Jeder Mensch hat seine Präferenzen.
Seine Vorlieben.
Was Essen betrifft.
Was Kleidung betrifft.
Und ganz besonders auch die Zuneigung zum anderen Geschlecht.
Wer könnte das abstreiten?
Ich selber nicht.
Ich stehe auf große, dunkelhaarige Männer.
Bartlos.
Bevorzugt mit dunklen Augen.
Und wenn ich ehrlich bin.
Meistens sind sie auch ein wenig jünger als ich…
So mancher Mann steht wiederum auf zierliche Brünette.
Oder auf rassige Rothaarige.
Jeder das Ihre.
Jedem das Seine.
Meistens gehen solche Vorlieben auf Erfahrungen zurück.
Ähnlich wie bei den Abneigungen.
Diese Widerstände sind oft gewachsen.
Auch bei mir.
Und mir wurde das wieder bewusst.
Im Herbst des letzten Jahres.
Als eine Bekannte mich verkuppeln wollte…
Ihr Auserwählter für mich war ein alter Mann.
Über 60.
Noch gut aussehend.
Aber überhaupt nicht mein Typ.
Dazu erwachsene Kinder und ein Enkelkind.
Ich hatte kein Interesse.
Nicht das Geringste.
Weil ich nicht auf alte Herren stehe.
Nun mal.
Und eine halb vergessene Erinnerung wurde wach…
Ich war noch relativ jung gewesen.
Und tatsächlich noch rothaarig.
Naiv und unverdorben.
Ich arbeitete in einer Großhandelsfirma.
Und da war dieser Karfreitag.
Ich war relativ spät aus der Firma gekommen.
Es muss schon gegen 14:00 Uhr gegangen sein.
Ich wartete an der Bushaltestelle.
Und da gesellte sich ein älterer Herr zu mir.
Grauhaarig und bärtig.
Er atmete schwer.
Und er suchte gleich das Gespräch mit mir.
Plauderte dahin.
Bis er seine Stimme senkte.
Könnten Sie mir die Schuhe zubinden?
Mein Rücken ist kaputt.
Ich schaffe es nicht!
Ich war unangenehm berührt.
Etwas in mir sträubte sich.
Ihm den Gefallen zu tun.
Aber ich beugte mich hinunter.
Und band ihm die Schuhe zu.
Er redete immer schneller.
Wurde persönlicher.
Seine Frau hätte ihn verlassen.
Und es falle ihm schwer.
Für sich zu sorgen.
Schließlich senkte er seine Stimme.
Haben Sie nicht eine unverheiratete Tante?
Ich würde sie schon ehelichen.
Damit sie mir kocht und putzt.
Und sich um mich kümmert.
Damit sie mich pflegt, wenn ich krank werde.
Und ein wenig Geld würde sie auch bekommen.
Nun sagen Sie schon…
Ich kochte innerlich.
Der alte Mann widerte mich an.
Dann richtete ich mich wieder auf.
Der Bus fuhr gerade in die Haltestelle ein.
Ich schüttelte den Kopf.
Und stieg in den Bus ein.
Fast hektisch.
Setzte mich nieder.
Weit weg von dem alten Mann…
Und in mir arbeitete es.
Nie würde ich mich auf jemanden einlassen.
Damit der eine Vollzeitkrankenschwester hat!
Niemals!
Die Jahre sind vergangen.
Mein Leben blieb abwechslungsreich.
Und es war nie leicht.
Ich habe oft geweint.
Und ich war viel allein…
Ich habe es mir nicht so vorgestellt.
Bei Gott nicht.
Aber das Leben fragt dich nicht…
Zurück zur Kuppelgeschichte.
Manche haben es nicht begriffen.
Bis jetzt nicht.
Warum ich den alten Herrn nicht wollte.
Letzten Herbst.
Und nie.
Aber das muss auch niemand.
Es ist meine Entscheidung.
Manchmal.
Ist man alleine besser dran.
Als gnadenhalber eines alten Mannes Weib.
Mit allen Risken…
Und wenn ich mich nach einem alten Mann sehne.
Doch einmal.
Dann kann das nur mein Vater sein.
Und ich weiß.
Wie ich zu ihm komme…
Vivienne/Lilly