiner Meinung nach höchst fahrlässig sei, in Italien, Griechenland, oder eben der Türkei etwas Gefälschtes einzukaufen. In Griechenland war vor kurzem erst eine Schwedin zu 10.000 Euro Strafe deswegen verknackt worden.
Die Therapeutin hatte nur gelacht. Und nun hatte sie mir stolz ihre Neuerwerbung wie ein Model vorgeführt.
„Ein paar Euro nur, und keine Probleme beim Zoll, Herr Miller!“
Na gut, dachte ich, Glück gehabt, Mädel.
Man kann sich doch heutzutage noch nicht einmal mehr auf diese Burschen vom Zoll verlassen.
O.K., ne Freitfling mit Zentralsekunde in sehr edlem Gehäuse das nach wesentlich mehr aussieht, als es je gekostet hatte, war verdammt nicht zu verachten. Wenn man sich denn diese Breitling im Original einfach nicht leisten kann.
Kann ich, würde sogar die dicke Katze verstehen.
Oder eine Sonnenbrille im schicken Design, damit jeder glaubt, der Zuffenhausener Sportwagen der ja eigentlich unbedingt dazu gehört, ist heute nur zur Großen Durchsicht und man ist deswegen mit dem Mini der Ehefrau unterwegs.
Wobei ich nun endlich beim vom Editor erwünschten Thema wirklich angekommen war.
„Ach ja, nicht die da, das ist natürlich die Fälschung, Leute! Das Ding was ihr ja sofort als Fake erkannt habt, war die Uhr, die mir zum Geburtstag geschenkt wurde. Von meiner Frau und den Kindern. Die hier stammt aus China. Hat unsere Tochter neulich in Antalya gekauft. Sieht meiner Echten zum Verwechseln ähnlich. Ist nur etwas leichter. Nicht viel und nur im direkten Vergleich erkennbar. Und meine Tochter sagt, das Zifferblatt sei etwas liederlich gedruckt.“
Der Editor war von allen unbemerkt wieder eingetreten und hatte eine Dublette der anderen Uhr, in einem kleinen Kästchen vor mich hingestellt.
Alle Kollegen waren nun wieder interessiert hinter mir versammelt. Selbst die Katze hatte ihre Beobachtungsposition auf der Fensterbank aufgegeben und strich stattdessen um meine Beine.
Joe und Schorsch schauten etwas belämmert.
„Also, Miller, sie haben ja jetzt genügen Material. Ich denke, unsere Leser wird’s interessieren was ihnen dazu einfällt. Diese Kopiererei muss ja nicht sein. Da werden jedes Jahr Milliarden mit Fälschungen gemacht und die Rechte-Inhaber der Markenprodukte gehen dabei völlig leer aus. Ach ja, Miller und geben sie der Katze nicht soviel zum Fressen. Die steht ja schon kurz vor einem Herzinfarkt!“
Nachdem er wieder verschwunden war, natürlich erst nachdem er die Uhren wieder eingesammelt hatte, schaute ich fragend die Katze an, die auch schon ganz erwartungsvoll zu mir blickte.
Na gut, sagte ich mir, Herzinfarkt oder nicht. Du bekommst dein Fressen.
Als ich die Dose mit dem Katzenkopf drauf aufriss, stellte ich mir doch tatsächlich die Frage, ob dieses Kittekatt auch schon in irgendeiner Chinesischen Kopieranstalt gefälscht würde.
Ich wusste es nicht. Aber ich war mir da ganz sicher, unsere Katze hier würde jeden Beschiss sofort bemerken.
Kerle, die sich mit kleinen Pillen für ihre Partnerinnen in Höchstform bringen wollen, scheinen dagegen etwas weniger sensibel als unsere Mieze hier zu sein.
Ich jedenfalls hatte im Bekanntenkreis noch keine Beschwerden gehört. Dabei, so sagt die Statistik, ist jedes zweite Pharma-Produkt das im Internet an den Mann gebracht wird, eine Kopie. Teilweise sogar ganz ohne jeden Wirkstoff. Oder mit höchst bedenklichen.
Bei Uhren dagegen dürfte der Prozentsatz noch wesentlich höher sein.
Na gut, der Katze schmeckte es auf jeden Fall. Damit war ja alles in bester Ordnung Sie hatte sich doch auch noch nie ernsthaft über ihre Malzeiten beschwert.
(A.S.) 21.09.2010