von Vivienne – Jänner 2005
Ich bin nicht wichtig!
Werner duckte sich unter dem Blick seines neuen Chefs.
Er spürte, wie er zu schwitzen begann.
Dabei war er sich keiner Schuld bewusst.
Er überprüfte gerade die Lagerbestände.
Werner begann zu frösteln.
Fieberhaft fing er an zu überlegen.
Mach ich was falsch?
Müsste ich nicht gewissenhafter sein?
Der Chef ging schließlich weiter.
Nach einer Minute, die ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war.
Äußerlich hatte er sich nichts anmerken lassen.
Aber innerlich fühlte er ein tiefes Loch.
Es schmerzte.
Werner sah seine Hände an.
Sie waren feucht.
Kopfschmerzen.
Nein.
Nicht wieder!
Mit zitternden Händen nahm er seine Brille ab.
Putzte sie mechanisch.
Um sich zu beruhigen.
Und zuckte mit einem Mal zusammen.
Er spürte eine Hand auf seiner Schulter.
Susi, die 18jährige Tochter des Chefs.
Sie half öfter in der Buchhaltung aus.
Gehst mit auf einen Kaffee?
Werner nickte.
Den konnte er jetzt gebrauchen.
Im Vorbeigehen streifte sein Blick den Kollegen Molnar.
Molnar schimpfte wieder über den Computer.
Unglaublich, wie langsam der ist!
Ich kann so nicht arbeiten!
Werner wandte sich ab.
Molnar war ihm suspekt.
Er hätte nicht sagen können warum.
Werner lag wach in seinem Bett.
Seit Stunden
Wie so oft die letzte Zeit.
Genau genommen seit einer Woche.
Seit dem Totalausfall der Computeranlage.
Er fürchtete, der Chef hatte ihn im Verdacht.
Im Verdacht, etwas gedreht zu haben.
Obwohl der nie etwas zu ihm gesagt hatte.
Neulich hatte ihn er sogar gefragt, wie es ihm in der Firma gefalle.
Gut, hatte er geantwortet.
Der Chef hatte kurz genickt.
Aber bedeutete das etwas Gutes?
Werner seufzte laut.
Nein.
Das tat es nicht.
Übelkeit stieg in ihm auf.
Er musste immer wieder an die Geschichte vor einem halben Jahr denken.
Ein paar Kollegen hatten ihn in der alten Firma gemobbt.
Einfach so.
Aus Spaß.
Und ohne ein persönliches Motiv.
Manipulierten sie seinen PC.
Immer wieder.
Versuchten, ihm Fehler anzuhängen.
Um ihn fertig zu machen.
Werner hatte das nie verstanden.
Er verstand es jetzt noch nicht.
Wie kann man so etwas tun?
Er hatte immer versucht, mit allen auszukommen.
Nirgends anzuecken.
Doch die Kollegen konnten keinen Grund angeben.
Als sie der Abteilungsleiter aufdeckte
Was, wenn jetzt wieder
?
Womöglich glaubte der Chef sogar, er selber
Werner schloss die Augen.
Was konnte er nur tun?
Werner gab einen Lieferschein in den Computer ein.
Zeichnete ihn ab.
Legte ihn im Ordner ab.
Beinahe wäre er in den Chef gelaufen.
Den Ordner in der Hand hätte er ihn neben dem Regal fast übersehen.
Der Chef entschuldigte sich.
Nichts für ungut, Tanzer.
Ich steh da nicht günstig.
Werner begann vor Angst zu zittern.
Konnte es sein, dass ihn der Chef beobachtete?
Kontrollierte?
Er tastete nach der Schachtel in seiner Hosentasche.
Diese Kopfschmerzen.
Immer wieder.
Er brauchte wieder ein Aspirin.
Molnars Stimme riss ihn aus seinen hektischen Gedanken.
Zum Teufel!
Spielt mir da jemand einen Streich?
Ich komme schon wieder nicht ins Programm!
Werner zuckte zusammen.
