von Vivienne – November 2004
Das Mysterium um Arafats Tod
Yassir Arafat ist tot. Heute (Donnerstag) Morgen wurde von den Pariser Ärzten, die den nie unumstrittenen Palästinenserführer und -präsident zuletzt behandelten, das schon seit Tagen erwartete Ableben bekannt gegeben. Offen ist allerdings, woran er nun wirklich starb, beziehungsweise, was die Gehirnblutung und das Herz- und Nierenversagen, die dem Tod vorausgingen, wirklich auslöste. Arafat wirkte leidend, als er im Helikopter nach Paris transportiert wurde – zur Begutachtung in ein Militärkrankenhaus, das er nicht mehr verlassen sollte. Unklarheit hatte vorher schon geherrscht, als es in den frühen Morgenstunden vor dem Abflug hieß, der seit Jahren in Hausarrest lebende Palästinenserpräsident sei in ein schweres Koma gefallen.
Trotzdem war Arafat später noch in der Lage gewesen, selbständig in den Helikopter zu steigen. Krankheiten wie Leukämie und Krebs wurden kolportiert und immer wieder hieß es, dass das Blutbild des 75jährigen sehr schlecht sei. Ich muss gestehen, dass ich selber anfangs ganz andere Vermutungen gehegt hatte, was diese vermeintliche Flucht aus dem Hausarrest betraf. Meine Überlegungen gingen in die Richtung, dass Arafat wirklich aus der israelischen Obhut ausreißen wollte, was ihm in meinen Augen auch auf denkbar Aufsehen erregende Art und Weise geglückt war. Obwohl Arafat auf den Bildern, die um die Welt gingen, nicht nur krank sondern wirklich siech wirkte, hielt ich das Ganze für ein geschicktes Ablenkungsmanöver, dass der alte Fuchs bravourös inszeniert hatte.
Aber wie gesagt nur vermeintlich. Nach dem man am Wochenende im Militärspital vorläufig Entwarnung gegeben hatte und davon sprach, dass keine akute Lebensgefahr bestünde, verschlechterte sich der Gesundheitszustand Arafats in der Folge rapide. Keine Leukämie, wie vorher vermutet, aber ganz sicher ein sehr schlechtes Blutbild, das die Überlegungen auf der ganzen Welt in alle Richtungen gehen ließ. Auch Gift. Oder eine Art Virus vielleicht, gegen das es keinen Wirkstoff gibt. Die Ärzte halten sich bedeckt, obwohl ihnen längst klar sein müsste, ja, klar sein wird, was den schlechten Allgemeinzustand auslöste. Und letztlich das Organversagen. Aber auch wenn die behandelnden Ärzte im Pariser Militärspital ihr Schweigen brechen, werden sich dadurch nur noch mehr Fragen auftun.
Wenn wirklich einer der oben genannten Auslöser zutrifft und Arafat den Folgen eines Attentates zum Opfer fiel, wird das Rätseln erst recht losgehen. Nämlich welche Seite ob nun die Israelis oder Gegner aus den eigenen Reihen wirklich dieses durchführte oder durchführen ließ. Wenn wir also von der Hypothese eines Mordanschlages ausgehen, so dürfte der nach einem Blick auf Arafats Biographie nicht einmal unrealistisch sein. Ohne mich in Details zu verzetteln, hat ein Mann, der als Guerillakämpfer zum Palästinenserführer aufstieg und andererseits sogar den Friedensnobelpreis erhielt (gemeinsam mit der Israelischen Regierung) und als Du-Freund von Bundeskanzler Bruno Kreisky (im Übrigen ein Halbjude) in Erscheinung trat, ein wahrhaft abenteuerliches Leben hinter sich, in dem er mehrfach vom Tod bedroht war.
De mortibus nil nisi bene über die Toten nur Gutes reden: das fällt bei Arafat sicher nicht leicht, obwohl er zweifelhaft lange Zeit als ein geschätzter Gesprächspartner bei unterschiedlichen Verhandlungen in Erscheinung trat. Seine Gewaltbereitschaft allerdings kostete ihn in den letzten Jahren viele Sympathien und möglicherweise war seinetwegen auch die Verhandlungsbereitschaft der Israelis zuletzt auf ein Minimum zurückgegangen. Unter Umständen ist Arafats Tod auch ein Tor eine friedlichere Zukunft im Nahen Osten, weil seine Person und seine Politik zuletzt die Haltung auf beiden Seiten verhärtete. Warten wir also ab und hoffen wir, dass zwischen Israel und Palästina wieder Gespräche in Gang kommen
Zurück zu Arafat. Zum momentanen Zeitpunkt ist also völlig offen, was Arafats Tod auslöste. Ausgeschlossen ist es sicher nicht, dass der verstorbene Palästinenserchef zum Beispiel auch einem viel zu spät entdeckten Krebsleiden erlag. Die unterschiedlichen Gerüchte erschweren es Außenstehenden enorm, sich ein vorurteilsfreies Bild zu machen und ich gehe davon aus, dass selbst eine offizielle Erklärung der behandelnden Ärzte nie alle Zweifler und Skeptiker zufrieden stellen wird. Oder erst Generationen nach uns. Wie etwa im Falle Napoleon Bonapartes, von dem Historiker immer ausgegangen waren, er wäre 1818 an Magenkrebs verstorben. Erst kürzlich wurden echte Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Vermutung laut. Da der im Übrigen ähnlich wie der Palästinenserchef auf St. Helena in einer Art Hausarrest lebende, abgesetzte Franzosenkaiser bei seinem Tod wohlbeleibt war (im Gegensatz zu allen Magenkrebskranken) werden die überlieferten Symptome nun als die einer Arsenvergiftung gedeutet. Wer da wohl verhindern wollte, dass der Korse sich noch einmal aufschwingen würde ?
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