An Education – Bemerkenswerte Filme

Dieser Tage läuft in den österreichischen Kinos ein interessanter Streifen aus Großbritannien: „An Education“, ein Emanzipationsfilm im besten Sinne des Wortes, entstand nach dem gleichnamigen Buch der Journalistin Lynn Barber, das einen Teil ihrer Lebensgeschichte wiederspiegelt. Das Drehbuch verfasste der renommierte Schriftsteller Nick Hornby, Regie führte die Dänin Lone Scherfig…

Zum Inhalt:
Die 16jährige Jenny, eine ausgesprochene Musterschülerin, träumt von einem Studium in Oxford. Wissbegierig vertieft sie sich in den Existentialismus und stellt offen ein Faible für Frankreich zur Schau: so schmückt ihre Sätze gerne mit französischen Phrasen aus. Außerdem liebt sie Chansons von Juliette Greco heiß. Ihre Eltern, bei denen sie behütet aufwächst, sind streng, vor allem der Vater, und ihre Ausbildung ist ihnen enorm wichtig, aber irgendwie wickelt sie das Einzelkind Jenny doch um den Finger. Einen Verehrer hat sie auch, den schüchtern-linkischen Graham, der es versteht sich beim ersten gemeinsamen Essen vor Jennys Eltern ordentlich zu blamieren.

Eines Tages läuft Jenny, die in der Schule auch Chello spielt, dem weltgewandten David über den Weg. Er bringt sie und ihr Instrument wegen des Regens in seinem eleganten Sportwagen nach Hause und erfährt so ihre Adresse. Tage später schickt er ihr schon Blumen und als sie sich kurz danach wiedersehen, lädt er Jenny bereits zum Essen ein. Der wortgewandte Mittdreißiger versteht es in kurzer Zeit sich bei ihren Eltern mehr als nur beliebt zu machen. Jenny registriert amüsiert, dass er dabei auch ordentlich in die Lügenkiste greift. David, der sie auch mit seinen Freunden Danny und Helen bekannt macht, führt das junge Mädchen in eine mondäne, aufregende Welt ein, von der sie früher nur träumen konnte. Sie trägt elegante Kleidung, sie schminkt sich und sie beginnt zu rauchen – wie ihre französischen Idole Brel und Greco.

Nicht ganz überraschend leiden unter diesem Doppelleben Jennys schulische Leistungen. Der Vater schimpft und poltert, aber Jenny bekommt Nachhilfe. Bei ihrer ersten Reise nach Paris verliert Jenny dann auch ihre Unschuld – körperlich, wohl gemerkt, die Unschuld ihres Wesens hat sie schon lange vorher verloren. Sie registriert zwar, dass David und Danny etwas dubiose Geschäfte treiben, aber es macht ihr nicht wirklich etwas aus. Immer mehr verfängt sich ihr Charakter in diesem fragwürdigen Lebenswandel und verformt sich durch ihre Toleranz der Betrügereien und der kriminellen Aktionen. Schließlich macht David Jenny einen Heiratsantrag. Jenny schmeißt die Schule und auch ihren Eltern, die dem weltmännischen Fast-schon-Schwiegersohn genauso verfallen sind wie ihre Tochter, erheben keine Einwände. Plötzlich sind ihnen deren solide Ausbildung und das Studium in Oxford gar nicht mehr so wichtig, denn ihre Tochter ist ja versorgt…

Jennys Traum von einem aufregenden Leben wie ein bunter Bilderbogen aus Vergnügungen, Reisen, Kunst und prickelndem Lebensgefühl zerplatzt ganz unerwartet an einem Abend, als David erstmals mit ihr und ihren Eltern groß ausgehen möchte. Während David kurz das Auto verlässt, will sich Jenny aus alter Gewohnheit Zigaretten aus der Konsole holen – und findet Briefe, die an David und seine Frau adressiert sind… David fehlt es an Charakter die Wahrheit ihren Eltern zu erklären und macht sich feige aus dem Staub. Jenny findet heraus, dass er auch einen kleinen Sohn hat und sie beleibe nicht das erste und einzige Mädchen ist, dem er die große Liebe geheuchelt hat… Jenny steht vor den Träumern ihres Lebens. Eine Rückkehr an die Schule verwehrt die Schulleiterin trotz Jennys Canossagang unbarmherzig. Doch ihre frühere Literaturlehrerin gibt ihr Privatunterricht und mit der alten Disziplin und mit Kampfgeist schafft Jenny die Aufnahmeprüfung in Oxford und realisiert doch noch ihren Traum… Etwas zerzaust  und manche Erfahrung reicher, die ihr keine Universtität und keine Schule in der Form vermitteln hätte können – auch wenn sie das Abenteuer David ihre Jugend gekostet hat: nie wieder wird sie Paris so sehen können als wäre es das erste Mal…

„An Education“ ist ein perfektes Sittenbild seiner Zeit, angefangen von der Doppelmoral der Eltern (großartig in der Rolle des Vaters: Alfred Molina): wie schnell den Eltern die Ausbildung ihres einzigen Kindes egal ist, als sich ein geldiger, wesentlich älterer Ehemann einstellt, entlockt einem fast ein Grinsen. Auch dass sie keinerlei Einwände haben, dass er mit ihrer minderjährigen Tochter schläft, spricht Bände. Peter Sarsgaard, der den „elenden Schuft“ David verkörpert, gelingt die Gradwanderung zwischen elegantem Mann von Welt und schmierigem Geschäftsmann exzellent. Die Behutsamkeit, mit der er sich trotz allem Jenny nähert und ihr die Wahl des Zeitpunkts für die erste gemeinsame Nacht überlässt, scheint wirklich echt zu sein. Und doch ist sie nichts weiter als kalte Berechnung… Carey Mulligan, die vierundzwanzigjährige Britin, brilliert als Jenny, was ihr ihre erste Oscarnominierung einbrachte. Carey, die bisweilen so bezaubernd wie Audrey Heburn lacht, hat keine Mühe, in die Rolle einer Schülerin zu schlüpfen, sie lebt diesen Part, als wäre sie es selbst: Mädchenhaftigkeit, Charme, Idealismus und jugendliche Unbekümmertheit – es scheint, als käme das alles aus ihrem Innersten.

Teilweise gab es Kritik am angeblichen Antisemitismus (David ist Jude!) und am zu positiven Ende des Films. Dazu sei gesagt, dass der Film ein Gemälde seiner Zeit ist und in der war Antisemitismus in Großbritannien absolut kein Fremdwort. Diese Facts daher auszusparen wäre verlogen. Das „Happy-End“ ergibt sich aus der Lebensgeschichte der Autorin Lynn Barber – die Protagonistin Jenny jetzt mit Brachialgewalt in die Gosse zu schicken, um dem Film „mehr Realismus“ einzuhauchen, wäre grotesk.

Ein sehenswerter Film, der zum Nachdenken anregt – auch über das eigene Leben!

Vivienne

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