Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
06.11.2005, © Vivienne
Reingefallen!
Nun saß ich schon über eine Stunde mit Herti Fiedler in dem kleinen Café in der Innenstadt beisammen. Herti war eine Kollegin im Sekretariat der Firma und obwohl ich sie nicht übermäßig gut kannte, war mir aufgefallen, dass sie seit ein paar Tagen mehr als nur bedrückt durch die Räume des Unternehmens schlich. Als ich sei heute nach der Arbeit in einem Drogeriemarkt wieder traf und sie halb nebenbei fragte, was denn los wäre mit ihr, war sie unvermittelt in Tränen ausgebrochen. Mir war nichts anders übrig geblieben, als sie in eben dieses Kaffeehaus mitzunehmen und schließlich hatte Hertie zu erzählen begonnen. Eine Tasse heißen Hagebuttentees verfehlt ihre Wirkung nie
Es geht um meinen Bruder begann Herti umständlich und sie hätte fast wieder zu weinen begonnen. Demonstrativ holte ich eine Packung Papiertaschentücher aus der Tasche und legte sie vor mich hin. Ich hoffte nur, dass Hertis Bruder nicht etwa schwer erkrankt sein würde, da wäre es mir wirklich schwer gefallen, die richtigen Worte zu finden. Aber die Sachlage war völlig anders, wie mir bei den Worten meiner Kollegin sehr schnell bewusst wurde Achim, mein Bruder, ist Zeit seines Lebens ein anständiger Mensch gewesen. Sehr arbeitsam, sehr verlässlich und engagiert. Leider ist das heutzutage nicht mehr besonders gefragt, da regieren Äußerlichkeiten und wie sich ein Mensch verkauft. Achim hat also nie die große Karriere gemacht und mit Frauen hat er sich immer schwer getan.
Ein gutes Bild von ihrem Bruder, das mir Herti da gezeichnet hatte. Ich sah ihn förmlich vor mir, ein wenig langweilig und verklemmt und immer sehr bemüht. Herti nahm einen Schluck von ihrem Hagebuttentee und sah mich an. also eine dauerhafte Freundin hatte er meines Wissens noch nie und ich dachte mir auch nicht, dass sich in der Hinsicht noch etwas für ihn ergeben würde er traute sich einfach nicht mehr, auf Frauen zuzugehen. Bis er auf den Rat eines Freundes hin eine Kontaktannonce aufgab und da meldete sich ein junge Frau bei ihm: Linda Hertis Augen schwammen erneut in Tränen. Sie griff nach einem Taschentuch und schnäuzte sich laut und vernehmlich. Ihre Stimme zitterte noch immer, als sie fort fuhr. Sie hat uns alle getäuscht, dieses Miststück. Achim fiel auf sie rein, aber auch unsere ganze Familie, auch ich. Sie war nett und freundlich, sehr zuvorkommen und machte einen sehr guten Eindruck auf alle. Sie wirkte nicht schreiend oder grell wie viele moderne Frauen. Und Herti schluchzte: Ich hätte schwören können, sie liebte Achim wirklich.
Ich ließ meiner Kollegin Zeit, sich zu beruhigen und dachte darüber nach, was wohl als Nächstes folgen würde in Hertis Schilderung. Für mich lag auf der Hand, dass Achim von dieser Frau über den Tisch gezogen worden war, in der einen oder anderen Weise. Und ich sollte Recht behalten. Achim erzählte mir später, dass ihm Linda schließlich gestanden hatte, dass sie schon einmal verheiratet gewesen wäre. Der Typ wäre ein Lump gewesen, der sie mit einem Kredit im Stich gelassen hätte. Und sie bräuchte dringend Achims Hilfe, um aus diesem Schlamassel wieder herauszukommen. Achim hat genau das getan, was er nicht tun hätte sollen. Er fragte nicht nach, er forschte nicht nach sondern nahm seinerseits einen Kredit auf, um die offenen Verbindlichkeiten von etwa 40.000 Euro zu begleichen. Kurz darauf war Linda mit dem Geld auf Nimmerwiedersehen verschwunden, und mir ihr Achims Kreditkarten und zwei Sparbücher von Achim.
Die Erzählung lief vor mir ab wie ein Film. Hertis Bruder war auf ein besonderes Luder hereingefallen und hatte nun wohl jede Menge Probleme und Schulden am Hals. Ich verstand, dass sich meine Kollegin Sorgen um Achim machte wer hätte das nicht an ihrer Stelle? Herti zitterte, als sie mich ansah. Achim muss nun die ganzen Kreditraten abstottern, es wird Jahre dauern, bis er wieder schuldenfrei ist. Immerhin konnte er die Kreditkarten sperren, bevor sich diese Linda noch zusätzlich bereichern konnte. Aber einmal abgesehen von dem riesigen finanziellen Problem ist er jetzt völlig fertig und depressiv ein ganz anderer Mensch. Seine Lebensfreude ist ihm total abhanden gekommen. Und diese Frau ist daran schuld, nur sie allein, sie hat ihn völlig fertig gemacht.
Mir fehlten ehrlich gesagt die Worte. Nicht das Geld hatte Achim geknickt, sondern der Verrat dieser Frau, die er so sehr geliebt hatte. Ich fühlte, ich musste irgendetwas sagen. Hat dein Bruder die Polizei eingeschaltet? Herti nickte. Hat er, sie haben sie schließlich auch erwischt, aber das Geld war längst verprasst in exklusiven Urlauben oder in teure Markenkleidung investiert. Die Polizei fand auch heraus, dass sie in der Vergangenheit mindestens zehn weitere Männer um Geld betrogen hatte. Immer auf dieselbe Art und Weise. Mittlerweile sitzt sie im Gefängnis und wartet auf ihren Prozess aber all das gibt Achim nicht sein Geld zurück. Und auch nicht das Glück, dass er sich mit Linda erhofft hatte
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