Eilte seinem Kollegen zu Hilfe.
Lass sehen, Wolfgang.
Du hast dich nicht korrekt eingeloggt.
Siehst du?
Dein Passwort war nicht richtig geschrieben.
Jetzt funktioniert es.
Molnar brummte weiter.
So kann ich nicht arbeiten!
So ein Saustall.
Das sind doch keine Zustände!
Werner zuckte wieder zusammen.
Wolfgang, nicht so laut!
Außerdem war das dein Fehler!
Molnar warf ihm einen wütenden Blick zu.
So?
Ausgerechnet du willst das wissen?
Seit sechs Wochen da und unser Alleswisser.
Hört, hört!
Werner drehte sich um.
An der Tür stand der Chef und sah ihm ins Gesicht.
Emotionslos.
Susi legte Werner sein Sandwich hin.
Da.
Macht 1,80.
Werner blickte auf.
Das Lächeln der jungen Frau irritierte ihn.
Susi hob die Augenbrauen.
Was schaust denn auch immer so streng?
Du darfst ruhig mal lachen.
Hörst du?
Werner musste unwillkürlich schmunzeln.
Ich soll mich doch auf die Arbeit konzentrieren.
Da kann ich nicht immer lachen
!
Susis Freundlichkeit ging ihm nicht aus dem Kopf.
Ihr Vater hatte ihn doch ständig im Visier!
Wusste sie nichts davon?
Oder war sie so falsch
So verlogen.
Wie Sybille.
Seine Sybille
Der Gedanke tat weh.
Er griff in die Hosentasche.
Bezahlte seine Jause.
Und kontrollierte den nächsten Lieferschein.
Heute würde er wieder nicht schlafen können.
Er wusste es jetzt schon.
Herr Tanzer?
Die Stimme des Chefs riss ihn aus dem Wall aus Zahlen.
Den er um sich errichtet hatte.
Können Sie in mein Büro kommen?
Ich muss mit Ihnen reden!
Werner ballte die Fäuste.
Er begann zu zittern.
Langsam stand er auf.
Nickte kurz seinem Chef zu.
Reden konnte er nichts.
Seine Kehle war trocken.
Von einer Minute auf die andere.
Er folgte seinem Vorgesetzten mit tausend unklaren Gedanken im Kopf.
Sein Rücken war schweißnass, als er sich setzte.
Tanzer, wie gefällt es Ihnen bei uns?
Werner blickte ihn an.
Räusperte sich.
Es gefällt mir.
Werner ärgerte sich, weil er so leise klang.
Der Chef nickte.
Das merkt man, Tanzer.
Sie sind ruhig.
Aber sehr engagiert.
Und Sie kennen sich schon gut aus.
Obwohl Sie erst ein paar Wochen hier sind.
Er zündete sich eine Zigarette an.
Möchten Sie auch eine?
Greifen Sie zu!
Also, was ich sagen wollte.
Sie arbeiten gut, Tanzer.
Ich habe Sie mir jetzt ein paar Tage angesehen.
Ich bin sehr zufrieden mit Ihnen.
Mit der Zeit kommt dann auch die Routine.
Tanzer
Der Chef blickte ihn freundlich an.
Ich möchte, dass Sie ab sofort auch die Arbeit von Molnar übernehmen.
Der nörgelt nur.
Spinnt herum.
Bringt nichts weiter.
Der kriegt morgen den blauen Brief.
Ich kann solche Leute nicht gebrauchen.
Er stand auf.
Schüttelte Werner die Hand.
Sie kriegen das hin.
Davon bin ich überzeugt.
Okay?
Werner nickte nur.
Stammelte ein paar Worte.
Niemand wollte ihm hier etwas anhängen.
Niemand.
Was war er nur für ein Idiot gewesen!
Hier war es einfach anders als in der alten Firma.
Total.
Gott, er war ja so unwichtig.
Keine Zielscheibe von Bösartigkeiten.
Gott sei Dank
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