von Vivienne – Dezember 2004
Die Tragik der Doppelmoral
Jetzt wissen wir es also. Schwarz auf weiß. Dagi Koller hat abgetrieben, knapp vor ihrem ganz großen Durchbruch auf den großen deutschsprachigen Bühnen. Und ohne schlechtes Gewissen. Religiöse Gründe hielten sie davon ab, zu Verhütungsmitteln zu greifen, wie sie in ihrer Biographie freimütig erzählt. Religiöse Gründe hielten sie allerdings nicht ab, 1966 eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Eine Abtreibung, die in der offiziellen Amtskirche noch immer mit Mord gleichgesetzt wird. Der Papst selber hat ihr die Absolution erteilt. Na dann alles in Butter, sollte man meinen. Oder doch nicht?
Ich verurteile jetzt nicht die Moral oder Nicht-Moral von Dagi Koller. Eine Abtreibung ist eine sehr individuelle Angelegenheit (Lesen Sie dazu in meinem Beitrag Das „Recht“ auf Abtreibung in der Bohne meine Überlegungen dazu nach!), den sich jede Frau, jedes Paar, jede betroffene Familie selbst reiflich überlegen und verarbeiten muss. Ich halte es mit Christus: Wer frei von Sünde ist, der werfe den ersten Stein ! Was mich aber betroffen macht, ist, dass nicht jede der einigen tausend Frauen (es gibt im Übrigen keine offiziellen Zahlen dazu!), die jedes Jahr eine ungewollte Schwangerschaft beendet bzw. beenden lässt, auf einen ähnlich milden Richter wie Johannes Paul II treffen mag.
Die Entscheidung nimmt einer Frau keiner ab, aber die Gottesmänner stehen sehr unterschiedlich zu dieser Frauenfrage und urteilen ebenso subjektiv. Eine meiner Tanten, zeitlebens eine arbeitsame Bäuerin aus dem oberen Mühlviertel, hatte sich vor über zwanzig Jahren auch zu einer Abtreibung entschlossen. Karrieregründe gaben bei ihr allerdings nicht den Ausschlag. Sie war schwer erkrankt, musste starke Medikamente einnehmen, die den Fetus in seiner Entwicklung irreparabel geschädigt hatten. Die Ärzte rieten ihr aus diesem Grund zu einem Abbruch, den sie auch vornehmen ließ. Medizinisch induzierte Abtreibungen wie diese sind in Österreich uneingeschränkt möglich.
Was der Pfarrer meiner Tante allerdings nicht akzeptieren konnte oder wollte. Er beschimpfte sie bei der Beichte als Mörderin und verweigerte ihr die Absolution. Das Sprichwort vom päpstlicher sein als der Papst bekommt in dem Zusammenhang eine ganz andere, zynische Bedeutung. Und mir drängt sich, angesichts beider Beispiele, eine sehr bittere Überlegung auf. Man muss wohl prominent sein und den Obersten Kirchenfürsten persönlich bemühen, um in diffizilen Fragen die Absolution zu erhalten. Ich will in dem Fall Dagmar Koller gar keinen großen Vorwurf machen. Sie war jung, schön und begabt, und der große Erfolg schien zum Greifen nah.
Im Grunde hat sie wohl keinen anderen Ausweg gesehen. Es spricht für sie, dass sie trotzdem diese schwierige Entscheidung zu bereinigen bemüht war und sich mit Gott deswegen aussöhnte. Und das gleich bei dessen höchsten Vertreter auf Erden. Aber was hat meine Tante verbrochen, dass der Pfarrer den Stab über sie brach? Wer ist er, dass er sich anmaßt, sie als Mörderin zu beschimpfen? Erde zu Erde, Staub zu Staub. Er wird diese Entscheidung auch einmal zu verantworten haben, so oder so. Ich habe die Problematik, die sich in diesem Beispiel spiegelt, auch schon im Falle der Beerdigung unseres verstorbenen Bundespräsidenten angesprochen (Über die Doppelmoral der Kirche).
Zur Erinnerung: Klestil, durch seine Scheidung von seiner ersten Frau nach kirchlichen Gesetzen her exkommuniziert, erhielt nicht nur ein Staatsbegräbnis sondern auch ein kirchliches Begräbnis in allen Ehren des Staates und der Kirche. Obwohl er eine zweite Ehe eingegangen war. Keinem Geschiedenen in Österreich wurde sonst dieses Privileg zuteil. Es ist also nicht Dagmar Kollers Abtreibung, die das große Unrecht darstellt, sondern vielmehr die Tatsache, wie viele Frauen in Österreich sich in so einem Fall die Vergebung von Gott erhofft hätten, so wie mein Tante, und zynisch wie fast menschenverachtend dabei zurückgewiesen wurden.
Gott ist doch für alle gleich, oder?
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