Höhere Interessen.
Eine Geschichte von mir.
Vielleicht haben Sie sie gelesen:
Ein Mann tut seinen Job.
Sehr erfolgreich.
Aber er hat ein Problem mit einem Kollegen.
Der ihn nervt und sekkiert.
Und mit spitzer Zunge verletzt…
Ständig.
Der Mann verliert seine Freude an der Arbeit.
Plötzlich tut sich ein Ausweg auf.
Die Möglichkeit in ein befreundetes Unternehmen zu wechseln.
Für einige Zeit.
Aber der Vorgesetzte entscheidet sich gegen ihn…
Der Mann ist unersetzlich.
Höhere Interessen…
So der Inhalt.
Mancher fühlte mit diesem Mann.
Und seinen Nöten.
Ich nannte ihn Ewald.
Wem ist es nicht schon so gegangen?
Ich selbst verließ einmal eine Firma.
Ich kam mit einer Kollegin nicht mehr zurecht.
Sie brachte mich ständig auf die Palme.
Lauter kleine Wickel und Reibereien.
Ich ärgerte mich schon, wenn ich sie am Morgen sah.
Ich suchte und fand einen anderen Job.
Aber ich kündigte erst nach einem neuerlichen Streit mit ihr…
Das ist viele Jahre her.
Dumme Geschichte.
Ich verhielt mich unreif.
Das weiß ich heute.
Aber ich lernte dadurch auch.
Man kann seinen Problemen nicht davonlaufen.
Nein.
Man muss ihrer Herr werden.
Genau da, wo man sie hat.
Oder sie verfolgen einen.
Immer und immer wieder.
Nicht der Kollege allein trägt die Schuld.
Oder die Kollegin.
Man selber verhält sich falsch.
Man provoziert Gehässigkeiten.
Mit seiner passiven Art.
So wie Ewald, der Mann aus meiner Geschichte.
Die anderen Kollegen hatten keine Schwierigkeiten mit dem bissigen Mitarbeiter.
Diesem Schmidt.
Sie ließen sich nichts von Schmidt gefallen.
Und da fand der auch keine Angriffspunkte.
Anders bei Ewald.
Der fraß alles in sich hinein.
Der sagte kein Wort.
Wurde williges Opfer.
Und seines Jobs überdrüssig…
Die längere Trennung von dem missliebigen Kollegen.
Sie erschien Ewald als der einzige Ausweg.
Wäre diese Möglichkeit aber wirklich der Ausweg gewesen?
Ich denke nicht.
Auch in meinem Fall erwies sich die Entscheidung als falsch.
Ich wechselte nur von einem Dilemma ins andere.
Und machte mir letztlich mehr Schwierigkeiten als zuvor.
Ewald wäre es nicht viel anders gegangen.
Auch wenn ihm sein Vorgesetzter die Wege geebnet hätte.
Ihm den Wechsel ermöglicht hätte.
Man fängt nicht einfach ein neues Leben an.
Der Mensch sollte sich lieber seinen Aufgaben stellen.
Hier und jetzt.
Sie werden ihm nicht ohne Grund gestellt.
Und dann braucht er kein neues Leben.
Ewald kämpfe!
Kollege Chefschlumpf litt mit meinem Protagonisten.
Und brachte dies deutlich zum Ausdruck.
Die Frage ist aber:
Gegen wen soll Ewald kämpfen?
Und wofür?
Vorgesetzte haben ihre eigene Sichtweise.
Sie betrachten das Wohl der Firma als vorrangig.
Unstimmigkeiten unter den Mitarbeitern kümmern sie nicht.
Sie sehen nur die Leistung.
Sonst nichts.
In Ewalds Fall:
Es wäre sinnlos gegen seinen Chef zu kämpfen.
Dessen Entscheidung anzufechten.
Ewald sollte sich lieber gegen den Kollegen wehren.
Gegen Schmidt.
Zurückreden.
Sich nichts gefallen lassen.
So ruhig und bestimmt wie möglich.
Der Vorgesetzte ist nicht dazu da solche Probleme zu lösen.
Das muss man selbst tun.
Dazu gehört aber Mut und Selbstwert.
Das muss ich mir nicht bieten lassen!
Ewald muss das lernen.
Sonst wird er überall einen Schmidt finden.
Der ihm das Leben schwer macht!
Übrigens.
Jahre später traf ich die Kollegin wieder.
Wegen der ich damals die Firma verlassen hatte.
Unter geänderten Voraussetzungen.
Merkwürdig.
Diesmal kam ich viel leichter mit ihr aus.
Wir hatten uns beide verändert.
Und ich konnte meinen früheren Groll nicht nachvollziehen.
Nicht mehr…
Vivienne/Lilly