Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Februar 2005


Land der Kuriositäten

USA – Land der der unbegrenzten Möglichkeiten, im Guten wie im Bösen. Gern wird in dem Zusammenhang auch der Tellerwäscher zitiert, der den Aufstieg zum Millionär schaffte. Weniger gern wird in dem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass jener Tellerwäscher zu einer verschwindenden Minderheit gehörte. Trotzdem bewerben sich alljährlich wieder zigtausende allein in Österreich um die Green Card, die Wunderkarte, die den Aufenthalt und die Arbeitserlaubnis in den USA repräsentiert. Auf den Spuren Arnold Schwarzeneggers glauben noch immer viele an den großen Erfolg und den sozialen Aufstieg in ungeahnte Höhen…

Amerika ist also das Synonym für Erfolg und Weiterkommen, noch immer. Amerika ist aber auch ein Symbol für fragwürdige Gerichtsurteile und eine Form der Todesstrafe in einigen Bundesstaaten, die nicht nur mir nicht mehr zeitgemäß scheint. Dieser Tage konnte ich von einem Fall in den Medien lesen, der alle Anzeichen einer nicht nachvollziehbaren Logik in sich trägt. Vor einigen Jahren hatte ein junger Mann aus dem Bundesstaat Virginia einen Mann entführt und ermordet. Nur sein niedriger IQ von 59 verhinderte die Verurteilung und Vollziehung der Todesstrafe. Es gibt dort nämlich genaue Richtlinien, dass ein geistig behinderter Mensch nicht zum Tode verurteilt werden darf.

Und dabei liegt die unterste Grenze bei einem IQ von 70. Der junge wie verwahrloste Täter wurde also „nur“ eingesperrt, weil ihm jede Einsicht in seine grauenvolle Tat fehlen musste. Im Gefängnis bekam er aber die Gelegenheit etwas für sich zu tun. Er lernte lesen und schreiben und er entwickelte sich geistig weiter. Und sein IQ stieg damit – über die magische Grenze. Nun fordert die zuständige Staatsanwältin aber im Nachhinein die Todesstrafe für den Mörder. Und rein rechtlich muss man ihr sogar Recht geben – nach „papierenen“ Richtlinien ist der junge Mann nicht mehr geistig behindert – also voll verantwortlich für seine damalige Tat. Was es aber für Sinn machen würde, ihn nachträglich mit aller Härte für ein Verbrechen zu bestrafen, in das er damals keinen Einblick hatte, dessen Motivation er jetzt sicher nicht mehr so leicht nachvollziehen kann (wenn er damals überhaupt eine hatte!), ist mir schleierhaft.

Man kann sich in Betrachtung der amerikanischen „Zustände“ oft nicht des Eindrucks erwehren, dass zumindest so mancher Staatsanwalt oder Richter gerade zu danach giert, in vielen Gerichtsfällen die Todesstrafe durch zu setzen. Sei es aus purer Profilierungssucht oder einfach aus einem fragwürdigen Gerechtigkeitsdenken heraus. Im Falle des oben genannten Mörders ist sicher noch nicht das letzte Wort gesprochen und ein guter Anwalt wird natürlich auch meine obige Argumentation in seine Überlegungen einbeziehen. Ich möchte hier sicher kein Plädoyer für einen Mörder halten, und das in einem Fall, den ich selber nur sehr ungenügend kenne. Aber die Todesstrafe lehne ich ab, weil sie kein Mittel sein kann, um Recht oder Gerechtigkeit zum Sieg zu verhelfen.

Umgemünzt auf österreichische Verhältnisse stellen Sie sich folgendes Beispiel vor: ein Junkie überfällt einen Mann, beraubt und tötet ihn, um seine Drogensucht zu finanzieren. Der Süchtige geht ins Gefängnis, seine relativ milde Haftstrafe – es lag keine Tötungsabsicht vor, außerdem war der Mann zum Zeitpunkt der Tat in einer akuten Phase seiner Sucht – nutzt er, um sich erfolgreich einem Entzug zu unterziehen. Aber nun prescht der Staatsanwalt vor: die ganzen Milderungsgründe fallen jetzt weg, weil der Mann nicht mehr drogenabhängig ist, und fordert nachträglich eine deutlich höhere Strafe. Die Justiz bei uns würde diesen übereifrigen Staatsdiener nur belächeln, aber in den USA sind scheinbar derartige Überlegungen in ähnlich gelagerten Fällen keine Seltenheit.

Wäre obig genannter Mann im Gefängnis der „Dummkopf“ geblieben, der er zum Zeitpunkt des Mordes war, müsste er jetzt nicht um sein Leben bangen. Verkehrte Welt. Vielleicht hilft das mediale Echo, dass der Fall genauer durchleuchtet wird und der Mann zumindest eine faire Chance bekommt – auch wenn sein Opfer diese Chance wohl nicht hatte. Aber wie sagte der Friedenskämpfer Martin Luther King sinngemäß? Das alttestamentarische Gesetz von Gleiches mit Gleichem, von Auge um Auge, Zahn um Zahn wird nur irgendwann dazu führen, dass alle Menschen blind sind….

Vivienne

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