Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
30.07.2005, © Vivienne
Beziehungsalltag
Die junge Frau blickte sich interessiert in unserer Wohnung um. Hübsch haben Sie es hier. Dann nahm sie formlos auf der Couch Platz. Ich bot ihr ein Glas Wasser an und verschwand in der Küche. Ich bringe Ihnen den Reiseatlas gleich. Mein Mann hat ihn im Schlafzimmer. Mit einer Flasche Mineral und zwei Gläsern kam ich wieder ins Wohnzimmer zurück. Ali hatte von seinen Eltern vor einigen Jahren diesen Reiseatlas, der einmal viel Geld wert gewesen war und sicher auch ein begehrtes Sammlerstück abgeben würde, erhalten, aber bei uns hatte er keinen Platz. Im Bücherregal sprengte er alles, und sonst hatten wir keine Möglichkeit ihn zu verstauen. Also hatten wir uns entschlossen, ein Inserat im Korrekt Anzeiger aufzugeben. Ich war davon überzeugt, dass der Schmöker sicher einen Liebhaber finden würde und sollte Recht behalten.
Die junge Frau hatte sich relativ rasch bei uns gemeldet und war bereit, das kostbare Buch, das bei uns nur ein Schattendasein als Staubfänger führen würde, zu übernehmen. Auch wegen des Kaufpreises wurden wir uns schnell einig. Und jetzt saß sie da, blätterte glücklich in dem schweren Reiseatlas und strahlte mich durch ihre Brillengläser hindurch an. Sie wissen gar nicht, was Sie mir damit für einen Herzenswunsch erfüllt haben. Ich reise für mein Leben gern und weiß den Wert dieses Buches mehr als nur zu schätzen. Das Läuten meines Handys unterbrach uns. Albert meldete sich. Vivi? Es wird später heute. Der neue Server macht Schwierigkeiten Schade. Ich mach dir das Essen später warm, ok? Das war wohl höhere Gewalt, aber bei einer komplexen Materie wie der EDV nichts wirklich Neues.
Die junge Frau musterte mich prüfend. ..schauen Sie, es geht mich nichts an, dass Sie mich nicht missverstehen, aber Ihr Mann ruft Sie tatsächlich an, wenn er sich verspätet? Ich hob die Augenbrauen. Ja, das tut er, wir reden uns immer ab, wann wir zuhause sind. Ich wusste nicht, dass das ungewöhnlich ist. Die junge Frau seufzte. Nein, das ist es vermutlich nicht, aber wissen Sie, mein Freund tut das nie. Leider. Ich habe mich schon so geärgert deswegen. Dabei arbeitet er auf einem Amt und hat fixe Arbeitszeiten. Aber ich warte oft daheim mit dem Essen auf ihn und alles wird kalt. Ich nahm neben der Frau Platz. Das würde ich mir nicht gefallen lassen an Ihrer Stelle. Das heißt, ich würde ganz sicher nicht mehr auf ihn warten. Wie kommen Sie dazu? Meine Gesprächspartnerin nahm einen großen Schluck vom Mineralwasser. Dabei ist das noch das geringste Problem. Ich könnte Ihnen Sachen erzählen
Binnen weniger Minuten taute die junge Frau völlig auf. Ich hatte uns Kaffee gekocht, sie zündete sich eine Zigarette an. Und sie redete und redete sich den Kummer, der sie wohl schon einige Zeit beschäftigte, von der Seele. Fritz ist furchtbar. Seine Unpünktlichkeit ist echt schlimm! Ich habe schon ganze Monate meines Lebens nur auf ihn gewartet. Da dreißig Minuten zu spät, dort gleich wieder eine ganze Stunde und das immer wieder. Obwohl er weiß, dass ich es hasse und obwohl ich ihm schon so oft gesagt habe, wie krank mich das macht. Ich kann mich nicht auf ihn verlassen. Nie! Einmal fiel ein ganzer Wochenendtrip ins Wasser, weil wir wegen seiner Unpünktlichkeit den Zug nicht mehr erreichten. Ich habe Rotz und Wasser geheult deswegen!
Ich räusperte in den Redefluss der Frau. Haben Sie nie mit ihm darüber gesprochen? Irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie beide völlig unterschiedliche Vorstellungen vom Zusammenleben haben! Sie nickte energisch. Das habe ich mir auch schon gedacht. Fritz kostet mich so viel Kraft, dabei habe ich ihn so lieb. Kurz bekam ihr Gesicht einen weichen Ausdruck. Wenn ich rede mit ihm, ändert sich nie etwas. Nicht auf Dauer. Er ist so ein Chaot und immer wieder kommt mir vor, er will sich gar nicht ändern. Wir leben zwar zusammen, aber er lebt noch immer wie ein Junggeselle, ohne Verpflichtungen. Ich fragte mich einen Moment, ob ich diesen Beziehungsknatsch wirklich hören wollte, aber die Frau tat mir leid. Und interessant war es trotzdem auch vor allem, weil mir Albert im Vergleich dazu geradezu pflegeleicht erschien
und dann war er mit ein paar Freundinnen unterwegs, ging mit ihnen ins Kino, während ich ihn Jahr und Tag beknieen muss, dass er sich mit mir einmal einen guten Film ansieht. Und ich habe mich gestritten mit ihm deswegen, und mich nachher wieder schuldig gefühlt. Wissen Sie Ihr Blick traf mich fragend. ich frage mich oft, ob ich nicht zu viel verlange, zu viel voraussetze. Was denken Sie? Im ersten Moment hätte ich ihr am liebsten geraten, den Typen vor die Tür zu setzen. Ich selber hasse Unpünktlichkeit noch viel mehr und Ali mit ein paar Freundinnen unterwegs hätte mir wohl eine schlaflose Nacht beschert. Aber ich spielte dann doch den Ball an sie zurück. Es ist schwer jemandem in der Situation einen Rat zu geben. Ich glaube auch nicht, dass Sie zu viel voraussetzen. Überlegen Sie sich doch vielleicht einmal, was Sie selber von einer Beziehung möchten. Wie der Partner sein soll jetzt nicht optisch sondern von seinen Charakterzügen. Und wie weit Ihr Freund dem entspricht
Die junge Frau nickte. Das ist eine gute Idee Sie stand auf und blickte auf die Uhr. So spät schon? Ich muss mich beeilen! Ich muss nämlich noch kochen! Ich schüttelte ihr die Hand. Ich würde mal vorschlagen: machen Sie sich keinen Stress deswegen. Auch Ihr Freund darf einmal warten, nicht wahr? Die Frau lächelte. So gesehen haben Sie sicher Recht. Auf Wiedersehen! Sie packte den Reiseatlas und ging zur Tür. Danke jedenfalls, dass Sie mir zugehört haben – Der Alltag kommt in jede Beziehung, früher, oder später, das lässt sich nicht verhindern, aber alles muss man dann doch nicht hinnehmen. Ein wenig Arbeit an sich selbst ist die wichtigste Voraussetzung für ein dauerhaft angenehmes Zusammenleben
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