von Vivienne – August 2004
Du machst mich krank!
Die Sonne blendete sie.
Margot stand auf und legte das Buch zur Seite.
Energisch zog sie das Rollo herunter.
Eine Fotographie auf der Kommode fiel um.
Margot nahm sie in die Hand.
Ein gereiztes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Musste fast fünfzehn Jahre alt sein.
Sie war damals noch schlanker gewesen.
Und Gerd?
Ein Bild von einem Mann.
Ihr passt so gut zusammen!
Diesen Satz hatte sie immer wieder gehört, seit sei ihn das erste Mal gesehen hatte.
Das musste bald zwanzig Jahre her sein.
Vielleicht auch nicht so lang.
Viele meinten das auch jetzt noch.
Wenn sie gemeinsam zu einer Vorstandssitzung fuhren.
Im Mercedes und mit Chauffeur.
Fürsorglich half er ihr dann immer aus dem Wagen.
Wer hätte gezweifelt daran, dass er ihr zugetan war?
Niemand.
Und doch hasste sie diese Momente.
Hasste jede Sekunde, da die anderen glaubten, alles zwischen ihnen wäre in Ordnung.
Denn das war es nicht.
Nicht dass er hart zu ihr war.
Oder sie verbal schlug.
Nein.
Weit gefehlt.
Sie hatten sich nur nichts zu sagen.
Ihre Gespräche kreisten um die Firma.
Um die Aktien.
Um die Renditen.
Und dass man wieder Personal einsparen musste.
Das Übliche.
Auch dann, wenn er sie pünktlich einmal wöchentlich groß ausführte.
Was hältst du davon?
Er legte Wert auf ihren Rat.
Zumindest tat er so.
Für verschieden Anlässe ließ er ihr immer hübsche Geschenke zukommen.
Schmuck.
Elegante Kleidung.
Luxuriöse Wellnesswochen.
Er sorgte sich um sie.
Nur er schenkte ihr keine Liebe.
Schon lange nicht mehr.
Margot wusste nicht, wie lange er sie schon kannte.
Ihre Rivalin.
Sie war zufällig dahinter gekommen.
Eine Email in ihrem Posteingang.
Versehentlich.
Gerd musste daneben geklickt haben.
Sie erinnerte sich genau.
Gerd war es übrigens nie aufgefallen.
Und sie selber war nicht wirklich überrascht gewesen.
Sie hatte die Disharmonie zwischen Gerd und ihr schon länger gespürt.
Ihre Rivalin kannte sie ganz gut.
Die Managerin eines Unternehmens, mit dem man schon lange kooperierte.
Sie hatte damals lange überlegt, was sie tun sollte.
Nichts.
Kein Skandal.
Im Grunde wäre ihr dann alles auf den Kopf gefallen.
Die eifersüchtige Furie!
Wer zeigt schon Sympathie für eine betrogene Frau jenseits der Vierzig?
Sie hatte also mitgespielt.
Wohl auch weil sie wusste, dass er sie nicht verlassen würde.
Oder besser gesagt: nicht konnte.
Sie war das Zünglein an der Waage.
25 % der Aktien gehörten ihr.
Ohne sie gab es keinen Beschluss.
Ohne sie gab es keine Mehrheit für Gerd.
Und seine Pläne.
Er brauchte sie.
Wie einen Bissen Brot.
Nie hätte er das zugegeben.
Aber genau deshalb die Farce.
Genau deshalb das Doppelleben.
Den Anschein wahren
Margot seufzte und legte die Fotographie zurück.
Ja, anfangs war es ihr ein Trost gewesen, dass er sie nie verlassen würde.
Aber nicht sehr lange.
Die Situation wurde mehr und mehr demütigend für sie.
Abende allein daheim sitzen.
Auf ihn zu warten.
Währen sie wusste, dass er nicht in seinem Büro saß.
Sondern mit ihr unterwegs war.
Sie hatte an Scheidung gedacht.
Immer wieder.
Ihre Mutter hatte entsetzt reagiert.
Scheidung?
Bis du verrückt geworden?
Das kannst du nicht machen!
Das kannst du ihm nicht antun!
Aber er ihr schon
Ihr Freundin Lissi hatte sich auch nicht einverstanden gezeigt.
Zerbrich dir doch nicht den Kopf deswegen.
Männer sind so.
Nimm dir doch einen jungen Liebhaber!
Mit Waschbrettbauch und knackigem Po.
Sie hatte wieder Lissis anzügliches Lachen vor ihrem inneren Auge.
Komm schon
!
Wie du mir, so ich dir!
Einen Liebhaber kaufen?
Jemand der sie liebte um des Geldes willen, dass sie für ihn ausgab.
Nein, sie wollte eigentlich keinen Mann.
Überhaupt nicht mehr.
Sie wollte nur mehr ihre Ruhe.
Und ihren Seelenfrieden
Margot griff sich an die Stirn.
Wieder diese Kopfschmerzen.
Die hatten sie zuletzt oft gequält.
Gerd machte sie kaputt.
Sie wusste es genau.
Latente Depressionen hatte es ihr Hausarzt genannt.
Und ihr Antidepressiva verschrieben.
Bis jetzt hatte sie keine Tablette davon genommen.
Wieso auch?
Nicht die Depression war das Problem.
Sondern Gerd.
Die unerfüllte Beziehung.
Ihre Einsamkeit.
Und die Demütigung, durch eine jüngere Frau ersetzt worden zu sein.
Die Pattsituation.
Warum auf Gerd Rücksicht nehmen?
Wenn er ihr alle Kraft raubte?
Sie schlaflos im Bett lag.
Neben ihm.
Und ihre Bedürfnisse waren ihm gleichgültig?
Warum sich das noch länger antun?
Die Kopfschmerzen wurden wieder unerträglich.
Margot griff zum Telefon.
Eine fröhliche Frauenstimme meldete sich.
Bitte geben Sie mir Dr. Reimann.
Sekunden später die sonore Stimme ihres Anwalts.
Schön, Sie zu hören.
Wie geht es Ihnen?
Fassungslos hörte Margot ihre eigene Stimme.
Ich will die Scheidung
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