Neue Bohnen Zeitung


KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne  –  Oktober 2002



Kleine Philosophie des Lebens …

„Viele Menschen versäumen das kleine Glück, weil sie auf das große vergeblich warten“, stellte Pearl S. Buck schon vor vielen Jahren fest. Die Leute, speziell in der westlichen Zivilisation, leben dahin, hasten von einem Termin zum anderen und vernachlässigen ihr privates Glück. Sie leisten Überstunden über Überstunden um Karriere zu machen, um sich selber wichtig zu fühlen, um viel zu verdienen und sich Prestigeobjekte leisten zu  können. Wenn ich so an einen typischen Vertreter dieser Spezies denke, fällt mir immer meine frühere Kollegin Hanna ein, mit der ich einmal befreundet war. Wenn Sie meine Kolumne regelmäßig lesen, erinnern Sie sich sicher an sie (es gibt ein paar Geschichten über sie) und wie unsere Freundschaft dann zu Ende gegangen ist („Im Krieg und in der Liebe…“). Hanna ist eine Vertreterin der Menschen, die nie genug haben können von den Errungenschaften des Wohlstands. Was immer sie bekam oder sich erarbeite (wie die Frau des Fischers aus dem bekannten Märchen) – es genügte ihr einfach nicht oder nur für den Moment. Hanna war gut verheiratet, hat zwei gesunde, wohlgeratene Kinder, ein schönes Haus, ein großes Auto – viele Leute haben das nicht. Aber sie begriff nie, was sie eigentlich für einen großen Schatz besaß – so träumte sie von einem Cabrio als nächstem großem Ziel.

Wenn ich mich so an sie zurückerinnere, fällt mir als aller erstes ein, dass immer eine große Sehnsucht oder auch Unzufriedenheit in ihr war. Ich hörte sie eher selten darüber reden, wie froh und dankbar sie wäre für ihre Familie und den Wohlstand, den sie genießen durfte. Dafür jammerte sie stets, was sie nicht hätte, was sie gern haben würde und was ihr so abging zur völligen Zufriedenheit – dabei fehlte ihr doch im Grunde gar nichts – weder an materiellen noch an privaten Errungenschaften. Viele  Leute würden sie beneiden, und auch ich habe das in gewisser Art und Weise getan. In meinen Augen braucht man gar nicht mehr zum Lebensglück, aber sie realisierte das nie. Warum ich Ihnen das erzähle? Nun, Mitte August wurde mein Bezirk besonders schwer vom Hochwasser heimgesucht. Sie werden sicher noch wissen, dass im Raum Perg besonders der Markt Schwertberg betroffen war und einige Zeit sogar von der Außenwelt abgeschlossen war. Und Hanna lebt mit ihrer Familie in Schwertberg und dürfte sich mit ihrem Mann und den Kindern in der Zeit einiges mitgemacht haben…

Auch wenn ich keinen Kontakt mehr zu ihr habe und auch nicht wieder anknüpfen möchte, musste ich doch seither öfter an sie denken und hab mir überlegt, wie es ihr wohl geht, wie sehr das schmucke Haus in Mitleidenschaft gezogen worden ist und wie sie diesen Schicksalsschlag wohl angenommen hat… Nach dem großen Schock und der ersten Verzweiflung entweder mit Entschlossenheit und Stärke oder mit großem Selbstmitleid und Resignation..? Ich würde ihr ehrlich wünschen, dass sie an dieser Katastrophe gereift ist und begriffen hat, was ihr das Leben alles vorher geschenkt hatte. Vielleicht nutzt sie das große Unglück tatsächlich als die Chance ihr Leben zu ändern: nämlich das zu schätzen, was man hat statt dem Unerreichbaren oder nicht wirklich Wichtigem nachzujagen…

Wenn man über unser Dasein so nachdenkt, gibt es oberflächlich betrachtet zwei Arten von Unglücksschlägen, die einen treffen können. Es gibt die Katastrophen wie beim Hochwasser oder etwa in Kaprun vor zwei Jahren, die wie der Blitz aus heiterem Himmel in unserer Leben der Bequemlichkeit und Beschaulichkeit einschlagen und durch die wir uns von einem Tag auf den anderen mit völlig neuen Gegebenheiten abfinden müssen… Schicksalsschläge, an denen wir reifen können aber auch zerbrechen, je nachdem, wie wir damit umgehen.

