Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  Juni 2004



Andere Länder, andere Sitten

Ich stand in einer DM-Filiale auf der Linzer Landstraße vor dem Regal mit den blumigen Parfüms und sprühte mir eine Probe auf das Handgelenk. Vorsichtig äugte ich hinter mich. Wirklich, da stand wieder dieser große Farbige, eher dünn und bunt gekleidet, und ich hatte das Gefühl, dass er seit fünf Minuten, seit ich in das Geschäft eingetreten war, immer darauf geachtet hatte, zwei bis drei Schritte hinter mir zu stehen. Ich prüfte die Duftwolke auf meinem Handgelenk angestrengt. Bildete ich mir das Alles nur ein? Ich kannte den Mann gar nicht, vielleicht alles Zufall.

Spontan ging ich weiter nach hinten und sah mich unter den Lidschatten um. Seit Isolde, eine ganz liebe Kollegin, die sich auf dem Gebiet auskannte, mir erklärt hatte, wie sehr gelbe oder bräunliche Lidschatten meine blauen Augen zum Strahlen bringen würden, ertappte ich mich immer wieder dabei, mich in den Fachabteilugen umzusehen. Wäre ja nicht das Schlechteste, wenn ich meine optischen Vorzüge etwas mehr zu Geltung bringen könnte. Während ich gerade ein paar Farben testete, bemerkte ich wie jemand neben mir nach einem Rouge griff. Es gab mir einen Stich. Die Hand war schwarz. Schon wieder der Typ!

„Entschuldigung“ Sein Deutsch klang gebrochen und er hielt etwas in den Händen. Ich ging wortlos zur Seite, weil ich dachte, er wolle sich einen der Lidschatten ansehen, die ich gerade in Beschlag genommen hatte. „Entschuldigung“ Es klang mit Nachdruck, und was auch immer er in den Händen hielt, es sah aus wie ein Armband, er hob es nun hoch, um es mir zu zeigen. Da schau her! Ich legte flux den Rückwärtsgang ein und verschwand in der Abteilung mit der Babynahrung. Der Farbige blickte mir mit großen Augen nach, während ich die Kurve nahm und in den nächsten Gang wechselte. Vielleicht war das deutlich genug für den jungen Mann.

Als ich ein paar Minuten später zur Kasse ging, war von dem großen Dunklen im Geschäft nichts mehr zu sehen. Ich zahlte und blickte auf die Uhr. Zehn vor Vier, jetzt musste ich mich beeilen, ich wollte ja wieder mal Erwin auf einen Kaffee treffen, meinen Schulkollegen, unseren ehemaligen Klassensprecher. Deswegen war ich ja überhaupt erst in den DM gegangen – ich hatte ja noch etwas Zeit gehabt. Und dann diese unerwartete wie seltsame Begegnung… Ich dachte an die Schlagzeilen der letzen Tage. Einem afrikanisch-stämmigen Mann wird der Prozess gemacht. Er, der vierfache, verheiratete Familienvater, hatte seine junge Geliebte ermordet, weil sie es gewagt hatte, ihn zu verlassen und eine neue Beziehung einzugehen.

Merkwürdige Doppelmoral! ging mir durch den Kopf. Und wohl auch Ausdruck einer männerdominierten Kultur, die alle Freiheit und alles Recht dem Mann zubilligt, auch über das Leben einer Geliebten, die sich wegemanzipieren wollte… Ich hatte eben Platz genommen, als auch schon Erwin auf mich zukam. „Vivi! Schön dich zu sehen!“ Beide bestellten wir eine Melange, die in letzter Zeit zu meinem Lieblingskaffee avanciert war. Erwin Mistlbacher hatte sich wirklich kaum verändert. Er war noch immer dünn, und auch sein blondes Haupthaar war ihm (fast) noch nicht abhanden gekommen.

Sein schmaler Mund grinste vergnügt, während er auf der Speisekarte ein passendes Gebäckstück zum Essen suchte. „Meinst, soll ich mir eine Malakofftorte gönnen?“ bezog er mich in die angestrengte Suche mit ein. „Oder doch Kardinalschnitten?“ Ich zündete mir wortlos eine Zigarette an. Erwin war immer so ein Schleckermäulchen gewesen, war aber von der Natur mit der wundervollen Gabe beschenkt worden, einfach nicht zunehmen zu können – da konnte er essen, was und wie viel er wollte. Erwin entschied sich schließlich doch für Schwarzwälder Kirsch, nahm einen Schluck von der Melange und begann unvermittelt. „Na, hast auch von dem Prozess gelesen? Furchtbar. Es macht mich grantig, wenn ein Mann eine Frau als seinen Besitz ansieht. Unglaublich!“

