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28.10.2005, © Vivienne

Eine Entscheidung für’s Leben

Manchmal sind es gerade die scheinbar eher belanglosen Entscheidungen, die das Leben nachhaltig prägen. Und nicht zu selten nimmt einem das Leben die Entscheidung quasi aus der Hand und stellt die Weichen selbst – gewissen Ereignissen kann man nicht entkommen… – Ich kannte Walter Pernauer schon recht lange. Er hatte mit seiner Frau in unserer Siedlung gebaut, ein schmuckes Einfamilienhaus mit einem großen Teich und vielen Rosen. Als ich nach Linz gezogen war, hatte ich die Familie des Beamten aus den Augen verloren. Dunkel hatte ich im Hinterkopf, dass er einmal schwer erkrankt gewesen wäre, doch daran dachte ich nicht, als ich ihn in einer Apotheke im Linzer Zentrum traf.

Da wir beide warten mussten, kamen wir ins Gespräch. „Wie geht’s so?“ fragte ich ihn oberflächlich freundlich. Pernauer nickte. „Ganz gut wieder. Hätte ich vor ein paar Jahren nicht geglaubt, dass ich wieder so auf die Beine komme.“ Ich schwieg betreten. Nachfragen wollte ich jetzt nicht, aber Pernauer hatte meine Befangenheit gespürt und ging selber drauf ein. „Ja, ich war schwer krank, aber die Werte passen seit zwei Jahren wieder und ich gehe ganz normal arbeiten.“ Ich musterte den großen Mann Mitte Fünfzig aufmerksam. Pernauer sah noch immer gut aus, seine Schläfen waren zwar noch grauer geworden aber er wirkte interessant und attraktiv wie eh und je.

Unversehens lud er mich auf einen Kaffee ein – sein Medikament kam erst in der nächsten Stunde, und meine Creme gegen den Ausschlag würde auch noch dauern. Wir plauderten eine Weile dahin, und schließlich wurde Pernauer sehr offen. „Ich hatte eine Freundin“, gab er zu. „Es ist einige Jahre her, eine junge Frau, in deinem Alter. Wir arbeiteten beide in derselben Abteilung, wenn auch in unterschiedlichen Aufgabenbereichen. Meine Frau hatte keine Ahnung. Keine Ahnung, dass mich weit mehr als nur Freundschaft mit der Kollegin verband und noch viel weniger, dass ich sie selber verlassen wollte. Die beiden älteren Kinder waren aus dem Gröbsten, mich hielt nichts mehr daheim. Ich war gerade Fünfzig, und ich hatte das Gefühl, ich würde den Rest meines Lebens in Gleichförmigkeit versauern, wenn ich bei meiner Frau bliebe.“

Pernauer muss mir meine Überraschung und auch einen gewissen Schock angesehen haben. Er lächelte und rührte in seinem Kaffee. „Ja, im Grunde hatte ich schon alles geplant. Da hat mir meine Frau überraschend erzählt, sie wäre schwanger. Hilde war selber völlig aus dem Häuschen, sie war auch schon dreiundvierzig und hatte nicht im Traum mehr mit einem Kind gerechnet. Einfach passiert, wie man sagt, denn gleichgültig war mir meine Frau ja trotzdem nie gewesen. Ich war nur dem Reiz einer Kollegin erlegen, die mehr als zehn Jahre jünger als sie selber war. Und ich musste kurzfristig all meine Pläne mit meiner Geliebten umstoßen. Die fühlte sich verständlicherweise völlig vor den Kopf gestoßen und war ein Weile nicht gut auf mich zu sprechen. Aber ich hatte keine Wahl: schwanger konnte und wollte ich mein Frau nicht im Stich lassen – das und das Ende unseres Verhältnisses musste meine Freundin akzeptieren.“

Merkwürdiger Zufall! ging mir durch den Kopf! Wer hätte das damals auch geahnt! Pernauer galt als Familienmensch par excellence und in gewisser Weise war er das auch immer gewesen. Dabei war dieses Glück, diese äußerliche Harmonie sehr trügerisch gewesen… „Tut Ihnen das leid im Rückblick?“ ergriff ich das Wort. „Immerhin wurden all Ihre Pläne ganz kurzfristig umgestoßen…“ Pernauer schüttelte langsam den Kopf. „Vielleicht anfangs, aber dann kam das Kind, ein Mädchen, und ich konnte der Gelegenheit nicht nachtrauern – ich liebe die Kleine wie die beiden Älteren. Außerdem…“ Pernauer wurde nachdenklich. „…vor fast vier Jahren wurde bei mir Dickdarmkrebs diagnostiziert. Bei einer jährlichen Routineuntersuchung. Ich hätte nie damit gerechnet… Und die Jüngste war erst zwei Jahre alt!“

Ich schwieg betroffen. Nun passte das Puzzle für mich zusammen. Der frühere Nachbar ging kurz auf seine Krankengeschichte ein: „Operation, Chemotherapie, ein Jahr im Krankenstand. Dann Reha und vor gut zwei Jahren begann ich wieder zu arbeiten…“ Pernauers Stimme sank herunter, er wurde leise und krampfte die rechte Hand zusammen. „…ich hätte das nie durch gestanden. Nie ohne Hilde, meine Frau. Sie hat mir gut zugeredet, wenn ich ein ungeduldiger, cholerischer Patient war. Und sie hat mich getröstet, wenn ich mit den Nerven am Ende war. Wenn ich vor Schmerzen und Sorge nicht schlafen konnte, habe ich mich oft gefragt, ob mich wohl meine Geliebte genauso unterstützt und versorgt hätte. Ich kam immer auf dasselbe Ergebnis: nie. Sie hätte mich wahrscheinlich verlassen, völlig überfordert mit der Situation. Mit Hilde bin ich bald fünfundzwanzig Jahre verheiratet, mit der anderen Frau verband mich vorrangig Leidenschaft. Krebs war ein Zeichen von Schwäche, nicht das, was sie in mir sehen wollte…“

Ich nickte. Pernauer hätte vor einigen Jahren beinahe einen schweren Fehler begangen. Wäre seine Frau nicht schwanger geworden, wäre er heute kein so glücklicher Mann. Und hätte die tückische Krankheit nicht zumindest im Griff. Wie weit, würden die nächsten Jahre zeigen. Hätte ich über den Ehebruch entsetzt sein müssen? Nein, ganz gewiss nicht. Auch wenn Pernauer es einem gütigen Geschick zu verdanken hatte, so dass er erstens seine Frau nicht unglücklich gemacht hatte und zweitens eine Entscheidung treffen musste, die sich im Nachhinein als goldrichtig erwies. Seiner schweren Krankheit wäre Pernauer sicher nicht entgangen, so oder so, aber er hatte indirekt die Wahl, sie mit seiner Frau oder der Geliebten durchzustehen. Und die war ihm abgenommen worden – zu seinem Gunsten ….

Vivienne

 

 

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