Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Ich bin immer pünktlich!

Man mag an Astrologie glauben oder nicht – die sprichwörtliche Pünktlichkeit, Pingeligkeit oder Verlässlichkeit der Jungfraugeborenen ist mir (ich hab selber Anfang September Geburtstag) schon von Kindesbeinen an in Fleisch und Blut übergegangen. Ich bin selber sehr korrekt auf diesem Gebiet und erwarte das auch von den anderen. Neulich erst ist es mir passiert, dass mich eine Freundin, Carola, um eine Stunde versetzte, und ich rotierte innerlich, war aber andererseits zu gut erzogen, um mich einfach aus dem Staub zu machen. Albert hatte gelacht, als ich ihm eine lange Litanei über Carolas ständige Unverlässlichkeit vorjammerte. „Ich wette, sie ist überhaupt erst eine Stunde später wie abgemacht von Wels losgefahren!“

„Sag, mein Schatz: warum bist du dann in dem Lokal geblieben und hast weiter auf sie gewartet?“ argumentierte er nicht unlogisch. „Du kennst Carola ewig und weißt, dass sie ein Problem damit hat, irgendwelche Termine einzuhalten. Das macht sie nicht einmal absichtlich, ihr fehlt einfach die Planung und die Orientierung. Weißt du, wenn du nicht mehr warten willst – dann geh! So einfach ist das. Aber bleiben und hinter her sudern, das macht eigentlich auch keinen Sinn für mich!“ Ali grinste mich unverschämt an, während ich ihm einen tödlichen Blick aus meinen Augen schickte. Aber ich musste innerlich zugeben, er hatte sicher nicht Unrecht.

Trotzdem konnte ich es mir nicht verbeißen, ihm neben meiner optischen „Attacke“ auch noch ein paar Worte entgegenzuhalten. „Pass auf, mein Herz, einteilen kann man es sich immer. Ich bin noch nie in meinem Leben zu spät gekommen, weil ich mir was dabei denke, wenn ich etwas ausmache. Aber wenn du meinst…“ – erneut ein Pfeil aus meinen Augen in seine Richtung – …wechsle ich das Thema.“ Pünktlichkeit ist für mich immer auch ein Zeichen der Höflichkeit und Wertschätzung gegenüber dem anderen gewesen, und es behagte mir gar nicht, wenn das jemand nicht so wichtig nahm wie ich.

Schlug der letztjährige Sommer alles bisher Dagewesene in Sachen Sonne, Sonne und nochmals Sonne, lässt der heurige wiederum nichts aus, was Regen, Wolken und Sturm betrifft. Nichts desto trotz hatten Albert und ich neulich einen Wochenendtrip in die Obersteiermark geplant, um eine seiner Tanten zu besuchen. Wir zwei hatten vereinbart, dass ich nach der Arbeit sofort in einen Linienbus einsteigen würde, der nur jede halbe Stunde in Richtung seines Arbeitsplatzes geht. Bei der vorletzten Haltestelle wollte Albert auf mich warten, mit dem Gebäck im Auto, und mit mir durchstarten. Ich hatte alles sorgfältig geplant, so wie es mir eigen ist.

Der Bus fuhr um 14:03 Uhr ab, also hatte ich alle Zeit der Welt um zur nächstgelegenen Haltestelle der Linie 53 zu gehen, und würde laut Fahrplan um 14:25 Uhr von meinem Freund in Empfang genommen werden. Der Arbeitstag schlich dahin, immer wieder Wolkenfelder, immer wieder heftiger Regen und Gewitter – das alles wirkte demotivierend auf mich, aber auch auf die Kollegenschaft. Dreiviertel zwei. Also gut, ich loggte mich aus, packte meine Sachen zusammen, als meine Chefin nach mir rief. „Mein Gott, haben Sie auch einen Schirm bei sich?“ Ihre Stimme klang ein wenig besorgt. „Jetzt schaut es wieder ganz trüb und grau aus. Na, ich sehe schon, Sie sind ja gut ausgerüstet, sogar mit Kapuze.“ Ich lächelte ein wenig verkrampft zurück.

Für Small Talk hatte ich jetzt eigentlich keine Zeit mehr, dafür grüßte ich noch einmal alle, die noch im Büro waren, wünschte das obligate schöne Wochenende und blickte auf die Uhr. 13:50 Uhr, ich lag genau im Plan. Sehr gut. Ich nahm mein Handy heraus und rief Ali an. „…ich geh grad aus der Firma. Wir sehen uns dann, ja?“ Ali antwortete etwas, das so ähnlich klang, wie, ob ich auch einen Schirm mithätte, es sähe so nach Regen aus. Genau verstand ich ihn nicht mehr, denn in diesem  Moment öffnete der Himmel seine Schleusen, und ich wurde fast von der Straße gespült. Zumindest kam es mir so vor. Mühevoll öffnete ich den Schirm, den mir der Sturm immer wieder zu entreißen versuchte. Hatte er für einen Moment die Überhand, spürte ich durch die Jacke hindurch die fast taubeneiergroßen Hagelkörner auf der Schulter.

