von Vivienne – Juli 2004
Das „Recht“ auf Abtreibung?
Im Jahre 1973, also im Zuge der Reformtätigkeit der SPÖ-Alleinregierung unter Kanzler Bruno Kreisky, wurde auch die so genannte Fristenlösung beschlossen. Sie trat in Folge derart in Kraft, dass, stark vereinfacht formuliert, eine Schwangerschaft in den ersten drei Monaten ohne medizinische Indikation beendet werden kann, später auch noch, wenn schwerwiegende Gründe dies befürworten. Die Katholische Kirche führte immer wieder einen Feldzug gegen diese Gesetzesregelung, musste aber bis dato zur Kenntnis nehmen, dass auch die blau-schwarze Regierung, mehr oder minder christlich-sozial angehaucht, unter Kanzler Schüssel noch nichts Markanteres gegen dieses Gesetz plant, so weit das bekannt ist.
Ich habe hier und jetzt nicht vor, pro und contra Fristenlösung zu predigen. Meine grundsätzliche Meinung ist, dass jeder Fall einzigartig ist, und ob eine Frau oder eine Familie sich zu diesem Entschluss durchringt, muss sie selber entscheiden und vor sich selber verantworten. Ich halte es in der Hinsicht mit Christus: wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein! Erstaunlich ist für mich trotzdem immer wieder, wie leicht einem eine Abtreibung teilweise gemacht wird. Ich erinnere mich noch gut daran, als eine meiner Schwestern vor mittlerweile über 18 Jahren überraschend schwanger wurde. Sie selber besuchte, noch nicht 19 Jahre alt, gerade die Mittelschule in Linz, und das mit sehr gutem Erfolg, ihr Freund (und späterer Ehemann) studierte noch und tüftelte fleißig an seiner Diplomarbeit.
Ihre Schwangerschaft war also logischerweise nicht unbedingt geplant gewesen. Eine versierte Frauenärztin bestätigte schließlich den Verdacht mit folgenden, kurzen Worten: Ja, Sie sind schwanger. – Wollen Sie es weghaben? Lassen Sie dieses Zitat einmal auf sich wirken, liebe Leser. Natürlich war die Situation im ersten Moment betrachtet nicht unbedingt günstig für das junge Paar. Aber auch kein Grund für Weltuntergangsstimmung. Zwei Monate später waren die beiden verheiratet, mein Schwager legte seine Abschlussprüfungen an der Uni ab, begann zu arbeiten und ein gutes halbes Jahr danach kam ein gesunder Bub zur Welt, der in den nächsten Jahren noch zwei Schwestern bekam. Ich habe ein besonderes Verhältnis zu dem jungen Mann, den ich auch firmen ließ und mein Leben ist reicher geworden durch ihn Das kurz noch dazu.
In diesem Fall war die unerwartete Schwangerschaft also zu einer Herausforderung geraten, die das Paar mit Bravour bewältigte. Damals wie heute schockiert mich die Leichtigkeit, mit der die Medizinerin eine Abtreibung mehr oder weniger gleich vorschlug. Wenn unheilbar Kranke unter großen Schmerzen dahinsiechen oder Hirntote an Atmungsmaschinen hängen, sprechen ihre Kollegen gerne von der Pflicht leben zu retten oder zu verlängern. Kurios, würde ich das umschreiben, um nicht zu sagen grotesk. Denn damit dürfte ja wohl eindeutig feststehen, dass ein Ungeborenes Kind weniger Recht zu leben hätte als ein Krebspatient, der nur mehr Schmerzen hat, und genau weiß, dass er sterben wird. Dabei stehen im Grunde beide an ganz verschiedenen Positionen im Dasein.
Das Ungeborene ist an der Schwelle zum Beginn seines Lebens, während der Siechende dem Tode schon ins Auge blickt, um es blumig zu umschreiben. Trotzdem darf der (ungewollte) Fetus unter gewissen Voraussetzungen relativ ungehindert abgetrieben werden, während im Normalfall die Familie des Sterbenden keine Möglichkeit hat, dessen Leid abzukürzen. Ich denke, das wirft ein bezeichnendes Licht auf unsere Gesellschaft, und unter dieser Voraussetzung darf man nicht erstaunt sein, dass Europa ein Kontinent ist, der im westlich orientierten Bereich schon auszusterben begonnen hat. Die Bevölkerung schrumpft sozusagen, denn die Paare bringen immer weniger Kinder zur Welt und der Trend setzt sich auch weiter fort. Nochmals möchte ich darauf hinweisen, dass ich an dieser Stelle nicht grundsätzlich Stellung gegen die Abtreibung beziehen will. Ich war noch nie in der prekären Situation, mich für oder gegen ein Kind entscheiden zu müssen.
Ich habe nur schon oft den Eindruck gewonnen, dass unsere Gesellschaft sehr kinderfeindlich auftritt. Kinder gelten als wohlstandsmindernd, wo sie etwas gehäufter (also mehr als zwei) auftreten, ja, Eltern, die es wagen mehr Kinder als der Durchschnitt in die Welt zu setzen, werden von besonders hellen Zeitgenossen als asozial beschimpft. Es ist nicht modern, sich für eine große Familie zu entscheiden, Verantwortung für diese zu tragen und deswegen auch finanzielle Abstriche in Kauf zu nehmen. Mit dem grotesken Effekt, dass es wie beschrieben, einfacher ist, werdendes Leben schneller wieder zu beenden als Siechende und Todkranke würdevoll sterben zu lassen oder eine lange Leidensphase zu vermeiden.
Das Recht auf Abtreibung? Ich bin nach wie vor der Meinung, dass jeder dieser Fälle einzigartig ist und möchte in niemandes Haut stecken, der bzw. die in einer Zwangssituation vor einer derartigen Überlegung steht. Zu leicht sollte es sich aber auch niemand machen, vor allem, wenn er nur indirekt davon betroffen ist, wie etwa als Mediziner oder (ungewollter) Vater. Meine Schwester, von der ich Ihnen erzählt habe, hat in ihrer Situation natürlich auch Glück gehabt, keine Frage. Glück, das nicht jedem Mädchen in ihrem Alter und in einer vergleichbaren Situation widerfährt. Aber trotzdem ist ihre Geschichte auch der lebende Beweis dafür, dass das Leben nicht gleich verpfuscht ist, wenn so etwas passiert.
Abtreibung ist nicht immer der einzige Ausweg
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