Neue Bohnen Zeitung


von Vivienne  –  August 2004



Einseitige Liebe

Etwas vom Schlimmsten, das einem Im Leben widerfahren kann, ist einen Menschen zu lieben, mit aller Tiefe, zu der man fähig ist, aber die großen Gefühle bleiben letztlich unerwidert. Wohl jedem von uns ist das schon einmal passiert und ganz abgesehen davon, dass so eine fixierte Liebe meist auch damit zu tun hat, dass man versteckte Bindungsängste mit sich herumträgt: in dieser Situation ist das nur ein schwacher Trost, ebenso wie der wohl gemeinte Tipp von Freunden, dass es wieder anders wird. Alle Abgründe der eigenen Seele tun sich auf, manch einer möchte sogar sterben, obwohl das völlig sinnlos wäre. Heilung findet man nur im Rückblick: je weiter die Tragödie zurückliegt, umso mehr Distanz bekommt man zu ihr…

Neulich musste ich zum Zahnarzt. Ein Routinetermin an sich, wenn nicht der eine Backenzahn links oben schon einige Wochen Probleme gemacht hätte. So sah ich der Kontrolle mit gemischten Gefühlen entgegen, rechnete schon halb wieder mit einer Wurzelbehandlung und verwünschte den Autofahrer, der den PKW meines Arztes in der Früh gerammt hatte. Ein Blechschaden zwar nur, aber durch den Unfall hatte sich der Dentist verspätet und das Wartezimmer war völlig überfüllt, als er gegen 9:30 Uhr endlich in die Ordination kam. Und ich musste warten, denn ich war kein Notfall…

Albert hatte mir, sozusagen zum  Geleit, vorhin erst noch eine SMS mit einem Zahnarztwitz geschickt, den ich mit gemischten Gefühlen las. In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Frau Anfang dreißig kam herein. Besser gesagt, sie erschien: blond, sehr feminin, unverkennbar eine Tussi und eine würdige Vertreterin ihrer Spezies, wie ich mir gleich nicht ganz unvoreingenommen dachte. Blond verpflichtet eben… Sie ging zur Anmeldung und nannte ihren Namen, laut und vernehmlich. „Simone Schneeberger. Ich hab vorhin angerufen, ob Sie mich am Vormittag einschieben können.“ Die Arzthilfe nickte und machte Frau Schneeberger mit dem Hinweis auf den leidigen  Blechschaden darauf aufmerksam, dass es leider eine Weile dauern würde… Mir selber kam der Name so vertraut vor, ich wusste gar nicht woher, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel. Wir waren doch einmal Kolleginnen gewesen!

Vor weit über zehn Jahren, und ich hätte sie gar nicht wieder erkannt. Damals hatte ich in einem kleinen Betrieb in der Mozartstraße gearbeitet, in der ich Mädchen für alles war. Ich betreute alles, von der Telefonzentrale über Kleinigkeiten für die Buchhaltung bis hin zu Postbelangen, Massensendungen, etc. Überall wo Not an der Frau war, packte ich an. Und jetzt fiel mir sogar wieder das Geburtsdatum der Frau Schneeberger ein: der 11. April, genau, immerhin hatte ich dort auch alle Krankenscheine ausgestellt. Und ich verfüge über ein ausgezeichnetes Gedächtnis was Zahlen betrifft. Jetzt, wo die erste Hürde der Erinnerung genommen war, hatte ich gleich die ganze Geschichte wieder präsent. Simone war eine der beiden Bürokräfte gewesen, als gelernte Verkäuferin war sie etwas glücklich zu diesem Posten gekommen. Und sie genoss es sichtlich, in einem Betrieb mit lauter Handwerkern zu arbeiten.