Ich fühlte mich wie eine Protagonistin in einem der Katastrophenfilme wie „Twister“, nur das alles erschütternd echt war und ich seit Minuten bis auf die Haut nass war. Mein Handy war völlig aufgeweicht und gab keinen Ton mehr von sich. Zwei mal verlor ich im Stile von Aschenputtel meinen rechten Schuh, und musste jedes Mal ein paar Schritte zurücklaufen um in mir wieder zu holen. Ich konnte überhaupt nicht fassen, was mir da widerfuhr, mein schöner Zeitplan zerfloss sprichwörtlich im Regen, der wie die unzweifelhafte Ankündigung einer zweiten Sintflut vom Himmel kam. Bei diesem Unwetter war es völlig unmöglich rechtzeitig zur Bushaltestelle zu kommen, aber ich wollte das nicht wahr haben, bis ich vor einer roten Ampel stand und zwanzig Meter vor mir mein Bus der Linie 53 davon fuhr.

In diesem Moment spürte ich wie selten zu vor, was wohl Rumpelstilzchen empfunden haben musste, als seine Pläne durchkreuzt worden waren, und ich hätte es ihm gerne gleichgetan. Ich beschränkte mich dann aber darauf, ein paar Tränen der Enttäuschung und der Wut zu vergießen. Wie konnte mir das nur passieren! Opfer dieser Naturkatastrophe zu werden, den Bus versäumen, das Handy funkstill – weder konnte ich Albert anrufen, dass ich später kommen würde, noch konnte er seinerseits mich erreichen. Was für ein verhexter Tag! Oder noch besser – was für eine Schmach! Vivienne kann doch nicht zu spät kommen, das ist ein Verstoß gegen ein Naturgesetz!

Vielleicht stimmte diese These sogar, aber jede Regel hat ihre Ausnahmen. Wie ein Häufchen Elend saß ich eine halbe Stunde später in einem anderen Bus der Linie 53, unter meinem Sitz hatte sich ein Pfütze gebildet, weil meine Kleidung völlig durchnässt war und außerdem fror ich jämmerlich. Kurz vor 15:00 Uhr stieg ich aus dem Bus und konnte schon in einiger Entfernung Albert erkennen, der bei einem überdachten Hauseingang stand und nervös und heftig gestikulierend telefonierte. Ali hatte mir den Rücken zugewandt, also bemerkte er mich zuerst gar nicht, während ich langsam und müde auf ihn zuging. Erst als er brüsk das Handy abstellte und wieder einsteckte und sich dabei halb zu mir umdrehte, nahm er mich wahr.

In seinem überraschten Blick spiegelte sich alles Mögliche: vor allem Erleichterung, aber auch Fragen und je mehr ihm meine ganze Erscheinung mein Missgeschick erzählte auch ein gewisses Amüsement. „Meine kleine Wassermaus!“ Ich fiel fast in Alis Arme der mich ganz fest hielt und ungeachtet dessen, dass ich selber ihn dabei ganz nass machte, nicht mehr los ließ. Im Grunde musste ich ihm nicht mehr viel erzählen, es war blöd gelaufen, wie es bisweilen eben passieren kann. Plötzlich hatten wir alle Zeit der Welt. Wir fuhren noch einmal in die Wohnung, wo ich mich umzog und aufwärmte, während Albert seiner Tante klipp und klar erklärte, dass wir uns wegen der Unwetter in Linz verspäten würden. Und dazu nahm nach einer Stunde mein Handy wieder seinen Dienst auf – es war trocken geworden.

Zweieinhalb Stunden später als  geplant trafen wir schließlich in dem kleinen obersteirischen Ort ein und niemand war uns dort böse, ganz im Gegenteil. An diesem Tag ist mir wieder einmal bewusst geworden, dass Pünktlichkeit zwar eine sehr wichtige Funktion im Leben erfüllt, aber eben nicht immer machbar ist. Und vor allem finden sich in unserem Leben sehr viel schlimmere Dinge als die mangelnde Fähigkeit, nicht immer oder nicht oft pünktlich sein zu können. Es gibt stets gute Gründe, warum man einmal einen Termin nicht einhalten kann, und die sollte ich auch jedem zugestehen – weil ich nun mal nicht in der Haut der anderen steckte, ob sie nun Carola oder sonst wie heißen.

Jungfraugeborene oder nicht…

Vivienne

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