Über zwei Jahre leben Albert und ich nun schon beisammen. Nachdem wir fast drei Jahre fast ausschließlich die Wochenenden miteinander geteilt hatten, war eine gemeinsame Wohnung letztlich ein immer dringlicheres Anliegen geworden. Es ließ sich nicht leugnen, dass zumindest unsere Beziehung nicht von intensiven Wochenenden allein konnte. Der Schritt war vor allem mir nicht unbedingt leicht gefallen, bereut hat ihn aber keiner von uns beiden so wirklich – man lernt mit Zwistigkeiten umzugehen, man lernt sich nonverbal zu verstehen und bisweilen tritt man schon gedanklich miteinander in Kontakt. Zumindest vermeintlich…
Nein, heute machte es mir keinen Spaß bei der Tupperware-Party zu sitzen. Im Grunde wollte ich gar nichts kaufen, aber ich war halt mitgekommen, nachdem die Kollegin mich gebeten hatte. Die Haushaltssachen sahen ja gut aus und sie schienen auch herragend zu halten und stabil zu sein, aber wenn ich ehrlich war, brauchte ich das nicht. Vergleichbares aus dem Hofermarkt tat es für uns daheim auch und auch wenn der Kuchen sehr lecker aussah, den die Kollegin da für das „après“ anbot – ich wäre am liebsten sofort heimgefahren. Nur war das nicht möglich – nicht nur, weil ich mich (wie die anderen) in der Wohnung der Kollegin in der Nähe von Marchtrenk aufhielt und von dort nur abgeholt werden konnte. Albert selber hatte einmal mehr einen Fußballabend eingelegt – eh, klar, Champions-League! – und wollte mich erst danach abholen. Zumindest hatten wir das ausgemacht, aber wie schon erwähnt, ich hatte zu diesem Tupperware-Abend nicht die geringste Lust.
Sogar mein Handy hatte ich ruhig stellen müssen, weil die Gruppe während der Vorführung nicht gestört werden sollte. Also hatte ich brav mein Handy auf lautlos geschaltet und dann wieder in die Seitentasche der Jeans gesteckt. Dazwischen sah ich mir diese Salatschleuder und jene Schüssel an und blickte dazwischen ganz offen auf die Uhr… Heimlich schwor ich mir, dass das endgültig das letzte Mal gewesen sei, dass ich mich zu einer Party dieser Art breit schlagen hatte lassen. Mir war schon bewusst, dass die Gastgeberin bei so einer Veranstaltung auch für die Anzahl ihrer Gäste honoriert wurde, aber nur aus Menschenfreundlichkeit allein wollte ich mich nirgends mehr hineinsetzen. Demonstrativ stand ich auf und suchte das WC auf. Minuten starrte ich dort an die weiße Wand, dann begab ich mich seufzend wieder ins Wohnzimmer.
Das heißt, ich wollte, aber gedankenverloren glaubte ich plötzlich, Albert zu hören. Seine Stimme schien irgendwie in der Luft zu hängen, leise aber eindringlich. Ich erschrak, als mir das bewusst wurde und sah mich um. Durch das gekippte Fenster im Flur sah ich Nachbarn der Kollegin wie sie aus dem Auto stiegen, offenbar in angeregter Unterhaltung. Ich holte tief Luft, anscheinend bildete ich mir tatsächlich überall schon ein, Ali zu hören. Sogar wenn, wie in diesem Fall, nur ein paar mir völlig fremde Leute heimkamen. Wieder einmal sah ich auf die Uhr: es war noch nicht 21:30 Uhr, es würde also noch dauern, bis mich Albert abholen konnte. Na dann wollte ich mich auf den Kuchen freuen, ein Kaffee würde mich sicher aufmuntern! Mit diesem Gedanken betrat ich das Wohnzimmer wieder…
Bald durfte ich tatsächlich wieder Kaffee schlürfen und der Kuchen schmeckte gar nicht schlecht. Trotzdem wurde ich auf einmal immer nachdenklicher und fast unruhig. Im Grunde war es lächerlich, aber mir fiel plötzlich die Serie „X-Faktor“ ein, die Ali und ich ganz gern anschauen, weil wir immer miträtseln, ob die Geschichten wahr oder falsch sind. Und so oft war da doch schon die Rede davon gewesen, wie jemand auf kuriose Weise Kontakt aufnehmen wollte mit seinen Lieben, weil er selber in höchster Gefahr schwebte. … Und wenn mit Ali etwas passiert war? Seine Stimme hatte mir vorhin so echt in den Ohren geklungen, und ich hatte so meine Zweifel, ob wirklich das Lachen der Nachbarn mich in die Irre geführt hatte. Nein, ich wollte Albert schnell anrufen, lange wollte ich ohnedies nicht mehr bleiben…
Ich wurde fast hektisch, aber eine flüchtige Bekannte aus der Gruppe unterhielt mich mit ihren Geschichten über die läufige Katze, und es wäre unhöflich gewesen, sie einfach stehen zu lassen. Während sie erzählte, stellte ich das Handy auf normal und steckte es wieder ein. Kurz darauf begann das Handy auch schon zu läuten. Albert! Ich war total erleichtert und nahm das Gespräch ab. „Hallo! Ich wollte dich gerade anrufen – wie geht es dir?“ Albert lachte. „Ich verstehe, vorhin konntest du nicht reden wie?“ Ich glaubte mich verhört zu haben. „Vorhin? Ich habe dich doch nicht angerufen!“ Albert widersprach amüsiert. „Doch, hast du, ich habe auch immer wieder nach dir gerufen, aber du hattest wohl keinen Empfang, oder?“
Nach und nach begriff ich, was passiert war. Ich musste vergessen haben, mein Handy abzusperren als ich es zu Beginn der Party in die Hosentasche gesteckt hatte. Ohne es zu wollen, hatte ich durch unterschiedliche Bewegungen Alberts Handynummer angewählt und nicht bemerkt, dass ich seine Stimme nur deswegen hörte, weil sie aus der Hosentasche drang… Albert lachte noch lauter, als ich ihm alles erklärte hatte. „Weißt du was? Ich hol dich jetzt, damit du nicht noch mehr Unsinn machst. Wer weiß, wen du sonst noch anrufst…! In einer Viertelstunde bin ich bei dir!“
© Vivienne