Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Oktober 2004



Ö3 – weil das Leben kein Hit ist!

Es war einmal Ö3, ein junger, innovativer Radiosender, der 1967 das Licht der Welt erblickte oder einfach, wie man damals noch formulierte, den Äther eroberte. Spätere Stars wie Andre Heller verdienten sich ihre ersten Sporen dort und selbst Wolfgang Schüssel, seines Zeichens Kanzler von Österreich, soll dort in den 70er Jahren einmal gejobbt haben. Oh, wäre er nur dort geblieben…! Doch halten wir uns wieder an Ö3, in dem gegen Ende der 70er Jahre der Kommerz mehr und mehr Einzug hielt. Ein Blick auf die Ö3-Hitparade genügte, um das deutlich erkennen zu können, moderiert wurde sie jeden Sonntag vom sonnigen Mädchenschwarm Udo Huber, auch dann, wenn er offiziell auf Urlaub war.

Ich fragte mich öfter, warum das damals niemand außer mir registrierte, aber das Phänomen, dass die Menschen einfach betrogen werden wollen, traf anscheinend auch in diesem Fall zu. Musterbeispiel für Chartmanipulation der anderen Art war wohl lange Zeit unter anderem Reinhold Bilgeri, der mit seinen schmalzigen, englisch interpretierten Schmachtfetzen à la „Some Girls are Ladies“ verkaufsmäßig längst nicht immer im Spitzenfeld lag, bei Ö3 aber fast immer toppte oder zumindest die Top 3 erreichte. Eines von vielen Mysterien in der Ö3-Hitparade, das offiziell nie gelöst wurde, denn selbst wenn alle Omis von Österreich damals für Bilgeri angerufen hätten, wäre diese Diskrepanz nie erklärbar gewesen.

In den seligen 80er Jahren regierten auch noch die „Großen Zehn“, die Monatshitparade im Fernsehen, basierend natürlich auf den Radiocharts, also im Grunde dieselbe Farce in grün. Udo Huber ertrug man, obwohl er sich in seinen Interviews mit Gasstars als eine völlige Fehlbesetzung entlarvte und zudem wie ein Schlafmittel wirkte, und dass diese Sendung tatsächlich ein paar Zuschauer hatte, lag nur daran, weil sie damals eine der seltenen Gelegenheiten war, bei der man Videoclips zu sehen bekam. Allerdings wieder nur ausgesuchte… Aber zurück zum Radio. In den 80er Jahren fand man bei Ö3 immer hin noch einige Programmpunkte, die durchaus als originell und erfrischend eingestuft werden könnten. Das Jazzhouse auf Ö3 nach dem obligaten Treffpunkt, die American Top Forty, moderiert von Cazey Kazem, bei denen man nämlich zu hören bekam, was an Musik wirklich gerade angesagt war, das legendäre Feature „Kopfhörer“ oder – Gott hab ihn selig – Axel Corti, mit seinem Schalldämpfer.

Auch der große Kabarettist Gerhard Bronner hatte tatsächlich noch im Abendprogramm von Ö3 eine Chance. Von den „Evergreens“, den „Gedanken“ – unvergessen mit der Erkennungsmusik der genialen Formation „Earth, Wind & Fire“ – oder der „Musik zum Träumen“ ganz zu schweigen. Viel Musik einer enormen Bandbreite, wo im Grunde für jeden etwas Hörbares dabei war, auch wenn er nicht mehr zu den Twens oder Teens gehörte. Ö3 wirkte dadurch unglaublich lebendig und authentisch, und somit ertrug man auch den erwähnten Udo Huber oder einen weiteren „Liebling“ von mir, Dominik Heinzl, der jetzt bei ATV+ und Krone Hit sein Unwesen treibt.

Mitte der 90er Jahre kam aber dann der große Schnitt. Oldies, und damit waren auch schon die 70er Jahre gemeint, waren plötzlich verpönt. „Ö3, die größten Hits der 80er und 90er Jahre“ – der Slogan tönte den ganzen Tag durch die Sendungen und bald war schon „Das Leben ein Hit“, ein „toller“ Vergleich, der auch gleich den Weg verdeutlichte, den Ö3 in Zukunft gehen wollte: den Weg der Berieselung, weg vom Mitdenken zum Nebenbei-Geräusch oder zu den Billigschmähs. Junge Leute sollten vermehrt angesprochen werden, der Jugendwahn hatte also auch vor dem einstigen Vorzeigesender nicht halt gemacht. Keine Chance mehr auf Hörproben von Albumtracks, die nicht als Single ausgekoppelt werden, der Hörer wurde zunehmend verdummt mit so genannten Hits, die im Grunde gar keine wirklichen sind.

Werden doch Verkauf und Airply durchwegs von den Plattenfirmen gezielt gepusht. Wer zahlt, dessen Sänger laufen on Air, und wer zahlt, sagt auch, was angesagt ist: Rave, Grunge, Dance … oder Stars aus der Konserve, Starmania und Konsorten. Oder bildlich gesprochen. Bei Ö3 gibt es längst keine anspruchsvollen Musik-Menüs mehr, Ö3 ist das Fastfood-Mekka, das McDonalds in der Senderlandschaft Österreichs. Dieser Niedergang wirkt auf mich, als würde Oscarpreisträger Denzel Washington plötzlich bei Forsthaus Falkenau mitspielen, also ein Abstieg, der im Grunde seinesgleichen sucht. Die Hörerzahlen mögen den Verantwortlichen ja Recht geben, aber Menschen mit Hirn schließt man von der Ö3-Gemeinde von vornherein aus.

Mich würde interessieren, welche Werbeagentur damals den Slogan „Das Leben ist ein Hit“ entwarf – ein Volltreffer jedenfalls, der den Kommerzabstieg von Ö3 beschleunigte und sich zu einem geflügelten Wort entwickelte, das mir  – begeisterter Bayern3-Fan – sauer aufstößt. Das Leben ist Gott sei Dank weit mehr als ein Hit, denn der dauert in der Welt der Konservenstars ohnedies nicht viel mehr als drei Minuten. Mein eigenes Leben gefällt mir auch in einem oder zwei Jahren noch, so mancher einstmals angesagte Song verstaubt dann aber schon längst in einem abgelegenen Plattenregal im Archiv von Ö3. Ehrlich: ich wünsche niemandem ein Leben wie ein Hit, denn nirgends bist du schneller abserviert!

Vivienne

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