Leonie Maurer, die mit ihrem Mann kürzlich in die Wohnung gegenüber von Ali und mir eingezogen war, stand vor der Tür und lächelte mich an. „Ich brauche dringend eine Glühbirne, in unserem Bad funktioniert sie nicht mehr. Und heute am Sonntag werden wir nirgends eine bekommen…“ Sie öffnet ihre Arme. „Können Sie uns helfen…?“ Ich nickte. Leonie folgte mir und ich öffnete eine Schublade. Hier mussten doch unsere Glühbirnen sein… „40 Watt?“ fragte ich Leonie. Sie strahlte mich an. „Perfekt. Jetzt müssen wir uns doch nicht im Dunkeln die Zähne putzen…“ Ich nickte. Noch recht junge Leute die beiden, keine Dreißig und erst seit Kurzem miteinander verheiratet. Und dazu noch sehr nett. Ich lud Leonie auf einen Kaffee an und sie nickte freundlich. „Gern. Gerhard kommt jetzt ohnedies ohne mich zurecht.“ Sie senkte ihre Stimme. „Er bohrt die Lampenschirme an, da kann ich ihm nicht helfen…“
Leonie war wirklich ein nettes Mädchen, unkompliziert und sehr fröhlich. Bald waren wir per du und wir unterhielten uns über Gott und die Welt. Über einen Bericht im Fernsehen schweifte unser Gespräch schließlich auch auf den komplexen Bereich der sexuellen Belästigung ab. Mit einem Mal lächelte Leonie nicht mehr so spitzbübisch. „…da ist mir einmal etwas passiert, © Vivienne. Ich glaube, es ist zwei oder drei Jahre her. So was ist nicht lustig.“ Ich blickte Leonie wortlos ins Gesicht und sie verstand meine unausgesprochene Frage. „Was soll ich dir sagen? Ein Kollege hat sich da vergessen, eigentlich eine sehr dumme Sache, ich hätte nie gedacht, dass sich das Ganze so auswächst. Weißt du, © Vivienne, ich halte nicht viel von einem, sagen wir mal, bewegten Privatleben. Gerhard, mit dem ich über sechs Jahre beisammen bin, ist erst mein zweiter Mann, du weißt schon, was ich meine. Und wenn ich ehrlich bin…“ Sie lächelte mich entwaffnend und mit ihrer unglaublich offenen Art an. „Warum soll er nicht auch der letzte sein? Wenn es passt?“ Ich nickte. Warum nicht, wenn es passt? Und ich dachte an meinen Albert…
Leonie fuhr in der Zwischenzeit fort. „Ich war in der Firma ein unbeschriebenes Blatt, sprich eine von denen, die sich über Privates eher bedeckt gab. Gerhard, damals noch mein Freund, arbeitete und studierte zu der Zeit im Ausland und ich hatte keine Lust, mich lange darüber auszulassen. Offiziell hatte ich keinen Lebensgefährten und die Kollegen… nun sie interessierten mich privat nicht wirklich. Sie hatten ihre Pantscherl in- und außerhalb der Firma, was mich ja im Grunde auch nicht berührte, aber schließlich kam man auf die Idee, mich „abzuschießen“. Ich wurde zum Freiwild erklärt und sollte flach gelegt werden. Natürlich wusste ich nichts davon, ich dachte mir auch nichts Schlechtes, als man mich unerwartet zu einer privaten Geburtstagsfeier eines Kollegen einlud. Wirklich Lust dorthin zu gehen, hatte ich nicht, aber ich konnte mich natürlich nicht ganz ausschließen…“ Leonie versank in Gedanken. „Weißt du, © Vivienne, ich habe mich gar nicht so schlecht amüsiert dort und einen Moment glaubte ich sogar, vielleicht würde nun mein Verhältnis zu den Kollegen besser werden… Bis zu der Heimfahrt.“ Leonie fixierte die Decke und hielt die Kaffeetasse mit beiden Händen.
