von Vivienne – August 2004
Weg mit der Reform?
Lange kreisten die Verantwortlichen und schließlich wurde die neue Rechtschreibreform für die deutschsprachigen Länder beschlossen. Aus Stengel wurde Stängel, aus Tip wurde Tipp und wann man jetzt dass oder das anwendet, wurde angeblich auch vereinfacht. Angeblich. Denn das Letzteres für viele Mitmenschen nach der Reform ein noch größeres Mysterium ist, hab ich selber schon bemerkt. Nun preschten deutsche Verlage (Springer, Spiegel und Süddeutsche) vor und haben beschlossen jetzt, nach 5 (!) Jahren, der Rechtschreibreform den Kampf anzusagen bzw. diese zu boykottieren. Das mutet doch etwas grotesk an. Weg mit der Reform, die mit derartig großen Mühen umgesetzt wurde? Wieso jetzt? Und nicht vor 5 Jahren?
Ich muss gestehen, ich hatte nicht besonders viel Freude mit dieser Rechtschreibreform. Immerhin hatte ich über dreißig Jahre recht gut mit der alten Rechschreibung gelebt, die uns speziell in der Hauptschule ein rechtes Ungeheuer von einer Deutschlehrerin eingebläut hatte. Viel war hängen geblieben, meine Rechtschreibung war auch zuletzt nie schlecht, weil ich einen gesunden Bezug zur Sprache habe. Dass das nicht selbstverständlich auf jeden Zeitgenossen zutrifft, habe ich auch akzeptiert. Ich habe die Reform deshalb mit Kopfschütteln aber doch zur Kenntnis genommen. Und mich begonnen, mich mit ihr auseinander zu setzen. Als erstes wanderte ein ausführliches Wörterbuch mit der neuen Rechtschreibung in mein Bücherregal. Zwar hab ich nie gezielt gelernt damit, aber im Zweifelsfalle die Möglichkeit gehabt, nachzuschlagen. Vieles habe ich auch aufgeschnappt, einiges habe ich so einfach gelernt, ohne mich wirklich damit zu befassen.
Mir ist klar, dass man auch diese Neigung nicht automatisch bei allen Leuten erwarten darf. Und sicher wären auch meine eigenen Kenntnisse sehr rudimentär geblieben, hätte ich mich nicht im Jahre 2000 vernetzen lassen. Mit diesem gewaltigen Einschnitt in mein Leben kam auch die Möglichkeit, sich im Web Informationen zu beschaffen. Mit der (gebrannten) Version von Office XP hielt dann das neue Zeitalter endgültig Einkehr auf meinem Schreibtisch. Ich habe Word so eingestellt, dass jeder Tippfehler sofort angezeigt wird. Und glauben Sie mir, liebe Leser, effizienter kann man die neuen Rechtschreibregeln nicht automatisieren. Ich kann nur jedem, der in seiner Arbeit viel am PC sitzt und auch immer wieder Texte in Word verfasst (oder Email in Office), es so zu machen wie ich. Es ist unglaublich, was man dabei lernt. Und ich denke, mittlerweile bin ich recht sattelfest. Nicht perfekt, aber ich kann mit der Reform umgehen.
In dieselbe Kerbe schlagen auch einige Mütter, die ich kenne. Wer sich mit den Hausaufgaben der eigenen Kinder auseinandersetzt, versichert mir immer glaubwürdig, einen guten Überblick über die Reform erworben zu haben. Dass ich in dem Zusammenhang auch immer wieder höre, dass sich Lehrer selbst die Schüler sich nicht auskennen, erscheint mir doch etwas übertrieben. Wenn ein Pädagoge nicht so lernfähig ist, dass er sich ernsthaft und erfolgreich mehr als nur die Grundbegriffe der Änderungen seiner eigenen Sprache aneignet, dann fehlt es an mehr als nur an der nötigen Flexibilität. Dabei orte ich aber weniger Dummheit als vielmehr eine gewisse Auflehnung, um nicht zu sagen jene Sturheit, um sich gegen das Neue zu stellen. Oder anders formuliert: wenn ein Lehrer Probleme mit der Reform hat (Akademiker, bitte!), liegt es nicht am Können sondern am Wollen. Und das, liebe Leute, kann man nicht durchgehen lassen. Zu pragmatisiert um sich weiter zu bilden?
Im Grunde wäre es ein völliger Unsinn, jetzt, das Ganze zum Scheitern zu bringen: Marcel Reich-Ranicki in allen Ehren (den ich im Übrigen für einen genialen Kopf halte, das nur Nebenbei!): man kann doch nicht ernsthaft annehmen, man könnte diese Reform für Null und Nichtig erklären und wieder zum Status quo zurückkehren. Das ist nämlich nicht möglich. Nicht mehr. Man hat den Karren angefahren, ich betone wieder, glücklich war ich nicht darüber, aber ich habe versucht, das Beste daraus zu machen und mich angepasst. Und deshalb muss man ihn jetzt auch weiterlaufen lassen. Natürlich könnte ich mich wieder umstellen, ganz sicher sogar aber mit Verlaub: wer könnte das noch so leicht? Ist das nicht ein bissl viel verlangt, allein in Deutschland Millionen Schüler wieder umzustellen? So nach dem Motto: Alle vorwärts, wir müssen zurück!? Keine Frage, man hätte sich die Reform der Rechtschreibung besser überlegen müssen, und Skepsis und Widerstand sind nachvollziehbar. Allein der Schritt ist irreversibel, wir können diese Reform nicht mehr umkehren, ohne ein riesige Chaos auszulösen Und wollen wir das wirklich?
Warum nehmen wir sie nicht endlich an ?
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