Denn der holden Männlichkeit war sie absolut nicht abträglich, ganz im Gegenteil. Ihr Freund, Harald, dürfte ihr nie so besonders am Herzen gelegen sein. Denn dass ich des Öfteren das Vergnügen – oder Missvergnügen – hatte, Simone am Damen-WC oder im Raucherkammerl beim Knutschen mit irgendeinem Kollegen zu ertappen, stand an der Tagesordnung. Mir wäre das ziemlich egal gewesen im Grunde, lange Zeit war es das auch, aber schließlich lernte ich bei einer Weihnachtsfeier ihren Freund Harald kennen. Nett, recht unscheinbar und total verliebt, blind verliebt in seine Simone, die er zum Engerl hochstilisierte. Ein Status, der ihr sicher nicht zustand, denn seine Gefühle dürften ihr schon längere Zeit ziemlich egal gewesen sein.

Mir fielen die Gerüchte wieder ein von einem etwas heftigeren Pantscherl von Frau Schneebeger mit Herrn Hartl, der rechten Hand unseres damaligen Chefs, der bereits 20 Jahre im Unternehmen tätig war. Der junge Mann, Harald, tat mir echt leid, aber ich verlor bei den wenigen Gelegenheiten, in denen ich mit ihm zu tun hatte, kein Wort darüber, was seine Freundin so trieb. Ich machte mir nur hin und wieder Gedanken. Vor allem, als Simone in der Arbeit prahlte, dass er ihr ein Pferd gekauft hatte, für das der arme Tropf sogar eine Kredit aufgenommen haben dürfte. Liebe macht blind, da durfte ich mich selber an der Nasenspitze nehmen, aber so hündisch und blind war ich noch keinem Mann ergeben gewesen. Harald versuchte sich also, das Herz und die Liebe seiner Freundin zu erkaufen. Und es dürfte nur eine Frage Zeit sein, dass ihm die Geldmittel ausgehen würden…

Ich warf meiner Ex-Kollegin einen prüfenden Blick zu. Sie war noch immer sehr hübsch, die Haare zu einer perfekt blonden Mähne toupiert und die Fingernägel und Lippen in knalligem Rot. Dass ihr damaliger Freund Harald sie mit Hartl zufällig auf dem Damen-WC erwischte, als er sie Freitagnachmittag von der Arbeit abholen wollte, war wohl nur einer Kette unglückseliger Umstände zu verdanken gewesen. Harald hatte sich gegen seine sonstige Gewohnheit nämlich nicht bei ihr angekündigt und dass Simone sich noch in der Firma aufhielt, war nur Hartl zu verdanken gewesen, der wohl wirklich irgendwann an dem Nachmittag mit ihr am WC zur Sache gekommen war. Ich selber war damals schon heimgefahren gewesen, aber dem Vernehmen nach dürfte die Situation eindeutig gewesen sein…

Simone bitzelte noch Wochen später, weil Harald sofort das Pferd verkauft hatte, nachdem ihm endlich ein Licht aufgegangen war. Es fehlte bei dieser ziemlich gewissenlosen Frau wohl vor allem auch an der nötigen Erkenntnis, dass sie dieses teure Präsent fairerweise nie verdient hatte. Die peinliche Aufdeckung selber ging ihr weniger nahe, wie mir ein Kollege berichtete, schrie sie ihren Noch-Freund im ersten Moment nur an, dass er sich sofort wegscheren möge! Wie auch immer. Eine Frau wie Simone Schneeberger würde immer einen Mann an der Seite haben, der ein hübsches, herzeigbares Püppchen brauchte, das nicht lange fackelte, wenn es hieß, die Beine breit zu machen…

In diesem Moment rief mich die Zahnarzthilfe auf. Ich legte die Zeitschrift weg, die pro forma auf meinem Schoß gelegen hatte, und ging mit langsamen Schritten und mulmigen Gefühl in der Magengegend Richtung Behandlungszimmer. Simone Schneeberger hatte bei der Nennung meines Namens nicht einmal mit der Wimper gezuckt, aber das überraschte mich nicht. Ich war ja auch kein Mann, und selbst wenn, dürften ihr nur die wirklich bedeutsamen weil geldigen in Erinnerung geblieben sein. Die Tür fiel hinter mir zu und mein Zahnarzt begrüßte mich. „Was haben wir denn heute?“

Vivienne

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