Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  September 2004



Die Joggerin

Jochen lies seinen Blick durch die Gegend kreisen.
Scheinbar belanglos.
Scheinbar desinteressiert.
Samstag.
6:30 Uhr Morgen.
Ein herrlicher Tag kündigte sich an.
Der Himmel strahlte in schönstem Spätsommerblau.
Der Schweiß floss Jochen von der Stirn.
Währenddessen hielt er den Blick aber eisern nach vorne gerichtet.
Und endlich!
Dort vorn war sie!
Ein zufriedener Gesichtsausdruck trat in sein Gesicht.
Im Grunde wirkte er fast glücklich.
Der Lohn für alle Anstrengungen.
Dafür stand er dreimal in der Woche schon um 5:00 Uhr Morgen auf.
Sie war der Grund für seine plötzliche Begeisterung für das Laufen.
Drei Kilo hatte er seither abgenommen.
Dabei hatte er sie immer nur von der Ferne bewundert.
Aber heute wollte Jochen mehr.
Er erhöhte sein Tempo.
Und schloss auf zu der blond gelockten Joggerin.
Die gut hundert Meter vor ihm lief.
Im blass rosa Jogginganzug.
Ihr wohl geformter Po genau vor sich erhöhte seinen Blutdruck zusätzlich.
Keuchend kam er ihr näher.
Noch einmal ging er an seine Reserven.
Ein paar Schritte noch.
Nun lief er neben ihr.
Warf ihr einen kessen Blick zu.
Die Blonde lächelte zurück.
Lange Wimpern.
Volle Lippen.
Und der Vorbau war nicht zu verachten.
Jochen blieb auf gleicher Höhe.
Er fühlte sich ganz leicht.
Keine Mühe, keine Anstrengung.
Die Blonde musterte ihn von der Seite.
Ihr Blick war anerkennend.
Jochen bemühte sich den Bauch einzuziehen.
Man bemerkte ihn in dem Trikot zwar kaum.
Aber er wollte endlich mit ihr ins Gespräch kommen.
Diesem üppigem Traum in rosa und blond.
Eine Weile liefen die beiden schweigend neben einander.
Schließlich fasste sich Jochen ein Herz.
Toller Tag heute.
Ideal zum Laufen.
Die Blonde nickte.
Ihre Locken verklebten schon.
Auch sie schwitzte.
Jochen wagte einen weiteren Anlauf.
Also ich bin heute schon seit dreiviertel sechs unterwegs.
Ich möchte gar nicht mehr aufhören.
Die Joggerin zwinkerte mit den Wimpern.
Wieder kein Wort von ihr.
Jochen schnaufte heftig.
Seine Beine wurden langsam schwer wie Blei.
Was hältst du davon, wenn wir uns da vorn einen Milchshake genehmigen?
La Blonde nickte.
Ihr Lächeln wurde intensiver.
Vielleicht wurde die Schöne ja in der Coffee Bar gesprächiger.
Aber Hauptsache sie kam mit.
Endlich…
Langsam liefen die zwei aus.
Streckten sich.
Absolvierten die obligaten Dehnübungen.
Dann gingen die beiden die paar Schritte zur Coffee Bar.
Ein paar gleich Gesinnte tummelten sich schon darin.
Eifrig ins Gespräch vertieft.
Jochen wählte bewusst einen Tisch etwas abseits.
Er war völlig fertig.
Aber am Ziel seiner Wünsche.
Also ich bin Jochen.
Und wie heißt du?
Seine Stimme sollte jovial klingen.
Und über den Dingen stehend.
Dabei war sein Puls fast schneller als während des Laufens.
So sehr erregte ihn diese Blonde.
Die lächelte ihn die ganze Zeit an.
Klimperte mit den Wimpern.
Also ich bin Kerstin.
Jochen erstarrte.
Er glaubte nicht richtig gehört zu haben.
Toller Körper.
Hübsches Gesicht.
Üppige Mähne.
Und dann diese schrille Piepsstimme.
Die sein Trommelfell beleidigte.
Fast ein Schlag ins Gesicht.
Sein Puls beruhigte sich unerwartet schnell.
Ihr Lächeln ließ ihn plötzlich merklich kalt.
Ernüchterung.
Und der Milchshake schmeckte ihm nicht mehr wirklich.
Während Kerstin redete und redete.
Ihr schriller Tonfall ermüdete Jochen mehr als der ganze Lauf.

Kein Wunder, dass die Kleine immer allein lief… 

Vivienne

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