Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  September 2004



Alles neu bei ÖBB

Keine Frage, der ÖBB sind die Kunden und ihre Wünsche ein Anliegen, und das meine ich nicht vorrangig zynisch. In Linz, meiner Heimatstadt, entsteht ein prächtiger neuer Bahnhof, der bereits eine Mini-U-Bahn aufzuweisen hat, sprich Straßenbahnen, die ein Stück unterirdisch verkehren. Auch in Wels ist ein neuer Bahnhof am Entstehen und nicht zuletzt soll auch Österreichs  – laut Umfrage – hässlichster Bahnhof am Praterstern in Wien einem modernisierten Gebäude weichen. Klingt alles recht schön und gut, wenn man die Begründungen liest und sich auf der Zunge zergehen lässt, was in Zukunft speziell am Linzer Bahnhof alles möglich sein soll. Ein neues Einkaufszentrum wird entstehen mit Shoppingmöglichkeiten Ende nie. Wenn man sich das in der Theorie vorstellen darf: in Zukunft nicht mehr für Besorgungen quer durch Linz mit Tramway oder Bus herumfahren sondern die letzten Einkäufe gleich am Bahnhof selber erledigen bevor man in den Zug einsteigt – das klingt mehr als nur verlockend, gerade auch in meinen Ohren.

Ganz besonders auch, wenn das schmuddelige Behelfslokal endlich wieder verschwindet und man die Möglichkeit hat, in einem hübschen Cafè mit gemütlichem Ambiente einen Verlängerten zu genießen oder gar noch einen wohl schmeckenden Snack einnehmen zu können, von einer leckeren Mahlzeit gar nicht erst zu reden. Trotzdem ist nicht alles Gold, was da in der Vorschau glänzt. Verlangen mir die momentanen Gegebenheiten am Bahnhof in Linz schon sehr viel ab – ältere Leute wie meine Eltern sind mit diesem Status Quo rettungslos überfordert. Ein ewig langer Irrweg führt wie durch ein Labyrinth zur unterirdischen Tramway, den man mit einer Gehbehinderung gar nicht erst in Angriff zu nehmen braucht. Rollstuhlfahrer – nein danke! Mir ist klar, dass der Umbau des Bahnhofs unumgänglich nötig wurde, um ihn moderner zu gestalten und dringlichen Anforderungen genüge zu tun. Aber die Übergangslösung spottet jeder Beschreibung.

„Dieser Bahnhof ist echt das letzte!“ hörte ich heute Nachmittag am Linzer Bahnhof einen Reisenden mit schwerem Koffer keuchen. Dieser Mann ist wohl nicht der erste oder einzige, der ein Opfer des Umbaus geworden ist. Anschlussbusse der ESG zu erreichen, die man noch vor zwei Monaten problemlos erwischen konnte, ist fast aussichtslos geworden, weil es selbst bei flottem Tempo nicht machbar ist, in kürzerer Zeit als guten fünf Minuten vom Bahnsteig in die Kärntner Straße zu kommen, wo die meisten der Linien stadtein- oder auswärts halten. Diesen Frust der besonderen Art durfte ich auch heute wieder erfahren, als ich einem Bus der Linie 12 vergeblich hinterher lief. Eine Viertelstunde warten hieß es schließlich, und auch wenn das an sich keine Tragödie ist: ein strikter Zeitplan kann so immer wieder ins Wanken geraten.

Hoffen wir also, dass alle laufenden Umbauarbeiten und Neubauten der ÖBB schnell und zügig weitergehen und bald abgeschlossen sein werden. Um das Chaos zu vermindern und den Alltag wieder einkehren zu lassen. Ob ich meine Eltern noch einmal allein nach Linz Zug fahren lassen kann, möchte ich bezweifeln. Nicht nur, weil der neue Bahnhof, auch wenn er endlich fertig gebaut wurde, für sie eine fast unüberwindliche Hürde darstellen dürfte (was wohl auf viele Pensionisten, Geh- oder Sehbehinderte, Mütter mit Kinderwagen, etc. zutrifft), die Hürden könnten sich in Zukunft schon am Heimatbahnhof in St. Georgen auftun. Wie mir ein Bahnhofsvorstand dieser Tage verriet, wird unser alt vertrauter Bahnhof vielleicht schon bald völlig leer stehen. Es ist geplant, so der ÖBB-Beamte, dass in absehbarer Zeit alle Züge elektronisch gesteuert in den Bahnhof ein- und ausfahren, Bahnhofsvorstände sind dann überflüssig, außer in größeren Bahnhöfen.

Im Grunde hätte die Regelung schon 2002 in Kraft treten sollen, wurde dann aber doch noch verschoben. Die Bombe tickt also, und wo wird man in Zukunft Fahrkarten kaufen können? Richtig, am Automaten! Immer mehr kleinere Bahnhöfe werden still gelegt, lebende Leichen, durch die die Züge ferngesteuert durchfahren, planmäßig halten oder ebenso planmäßig wieder weiterfahren. Und was ist mit den Leuten, den Fahrgästen? Zur Not kann ich mir noch eine Fahrkarte am Automaten besorgen, wie ich es schon das eine oder andere Mal in Traun, einem bereits still gelegten Bahnhof, gemacht habe. Aber meine Eltern? Da steigen mir Grausbirnen auf. Vielen anderen Senioren, Sehbehinderten, oder Ähnlichen wird es in der Situation genau so gehen. Entmündigung als Bürger, Verlust der Selbständigkeit oder Kauf der Tickets in Zukunft beim Zugbegleiter, womöglich mit drei Euro Zuschlag. Man wird sehen, welche Regelungen die ÖBB in solchen Fällen treffen werden.

So oder so – alles in unserem Leben wird unpersönlicher, technisierter, komplizierter. Auch bei der Bahn. Und die Generation unserer Eltern ist es, die da nicht mehr Schritt halten kann (oder nur in Ausnahmefällen). Manch einer wird sich wenig Gedanken über derartigen Neuerungen machen, weil er nicht selber davon betroffen ist, weil er mit den Neuerungen zurecht kommt – momentan noch. Genau genommen  sollte es im Interesse der ÖBB liegen, gerade die ältere Generation mit ihren Innovationen anzusprechen, gehört diese doch immer noch zu den treuesten Kunden. Was jung ist, fährt schließlich zunehmend Auto. Möglicherweise wird da ein Aspekt übersehen, der den Verantwortlichen früher oder später auf den Kopf fällt…

Vivienne

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