Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Jänner 2005



Die (vermeintliche) Ohnmacht im Alltag

Hand auf’s Herz: es gibt nicht wenige Situationen in unserem Leben oder unserem Umfeld, die uns etwas überfordern. Obwohl wir vielleicht gar nicht selbst unmittelbar davon betroffen sind. Die Flutkatastrophe etwa in Süd-, Südostasien, allgegenwärtige Hungerkatastrophen auf dem afrikanischen oder asiatischen Kontinent, Kriege und das damit verbundene Leid in aller Welt. Wir bekommen diese Neuigkeiten alltäglich im Patschenkino vorgesetzt, erste Reihe fußfrei. Und irgendwann kommt der Punkt, an dem wir abschalten – nicht das TV-Gerät sondern uns selbst. Unser Gefühlsleben. Wir schotten uns ab, wir stumpfen ab, wir lassen all das nicht mehr an uns heran. Wir können ja eh nichts tun…

Einerseits eine verständliche Reaktion. Wir können uns nicht all des Leids und des Unrechts auf aller Welt annehmen. Auch wenn uns diverse Bettelbriefe mit Erlagscheinen, die das ganze Jahr über und speziell im Advent und in der Vorweihnachtszeit ins Haus flattern, weiß machen wollen: du kannst. Durch Geld. Aber wer sich einmal die Mühe gemacht hat, sich alle Bitten um Spenden aufzuheben, bzw. jene in den Medien zu notieren, wird ernüchtert feststellen: das kann er nicht. So viel Geld verdient kein Normalsterblicher in Hundert Jahren, als was er über ein Jahr verteilt zahlen sollte. Für die gute Sache. Und wenn wir ehrlich sind: um sich selbst zu beruhigen. Um sich ein gutes Gewissen zu erkaufen. Derartige Kritik wird immer wieder laut.

Sie ist nicht immer und nicht völlig gerechtfertigt. Wir können zum Beispiel nicht alle daheim alles liegen und stehen lassen und nach Äthiopien fliegen um Karl-Heinz Böhm in seinem Projekt „Menschen für Menschen“ tatkräftig mit dem Spaten oder der Säge in der Hand vor Ort zu unterstützen. Eine derartige Einstellung ist unrealistisch. Andererseits kann man  auch nicht vor lauter schlechtem Gewissen und psychologischen Druck jeder vielleicht noch so sinnvolle Aktion wirklich unter die Arme greifen. So hart es klingt – wer helfen will, muss eine Auslese treffen, sich ein paar Sachen herauspicken und gezielt spenden, wo er wirklich überzeugt ist.

Im Grunde geht es uns in Österreich – blauschwarze Koalition hin oder her – recht gut. Zumindest den meisten. Zumindest jenen Glücklichen, die einen Arbeitsplatz haben und eine erschwingliche Wohnung. Und warum sollte man sich auch nicht dieses Glück – nichts anderes ist es! – auch bewusst machen und aus Dankbarkeit dafür eine ehrenamtliche Arbeit ausüben? Denken Sie einmal nach: Hat schon einmal jemand von Ihnen, liebe Leser, mitten in der Nacht oder am Feiertag einen Unfall gehabt oder ganz dringend die Dienste eines Spitals benötigt? Wer von uns ist sich auch darüber im Klaren, wer diese immens wichtige wie rasche Hilfestellung leistet?

Die Helfer in jenen Rettungswagen, die zu solchen Einsätzen gerufen werden, sind (neben Zivildienern) zum größten Teil ehrenamtliche Mitarbeiter, die ihre Freizeit opfern. Aus persönlichem Engagement und aus Überzeugung heraus. Ein guter Freund von mir ist zum Beispiel beim Samariterbund in Linz tätig, und für ihn ist diese Position schon lange zu einem zweiten Lebensinhalt geworden, neben seinem normalen 40-Stunden-Job in einer Mühlviertler Gemeinde. Hat sich jemand von Ihnen, liebe Leser, schon einmal Gedanken gemacht, dass unsere gesundheitliche Notversorgung längst zusammengebrochen wäre, wenn es nicht all die engagierten Menschen gäbe, die sich ehrenamtlich und (praktisch) unentgeltlich dieser eklatanten Lücke in unserem Gesundheitssystem annehmen würden?

Ich möchte hier keine Lanze für das Ehrenamt brechen. Jeder muss selber wissen, was er in unsere Gesellschaft – so muss man wohl sagen? – an unentgeltlichen Leistungen einbringen will. Nur: die Hände in den Schoß legen und den Herrgott einen guten Mann sein lassen ist auch keine Lösung, wenn es darum geht, schwerwiegende Probleme bei uns oder auch weltweit anzugehen. Mein Klassenvorstand im Gymnasium, eine engagierte Pädagogin, war freiwillig fünf Jahre in Afrika in Sachen Entwicklungshilfe im Einsatz. Ein Engagement, das mir imponiert: reden und kritisieren kann man viel, aber im Endeffekt ist es oft nur tatkräftige Hilfe, durch die man einen anderen Blickwinkel erhält und die einen Blick hinter die Kulissen möglich macht.

Zu jammern, dass man ohnedies nicht alle unterstützen kann und genau aus diesem Grund niemandem zu helfen, ist billig. Ein einzelner kann die Welt nicht radikal ändern und besser machen, das stimmt. Aber nur, wer selber etwas in die Hand nimmt, kann zumindest im Kleinen einen Anfang für eine Welt zu zimmern versuchen, die wieder etwas menschlicher wird. Die Welt wird nie gut, aber sie könnte besser werden, wusste schon Carl Zuckmayr. Im Grunde ein Auftrag an uns alle: wegschauen und bloßes Kritisieren ist das letzte, das die Not um uns lindert, die Welt lebenswerter macht. Auch wenn sich alles Leid nicht mit einem Mal beseitigen lässt: Wer nicht anfängt, wird nie etwas ändern. Es gibt keine Ohnmacht im Alltag – sondern  nur Menschen, die stehen und schauen und krank jammern, wo oft nur aktives Handeln viel verbessern würde.

Vivienne

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