KRITISCH BETRACHTET
von Vivienne – Juli 2003
Von der ärztlichen Schweigepflicht…
Wenn unsereins mit wichtigen Befunden zum Hausarzt unterwegs ist, befällt einen immer ein mulmiges Gefühl. Zumindest mir selber geht es oft so. Mit den lateinischen Ausdrücken und Bezeichnungen, die im Arztbrief aufscheinen, findet sich kaum jemand zurecht. Aber selbst wer die Courage hat, nachzuhaken, erhält oft nicht die gewünschte Auskunft. Wo Informationen fehlen, wachsen die Gerüchte, besagt nicht umsonst ein alter Spruch. Gerade beim Arzt wären aber offene und eindeutige Erklärungen angebracht: schließlich will man wissen, wenn einem etwas fehlt und wer wünscht sich nicht eine Arztpraxis zu verlassen mit dem positiven Gefühl, dass alles in Ordnung ist?
Das hätte ich auch gern getan, Mitte Mai dieses Jahres. Routinemäßig wollte ich schließlich bin ich nicht die Dünnste! mit einem EKG das Herz überprüfen lassen und nebenbei ein Auge auf meinen Blutdruck haben: der neigt nämlich zu Schwankungen. Als ich nach dem EKG mit dem Internisten meinen Befund besprechen wollte, wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben bewusst mit einer Form der ärztlichen Schweigepflicht konfrontiert, die für einen mündigen Patienten wie mich, gelinde formuliert, ein ziemliches Ärgernis darstellt. Der Arzt hatte schon die üblichen Floskeln auf den Lippen, von wegen, es passe alles, als er bei einem Blick auf die Auswertung einen überraschter Laut nicht verhindern konnte: Ah, das ist ja Herzblock rechts, total!
Dieser nebulose Ausdruck versetzte mich rasch in einen Zustand der Beklemmung. Es irritierte mich, was und wie er es gesagt hatte und es wäre wohl nicht ich gewesen, wenn ich nicht sofort nachgefragt hätte. Und? Was ist das? Einerseits war es fast vergnüglich, wie sich der Arzt in den folgenden Minuten mit Floskeln und fast hilfloser Herumrederei der Aufgabe entzog, mir ins Gesicht zu sagen, was es mit dieser Diagnose auf sich habe. Andererseits stieg meine eigene Unsicherheit, weil mir mein Kopf sagte, wenn es etwas Simples wäre, dürfte er doch keine Schwierigkeiten haben, mich mit den Fakten vertraut zu machen. Aber unfassbar, doch wahr der Internist brach schließlich das Gespräch ab, verwies auf seine volle Praxis und wälzte das Problem einfach ab: mein Hausarzt werde den Befund demnächst erhalten. Zwischendurch hatte er kurz die Frage eingeworfen, ob ich öfter ohnmächtig würde, schon umgefallen wäre, etc, was ich verneint hatte. Im Moment sah ich auch keinen Zusammenhang.
Da ich selber wieder in die Arbeit musste, gab ich es auf, den Mediziner diesbezüglich zu bedrängen. Aber während ich in der Straßenbahn saß und mit flauem Gefühl im Magen über das Verhalten des Arztes nachdachte, kamen mir auch Gedanken, ob ich ernsthaft herzkrank sein könnte. Im Grunde konnte ich es mir nicht vorstellen. Zwar sind Herzkrankheiten in meiner Familie nichts Ungewöhnliches, aber ich selber hatte nie das Gefühl gehabt, mit meinem Herzen könnte etwas nicht stimmen. Ganz im Gegenteil: trotz eines gewissen unleugbaren Übergewichts bin ich stark und robust, ausdauernd und durchaus auch zu anstrengender, körperlicher Arbeit fähig. Keine Rede von Herzstechen oder Beklemmungsgefühl. Während mir diese Überlegungen durch den Kopf gingen, kam mir aber eine Erinnerung an meine letzten EKGs vor fast 10 Jahren.
Mein damaliger Internist, mittlerweile in Pension, hatte mir nach den Untersuchungen nämliche ähnliche Fragen gestellt wie sein Kollege an diesem Tage: ob ich öfter umfallen würde, etc. Ich hatte nie den Eindruck gehabt, dass mein damaliger Arzt seiner Pflicht mir gegenüber nicht sorgfältig nachgekommen wäre. Doch diese Einschätzung verwischte sich jetzt. Ich konnte mich des Gedankens nicht mehr erwehren, dass auch mein damaliger Internist schon diese Diagnose gestellt hatte. Nur hatte er es überhaupt vorgezogen zu schweigen, da mein Leben ganz offensichtlich nicht davon beeinträchtigt war. Jetzt war ich sauer was dachten sich denn diese Mediziner eigentlich?
