von Vivienne – Juni 2004
Noch länger arbeiten, noch weniger Geld?
Die Industriellenvereinigung hat einen neuen Präsidenten, Veit Sorger ist sein Name, und wenn man den Tageszeitungen trauen darf, macht sich der gute Mann eine Menge Gedanken um den Standort Österreich. Vor allem fordert er längere und flexiblere Arbeitszeiten und die Förderung der besseren Universitäten. Österreich braucht anscheinend eine Elite Auf letzteres möchte ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt eingehen, mir ist vor allem der Satz mit den längeren und flexibleren Arbeitszeiten ins Auge gestochen.
Ich dachte nämlich, es sei Österreich ohnedies schon längst an der Tagesordnung, dass in vielen Firmen Überstunden über Überstunden gemacht werden, gegen die der Arbeitnehmer de facto nichts machen kann, auch wenn sie die tägliche Höchstarbeitszeit überschreitet, und das regelmäßig. Jeder von uns kennt Leute, die auch am Wochenende regelmäßig in der Firma sind (oder ist gar selbst betroffen) und bei denen das Familien- und Privatleben deswegen sträflich vernachlässigt wird. Sorgers Vorschlag hieße demnach nur: genau dieselben Arbeitszeiten wie bisher, nur weniger Geld dafür, weil die Wochenarbeitszeit eben auf 42 oder mehr Stunden hinaufgesetzt wird.
Und wenn wir ehrlich sind: nachdem es genug Branchen gibt, in denen zwar eine Vierzig-Stunden-Woche vorgeschrieben ist, aber über das Jahr verteilt sicher um etliches mehr zusammenkommt, muss man sich fragen: auf wen träfe diese Forderung des neuen Industriellenvereinschefs dann wirklich zu? Am ehesten auf die hehre Beamtenschaft mit ihren Privilegien, aber dass es für diese bevorzugte Spezies unter den Arbeitnehmern mit Sicherheit wieder besondere Konditionen, Ausnahmen oder spezielle Übergangsphasen geben würde, darauf kann man eine Bank setzen.
In so fern habe ich große Probleme mit der Forderung von Herrn Sorger. Vor allem auch, wenn ich daran denke, dass wir in Österreich ohnedies eine hohe Arbeitslosenrate haben, die an die Spitzenzeiten nach dem 2. Weltkrieg heranreicht. Hieße nicht, die wöchentliche oder jährliche Arbeitszeit zu erhöhen, auch, in der Praxis und längerfristig mehr Menschen arbeitslos zu machen beziehungsweise fast gezielt arbeitslos zu halten? Wer sagt denn nicht, dass so mancher Produktions- oder Handelsbetrieb bei einer derartigen Regelung nicht plötzlich einen fixen Prozentsatz seines Mitarbeiterstabes freisetzen würde, damit der Rest unter der geänderten Konditionen für weniger Geld und weniger Personalkosten die selbe Arbeit erledigen müsste?
Mir ist schon klar, dass nicht jeder Arbeitslose eins zu eins in einem Betrieb, der jemanden aufnehmen möchte, unterkommen wird. Arbeitslosigkeit ist auch immer eine Sache von Angebot und Nachfrage, so hart und menschenverachtend das jetzt auch klingt. Wer Informatik studiert hat, wird sicher ein geringeres Problem haben, einen Job zu finden als jemand der sich auf Soziologie versteift hat. Aber mit einer Regelung, die die Arbeitszeit der Arbeitnehmer auf Dauer erhöht, wird damit auch die Bereitschaft eines Unternehmens senken, neues Personal aufzunehmen. Da die Leute ohnedies mehr arbeiten müssen, steigt ja auch automatisch der Radius dessen, was man den Leuten zusätzlich zumuten kann.
Würden Sie freiwillig länger arbeiten, und das ohne Vergeltung der zusätzlichen Stunden? Ich habe so eine (im übrigen damals illegale) Regelung schon einmal am eigenen Leib verspürt. Bei meinem vorletzten Dienstgeber waren wir verpflichtet, statt der gesetzlich vorgeschrieben 40 Stunden 42,5 Stunden zu arbeiten, im Dienstvertrag verankert durch eine undurchsichtige Floskel, die keiner anzufechten wagte, wenn er den Job nicht verlieren wollte. Eine Arbeitszeit, die schon sehr an den Nerven und der Motivation zehrte, eben weil es erstens nicht bei den 42,5 Stunden in der Woche blieb sondern weil der Job auf Dauer noch mehr aushöhlte.
Damals musste ich ja auch am Wochenende regelmäßig in die Firma, wodurch der Erholungseffekt mit der Zeit verloren ging. AMS und AK wussten Bescheid über die Vorgänge, geschehen ist aber lange Zeit wirklich nichts. Nur neulich kam mir zufällig zu Ohren, dass die Firmanleitung umdisponiert und wieder zur 40 Stunden Woche gewechselt haben soll. Doch zurück zu Herrn Sorger. Er macht sich also Sorgen um den Standort Österreich. Um die Arbeitnehmer in Österreich und ihre Arbeits- und Lebensqualität stellt er sich weniger Überlegungen an, aber damit ist er in bester Gesellschaft siehe oben.
Nun, momentan ist noch gar nichts sicher, und es kann natürlich sein, dass der Herr Präsident nur sozusagen zum Antritt seines neuen Amts ein paar starke Worte vom Stapel ließ. Hoffen wir das Beste, wenn aber diesen starken Worten ebenso so starke Taten folgen werden, dürfen wir wohl in bestimmten Bereichen von freien Wochenenden und fairer Arbeitszeit nur mehr träumen. Unsere Arbeitnehmervertreter haben in den letzen Jahren in den entscheidenden Fragen immer nur Zahnlosigkeit demonstriert. Dadurch wäre im Falle des Falles jeder sich selbst der Nächste
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