Ich nahm einen Zug von der Zigarette und überlegte, was ich antworten sollte. „Weißt Erwin, ich hab gerade auch daran denken müssen. Das ist in dem Fall wohl auch ein kulturelles Problem, du weißt was ich meine. Der Status von Mann und Frau zueinander ist, dort, wo der Mann herkommt, ganz anders als bei uns.“ Ich dämpfte die Zigarette aus. „Weißt, was mir grad passiert ist? Ich hatte nach der Arbeit noch Zeit, war in einem Drogeriemarkt dort vorn und ein Farbiger hat mich, formulieren wir es einmal ein bissl drastisch, vorsichtig verfolgt, durch alle Abteilungen durch. Und als er dann endlich neben mir zu stehen kam, hat er mich angeredet, hartnäckig, wollte mir so eine Art Armband zeigen, vielleicht auch schenken. Womöglich war es auch nur ein Köder.“

Ich zuckte mit den Schultern und erwiderte Erwins fragenden Blick. „Ich hab mich sofort aus dem Staub gemacht.“ Erwin nickte. „Ich verstehe, ich hoffe du bist jetzt nicht beleidigt, wenn ich dir das sage, aber mollige Frauen wie du üben eine gewisse Faszination auf einige Kulturen aus. Mollig sein bedeutet für diese Typen: die hat Geld, die ist reich, die kann mich aushalten…!“ „Ganz meine Meinung!“ bestätigte ich Erwin und schmunzelte in Gedanken an meinen scheinbaren Reichtum, der sich auf den Hüften angesetzt hatte. „Ich bin ganz sicher nicht beleidigt, alles andere als das. Ich denke, du hast die Beweggründe des Schwarzen genau erkannt. Weißt, es gibt ja auch bei uns Typen, die Frauen penetrant verfolgen, aber die haben alle eine ernsthafte Krankheit und gehören zum Psychiater. Bei diesem Farbigen war es das Selbstverständlichste auf der Welt, mich auf die Tour zu ködern.“

Erwin genoss Schwarzwälder Kirsch. Kauend nickte er und mich fraß der Neid. „Du weißt ja, dass ich schon vor Jahren zu meiner Frau nach Steyregg gezogen bin. Wir haben dort ganz liebe Nachbarn, ein Ehepaar mit einem einzigen Kind. Diese Tochter hat sich in einen viele Jahre älteren Schwarzen verliebt und diesen im letzten Jahr auch gegen den Willen der Eltern geheiratet. Ganze Zwanzig Jahre war sie damals alt.“ Erwin hatte auf sein Tortenstück anscheinend vergessen. Er sah ernst aus, und ein wenig nachdenklich. „Ihr Mann betrügt das Mädel immer wieder, vor allem mit reiferen, beleibten Frauen, von denen er sich Geld erhofft. Das Schlimme dabei: Das Mädel hält ihren Mann ohnehin nur aus, denn er arbeitet nichts. Den ganzen Tag sitzt er nur vor dem Fernsehapparat oder vor dem Computer. Online, um andere Frauen kennen zu lernen…“

Erwin ballte unbewusst seine Faust. „Oder er trifft sich gleich mit diesen Bekanntschaften. Das Mädel macht sich so unglücklich, aber sie denkt nicht einmal darüber nach, ihn zu verlassen, sich scheiden zu lassen.“ Mein Schulkollege legte beide Hände auf den Tisch. „Ich will jetzt nicht gegen so genannte Mischehen schimpfen, das steht mir nicht zu. Doch es ist in jedem Fall eine Gradwanderung. Und ich bin überzeugt, die wenigsten Frauen wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie eine Beziehung mit einem Mann aus einer so gegensätzlichen Kultur eingehen.“ Erwins Stimme wurde leise. „:.. ich glaube dieser Spagat gelingt nur ganz, ganz selten.“

Ich stellte meine Tasse auf den Tisch. Sie war leer. Ariane war mir in den Sinn gekommen, vor Jahren eine Arbeitskollegin von mir. Ein so hübsches Mädel, blonde Haare, braune Augen, hatte sie einige Zeit mit einem Ägypter gelebt, der sie regelmäßig verprügelte. Nach einem Krankenhausaufenthalt wegen schwerer Verletzungen und einigen Brüchen hatte sie endlich die Kraft gefunden, ihn anzuzeigen und ihn aus der Wohnung zu werfen. Omar, so hieß er, war dann untergetaucht um dem Verfahren zu entgehen. Ein guter Vergleich von Erwin: ein Spagat war so eine Beziehung ganz sicherlich, und er setzte enorme Lernfähigkeit und geistige Flexibilität von beiden voraus…

Vivienne

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