Aus einem Lexikon der medizinischen Fachausdrücke kletzelte ich mir man kann sagen über mich, was man will, aber hartnäckig bin ich! schließlich die medizinische Erklärung heraus. Herzblock, rechts, total heißt um auch Ihre Neugierde zu stillen dass bei mir die Erregungsleitung zwischen rechter Vorkammer und Hauptkammer unterbrochen ist. Etwas anders formuliert: Vorkammer und Hauptkammer schlagen unabhängig voneinander, oder etwas ironisch betrachtet: bei mir gibt es nicht einen Herzschlag sondern deren zwei, zumindest rechts also. Jetzt konnte ich mir auch erklären, warum die beiden Internisten wissen wollten, ob ich zu Ohnmachtsanfällen neige. Ganz klar, wenn diese beiden verschiedenen Erregungsleitungen außer Tritt zueinander geraten, kann einen das schon umwerfen. Bei mir war das aber offensichtlich noch nie der Fall gewesen.
Wenn ich jetzt gemeint hatte, mein Hausarzt würde mich über mögliche Auswirkungen dieser Anomalie denn nichts anderes bedeutete diese Diagnose aufklären, so hatte ich mich gewaltig geirrt. Alles in Ordnung! hieß es lapidar, meine Blutwerte, die im Übrigen wirklich den Richtwerten entsprachen, durfte ich mit nach Hause nehmen. Das mulmige Gefühl im Bauch wurde wieder akut. Warum kann kein Arzt Klartext sprechen? Wird mir da bewusst etwas vorenthalten? Eine Freundin, der ich mich anvertraute, beruhigte mich, sie verwies mich an ein paar Seiten im Internet, und mit Glück machte ich dort auch noch ein Service aus, bei dem medizinische Diagnosen via Email von deutschen Internisten kostenlos erklärt werden. Jetzt hab ich dich! dachte ich mir und verschickte meine Frage.
Eine automatische Email mit dem Hinweis, man werde sich so schnell wie möglich um mich bemühen, kam noch am selben Tag. Auf eine genaue Erläuterung warte ich bis heute. Niemand befand mich einer Antwort würdig. Da steh ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor… Möglicherweise finden Sie meine Hartnäckigkeit übertrieben, aber mir persönlich geht gegen den Strich, wie man als Patient bei uns abgespeist wird. Eigentlich ein Skandal, und diese Form der ärztlichen Schweigepflicht entmündigt jeden Kranken bzw. jeden Menschen, der ärztlichen Rat einholt. Ich persönlich glaube ja trotz der fehlenden Erläuterung nicht an meinen plötzlichen Herztod. Vielmehr hab ich das Gefühl, dass da bemäntelt werden soll, dass arzt halt selber nicht so genau weiß, welche Auswirkungen diese Anomalie auf mich und meinen Organismus haben kann. Und welcher Mediziner will schon sein Gesicht verlieren…
Fast zur selben Zeit war übrigens bei einer Folge von Vera ein Pathologe zu Gast, der mit einem Buch ärztliche Pfusche und Schlampereien aufdecken möchte. Nie werde ich die Geschichte jener Patientin vergessen, die der Arzt zur Untermauerung seiner Thesen erzählte. Diese Frau war mit chronischen Magenbeschwerden ins Spital gekommen und es wurde eine Magenspiegelung bei ihr durchgeführt. Leider wurden danach zwei Befunde vertauscht und der an sich gesunden Frau wurde wegen eines angeblichen bösartigen Tumors der ganze Magen entfernt. Nach der Operation stellte sich natürlich die Verwechslung heraus, doch der Chirurg weigerte sich, den groben Fehler gegenüber seiner Patientin einzugestehen: Wir können es ihr jetzt nicht sagen. Der Pathologe, der den Irrtum festgestellt hatte, hakte nach. Der Chirurg wand sich heraus: Schauen Sie, die Frau ist jetzt in einer schlechten seelischen Verfassung, depressiv. Warum? ließ der Kollege nicht locker. Ja, wir haben ihr gesagt, dass sie keine Chemo braucht. Jetzt glaubt sie, sie ist so krank, dass eine Chemo nichts mehr bringt…
Glauben Sie mir, manchmal hat man allen Grund sich als Patient zu fürchten vor dem ärztlichen Schweigen….
Vivienne
PS: Wenn es unter Ihnen, liebe Leser, jemanden gibt, der die oben gestellte Diagnose bei meinem EKG noch deutlicher erklären kann, wäre ich über eine Rückmeldung hoch erfreut!
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