Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  August 2004



Rettung mit Sparstift

So was kann jedem von uns passieren. Gestern erst – ich war auf dem Nachhauseweg vom Freibad in der Nachbargemeinde, wo ich den Nachmittag verbracht hatte – wurde ich eher unfreiwillig Zeugin eines Verkehrsunfalls in unserem Ort. Eine Autofahrerin war eben noch an mir vorbeigefahren, zehn Sekunden später hörte ich schon lautes Geschepper hinter mir. Als ich mich überrascht umdrehte, wurde mir schnell bewusst, dass die Lenkerin in der unübersichtlichen Kurve einen jungen Motorradfahrer umgestoßen hatte, der eingebogen war. Das Zweirad rutschte nach vor, während der junge Mann wieder relativ schnell auf den Beinen war und sich im ersten Schock immer wieder auf das Bein griff und in einem Kraftausdruck seinem Ärger Luft machte. Die Lenkerin des Unfallautos und eine weitere Autofahrerin, die ihr Fahrzeug gerade noch rechtzeitig zum Stillstand gebracht hatte, kümmerten sich um den angeschlagenen Burschen. Ich selber griff nach dem Handy und wählte  – vermeintlich – die Rettung in der Nachbargemeinde.

Es erstaunte mich etwas, dass ich den Weg bzw. die Unfallstelle ziemlich genau erklären musste und fragte mich noch bei mir selbst, ob die Rettungsfahrer denn keine genauere Ortskenntnis hätten. Selber war ich verständlicherweise auch ein wenig nervös, weil ich noch nie in meinem Leben in so einer Situation gewesen war. Als ich einem Freund am Abend von dem Unfall erzählte, konnte mir der aber erklären, warum der Herr vom Roten Kreuz so genau wissen wollte, wo der Unfall sich ereignet hatte. Denn keinesfalls hatte ich mit der Stelle in der Nachbargemeinde gesprochen sondern war vielmehr automatisch mit einem Disponenten in Linz verbunden worden – obwohl ich die richtige Vorwahl gewählt hatte. Der Freund, der ehrenamtlich in seiner Freizeit sehr rührig für das Rote Kreuz und den Samariterbund im Einsatz ist, wusste auch warum.

Sparen. Es kostet zu viel Geld alle Bezirke mit Disponenten zu versorgen, es gibt zudem kaum Leute, vor allem keine, die ehrenamtlich so viel Zeit investieren. Und etliche Leerläufe werden damit auch vermieden. Auf diese Erläuterungen hin musste ich zuerst einmal ordentlich schlucken. Mir fiel nämlich eine Geschichte ein, die sich vor mehr als 10 Jahren in meiner Familie zugetragen hatte. Mein Vater hatte sich damals mit der Elektrosäge in den Unterarm geschnitten und wäre beinahe verblutet. Meine jüngste Schwester, damals gerade in Karenz, war glücklicherweise daheim gewesen und hatte die Rettung verständigt. Damals war die örtliche Rettung gerade in die Bezirkshauptstadt zentralisiert worden und ich erinnere mich gut, wie sie mir schilderte, dass es fast unmöglich war, dem jungen Mann am Telefon zu erklären, wo wir wohnen, womit kostbare Zeit verloren ging und sich mein Vater unnötig lange in Gefahr befand zu verbluten.

Natürlich ist mir klar, wird normalerweise kein Rettungswagen vom Bezirk Rohrbach zum Beispiel in unsere Gemeinde zum Einsatz kommen. Trotzdem stelle ich es mir im Notfall schon einigermaßen schwierig vor, jemandem, der aus einer völlig anderen Ecke unseres Bezirks kommt, den Weg zu dieser Unfallstelle zu beschreiben. Es mag mir nicht ganz in den Kopf hinein, warum man quasi mit „der Kirche um Kreuz“ fahren muss, damit dann im besten Fall die „richtige“ Rettung aus der Nachbargemeinde erscheint um sich um besagtes Unfallopfer zu kümmern. Warum direkt, wenn es auch umständlich geht? scheint man sich beim Roten Kreuz zu denken. Bei allem Verständnis dafür, dass kein anderer Bereich auch nur annährend auf ehrenamtliche Unterstützung und soziales Engagement der Bevölkerung angewiesen ist: der logische Weg wäre in der Nachbargemeinde anzurufen und auch mit jemandem von dort zu reden, wenn es um einen Unfall oder Noteinsatz geht. Alles andere scheint mir ein wenig am Leben vorbeizulaufen.

Kuriose Fahrten für manches Rettungsauto in fast unbekannte Gegenden sind seit diesen Änderungen immer wieder die Regel. Was ich so in Erfahrung bringen konnte stößt die direkte „Konkurrenz“ Samariterbund ins selbe Horn. Ganz Niederösterreich soll ab dem nächsten Jahr von einer zentralen Leitstelle aus dirigiert werden. Ein höchst sensibler Bereich setzte den Rotstift an und ich mache mir ernsthaft Sorgen, wie es mir ergehen könnte, wenn ich im Notfall auf einen raschen Krankentransport angewiesen wäre. Auch wenn mancher vom Roten Kreuz oder auch Samariterbund meine Überlegungen nicht kritiklos zur Kenntnis nehmen würde – seine Sichtweise ist natürlich gänzlich anders – nachdenken sollte man schon darüber, ob stetige Zentralisierung wirklich der Weisheit letzter Schuss sein darf. Schließlich geht es nicht nur um Geld sondern vor allem auch um Menschen(-Leben)…

Vivienne

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