„Einer der Kollegen, Sebastian, bot sich an, mich nach Hause zu bringen. Ich hatte keine Einwände, bis er auf halber Strecke auf einen Parkplatz lenkte, mich in den Arm nahm, seine Zunge in meinen Mund steckte und angestrengt versuchte, meinen Büstenhalter zu öffnen. Ehrlich gesagt, ich war wie vom Donner gerührt, es dauerte ein paar Momente, bis ich mich losreißen konnte und dann sagte ich ihm, dass ich das nicht wollte. Der halb besoffene Sebastian starrte mich blöde an und dann wurde mir erst bewusst, was ich für eine Verrücktheit begangen hatte! Ich kannte ihn doch nicht wirklich und in seinem Zustand war er nicht nur zudringlich geworden, er hätte uns auch in einen Unfall verwickeln können… Während mir das durch den Kopf ging, stieg ich ohne ein Wort aus und verließ den Parkplatz zu Fuß. Sebastian schrie mir nach, was ich mir eigentlich denken würde und so sei das nicht ausgemacht gewesen, und da begriff ich dann auch, dass die Sache inszeniert worden war. Am nächsten Tag redete ich mit unserer Chefin und die wusch den Herren den Kopf. Die Hoffnung, dass die Sache damit beendet wäre, erfüllte sich aber nicht. Nichts ist schlimmer als ein Mann, der sich in seiner Ehre verletzt glaubt…“
Leonie zuckte die Achseln. Dann grinste sie mich an. „Die Kollegen haben sich dann einen im Grunde verrückten Plan zurechtgelegt. Den Vorwurf der sexuellen Belästigung, den sollte ich unbedingt bereuen… Und da kein Mensch von Gerhards Existenz ahnte, meinte man, es wäre sehr leicht möglich mich selbst in eine Situation zu bringen, in der ich diejenige sein sollte, die sich der sexuellen Belästigung schuldig macht.“ Ich hüstelte. „Aber nicht wirklich! Ticken die noch richtig?“ „Aber ja, © Vivienne. Armin, der zugegebenermaßen fescheste der Herren-Runde, legte es ganz gezielt an, mich in ihn verliebt zu machen damit ich mich früher oder später meinerseits an ihn ranmachen würde…“ Leonie kicherte in Erinnerung. „Ich habe es lange gar nicht bemerkt, © Vivienne. Auch wenn ich damals Gerhard nur etwa einmal im Monat für ein langes Wochenende gesehen habe, so war er doch der Mann, dem mein Herz gehörte. Und noch immer gehört…“ Ihre Augen leuchteten glücklich. „Ja, der Plan ging völlig schief, eben weil ich mich nicht in Armin verliebte und warum hätte ich dem Typen auch an die Wäsche gehen sollen? Nur aus Jux und Dollerei? Ein anderer Kollege hat mich schließlich so halb und halb auf die Hintergründe aufmerksam gemacht… Als ich Armin damit konfrontierte, wurde der wütend und bestritt alles. Missverständnisse, alles Missverständnisse! Aber mit seiner zuvor unglaublichen Liebenswürdigkeit war es dann für immer vorbei…“
Leonie neigte ihren Kopf leicht. „Und schließlich kam dann durch einen Zufall doch noch heraus, dass ich eine heimliche Liebe pflegte. Das Gerede wollte einige Zeit kein Ende nehmen, aber mir war es egal. Wen geht schon mein Privatleben etwas an? Und, ob du es glaubst oder nicht, © Vivienne, ich arbeite nach wie vor in dieser Firma. Ich muss mich ja mit niemandem verbrüdern dort.“ Sie stand auf. „Du, ich sollte doch wieder zu meinem Mann schauen, jetzt wird er mich schön langsam vermissen. Danke für den Kaffee und ich hoffe, wir sehen uns noch öfter!“ Ich blickte ihr nach, als sie zur Tür ging. Ja, das hoffte ich auch, wirklich. Diese Leonie war mir ganz besonders sympathisch…
© Vivienne