Dann gibt es noch eine andere Form des Unglücks das uns heimsuchen kann, dann nämlich, wenn sich schon fast auf groteske Weise gewissen Szenarien in unserem Leben wiederholen. Haben Sie nicht auch eine Freundin, die Ihnen ständig vorweint, dass sie so gern in einer Beziehung leben würde aber sie gerät immer nur an beziehungsunfähige Chaoten? An solche, die sich aus dem Staub machen, gerade in dem Moment, wenn sie die Ebene von der Freundschaft zur Liebe überschreiten möchte? Oder passiert es Ihnen gar selbst, dass Sie keine wirklichen Freunde haben sondern immer nur ausgenutzt werden? Wenn jemand Sie braucht, schreien Sie automatisch ja, bevor Sie überhaupt wissen worum es geht? Oder Ihr Chef teilt immer nur Sie für Überstunden ein? Genau, und da ist doch noch dieser Nachbar, der schon des Öfteren erzählt hat, wie das war mit seinen beiden Frauen, die ihm immer die große Liebe vorgetäuscht haben und die ihn auf einem Schuldenberg sitzen haben lassen?

Es gibt viele solcher Geschichten. Der eine wird in jeder Firma gemobbt, weil er sich nicht traut, dagegen aufzutreten und die andere gerät immer nur an Männer, die sie einengen, demütigen  und unterdrücken, weil deren kranke Persönlichkeit jemanden sucht, den sie noch kleiner machen können, als sie selbst sich fühlen… Endlosschleifen im Leben, die ein Horror sein können, aber eben auch ein Anlass, sich selbst bei der Nase zu nehmen und zu sagen, ich mach was Besseres draus. Ich ändere mein Verhalten, ich ändere mein Leben – wenn man die Muster erkennt und die richtigen Schlussfolgerungen daraus zieht. Und dabei begreift, dass das eigene Fehlverhalten solche Probleme, die sich immer in ähnlicher Form wiederholen, gezielt zu Tage fördert. Diese Schemata zu erkennen ist wie das Durchschlagen des so genannten „Gordischen Knoten“ – das Leben selbst macht uns durch solche „Wiederholungen“ darauf aufmerksam, dass wir etwas falsch machen und etwas ändern müssen.

Drum prüfe, wer sich ewig bindet...! sollte sich der Mann überlegen, der statt der großen Liebe immer nur Frauen trifft, die ihn finanziell ausbluten. Wer so verkrampft nach dem Mann oder der Frau für’s Leben Ausschau hält, wird immer nur an die unpassenden Partner geraten. Ebenso wie die Frau, deren potentielle Lebensgefährten sich aus dem Staub machen, wenn’s zur Sache geht. Wenn die nicht jeden Mann, den sie trifft, als möglichen Freund ins Auge fassen würde, geriete sie nicht immer an die Typen, die an keiner Beziehung interessiert sind. Und wer aus Harmoniesucht jedem Konflikt aus dem Weg geht, muss halt auch den Kopf hinhalten: der eine wird in der Firma gemobbt und der Lebenspartner der anderen nimmt sich immer mehr heraus…

Jeder ist seines Glückes Schmied, das Sprichwort stimmt schon. Nicht die Schicksalsschläge prägen uns so sehr als die Lehren, die wir daraus ziehen – oder auch nicht.  Nicht das Unglück macht uns fertig sondern wir selbst, wenn wir daran verzweifeln oder mit dem Schicksal hadern. Niemand hat es leicht, nur wenige von uns bleiben von größeren Schicksalsschlägen mehr oder weniger verschont. Jeder trägt sein Binkerl und darum sollte man sich die Zeit nehmen, jeden Augenblick des Glücks zutiefst zu genießen, ihn intensiv zu spüren und mit jeder Faser auszukosten. Solche Momente sind schnell wieder vorbei und der graue Alltag hat uns wieder.

Paul McCartney hat Ende der 80er Jahre einen seiner besseren Songs veröffentlicht, der diese Lebensphilosophie ganz treffend beschreibt: In „This One“ geht es um einen Mann, der realisiert, dass er seine Frau nie in den Arm genommen hat, um ihr zu sagen, wie sehr er sie liebt und was sie ihm bedeutet – weil er immer auf eine Situation gewartet hat, in der es besser passen würde. Aber dieser Moment kam dann eben nie. Der Punkt ist: jeder Augenblick ist der geeignete Augenblick zu sagen: Ich liebe dich, Ich bin so glücklich oder Was für ein wundervoller Tag, es kommt nie eine bessere Gelegenheit nach. Und damit hat Paul McCartney völlig Recht. Packen wir das kleine Glück, das wir haben, beim Schopf! meint

Vivienne

 

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