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22.07.2005, © Vivienne
Der Sprachfehler
Es gibt sie fast in jeder Firma, jene Leute, die einfach nicht nein sagen können, die sich jede Arbeit aufhalsen lassen und viel zu wenig an sich selber denken. Ich kenne dieses Verhaltensmuster gut, habe ich doch selber auch aus einem verdeckten Schuldkomplex heraus sowie natürlich auch aus Harmoniesucht bestimmten Leuten gegenüber nie aufzumucken gewagt. Und mir Mehrarbeit über Mehrarbeit zuschanzen lassen. Vor allem in der Liebe ließ ich mich bisweilen gern unter Druck setzen, um den vermeintlich Liebsten nicht zu verlieren. Es bedeutete einen Quantensprung der besonderen Art, mich selber und mein verzerrtes Gefühlsmuster zu durchschauen um endlich nein sagen zu lernen, als ich auch nein meinte.
Was war ich jung! Von meinem Salzburgtripp zurück und in ein unbefriedigendes Jobabenteuer am Linzer AMS, damals noch in der Wienerstraße, verwickelt, spielte mir der Zufall die Möglichzeit zu, in einem Meinungsforschungsinstitut zu beginnen. Aller Anfang ist schwer. Und schnell avancierte ich hier zum Mädchen für Alles, das fast jeder Abteilung gerne zur Verfügung stand. Besonders freute es mich, Arbeiten für die Testabteilung zu verrichten, weil ich mich mit den jungen Studenten dort sehr gut verstand. Anfangs wollte ich mich mit meiner vermeintlichen Hilfsbereitschaft nur mit den neuen Kollegen gut stellen, später wurde es zunehmend schwieriger, Bitten um Unterstützung abzulehnen. Immerhin unterstand ich am Empfang keiner Abteilung direkt, also wurde meine Mitarbeit schnell als selbstverständlich geschätzt.
Sie werden verstehen, liebe Leser, dass mich das öfter in eine Zwickmühle brachte, vor allem, wenn Termine drängten und ich am besten in mehrfacher Gestalt diese Arbeiten hätte ausführen müssen. Pflichtbewusst und loyal traute ich mich aber oft nicht, um mehr Luft zu bitten. Oder Arbeiten abzulehnen, die mir beim besten Willen zu viel wurden. Vor allem wenn Sebastian Schneider, ein deutscher Projektleiter aus Berchtesgaden, anrief und fragte, was denn das Fräulein Vivienne heute noch erledigen würde können, wurde ich gern schwach. Ich war ein wenig verschossen in ihn, ohne dass es mir lange Zeit wirklich bewusst geworden war.
Ich sah dem mittelgroßen, blonden Mann nur gerne nach, wenn er an meinem Schreibtisch vorbeilief, stets ein freundliches Wort auf den Lippen und wenn ich mal sauer war, klopfte er mir auf die Schulter. Wird schon wieder, Mädel! Im Grunde interessierten ihn meine Probleme oder Zores nicht im Geringsten, aber seine unverbindliche Art wirkte auf mich so intensiv wie die großen grünen Augen. Ich hatte keine Ahnung, dass die Kollegen schon über mich tuschelten und über meine Schwärmerei, denn mehr war es genau genommen auch nicht. Völlig harmlos, wenn ich mich nicht deswegen zusehends ausnutzen hätte lassen und viel Mehrarbeit leistete, die nicht nötig gewesen wäre.
Das Schlimme dabei war, dass ich durchaus auch Arbeit verrichtete, die ich hasste, so wie das Auswerten der Fragebögen. Vor allem am Beginn dieses Dienstverhältnisses begriff ich gar nicht wirklich, was es mit dieser Arbeit auf sich hatte, aber ich machte sie trotzdem. Ich liebte es so, wenn mich die Augen des Herrn Schneider anstrahlten wie ein funkelnder grüner Edelstein. Und dazu hatte Herr Schneider oft Grund genug, meinen Sprachfehler nutzte er nämlich weidlich aus Wieder einmal saß ich an einem Freitagnachmittag noch im Büro und wertete die Testbögen aus. Ich hatte es versprochen ! Unsere Studenten testeten gerade ein neues Speiseeis, von dem ich auch schon kosten hatte dürfen
Gegen 15:30 Uhr war ich endlich fertig. Ich schleppte den Pack in Schneiders Abteilung, wo nur noch einer seiner Leute werkte. Auf meine Frage hin deutet der mir wortlos den Weg ins Nebenbüro, wo die Tür offen stand. Ich ging langsam hinüber, und Schneiders Stimme war unüberhörbar, wie er mit einer Kollegin schäkerte. Geh, Doris, wir haben alle Zeit der Welt. Der Trampel von der Telefonzentrale wird noch eine halbe Ewigkeit mit den Fragebögen brauchen, und davon müssen wir wohl wieder die Hälfte korrigieren. Komm, trink doch einen Kaffee mit mir! Ich blieb abrupt stehen. Der Trampel von der Telefonzentrale – damit war wohl ohne Zweifel ich gemeint, aber so hatte er nie zuvor von meiner Arbeit gesprochen, ganz im Gegenteil. Zumindest mir gegenüber halt.
Die Kollegin lachte. Sie antwortet ihm mit etwas verhaltener Stimme, so dass ich sie nicht verstand. Schneider nahm sie sanft beim Arm. Wie kommst du darauf? Die Kleine frisst mir aus der Hand! Ich schnippe mit den Fingern und sie beginnt zu laufen wie ein Uhrwerk. Wenigstens dafür taugt sie, auch wenn sie sonst nicht besonders hell ist Ich war einige Momente fassungslos. Hörte ich da richtig? War das der nette Herr Schneider, den ich kannte? Er war es, und ich weiß nicht wie lange genau ich ihm bei seinen Lästerreden über mich zuhörte. Ich glaube, es war letztlich gar nicht so lang. Erinnern kann ich mich aber nur, dass ich schließlich ins Büro ging, ihm die Fragebogen ohne ein Wort vor die Füße knallte und wieder ging.
Mit einer unglaublichen Wut im Bauch, und ein paar Tränen im Gesicht. Mir ist damals wohl auch das erste Mal bewusst geworden, dass ich ein wenig verliebt in ihn gewesen war, darum schmerzten seine üblen Worte doppelt. Er lief mir nach, aber ich ließ ihn stehen. Ich kann mich kaum mehr entsinnen, was er gesagt hat, er sah nur sehr betroffen aus, aber ich schulterte meinen Rucksack und verließ die Firma. Ich flüchtete in irgendein Geschäft in der Landstraße, um mit einem Kauf meinen Kummer zu betäuben, aber es gelang nicht wirklich. Schneider versuchte am nächsten Montag gleich in der Früh mit mir zu reden, trachtete danach alles als ein Missverständnis darzustellen, aber ich schwieg nur und ich wollte ihm auch nicht vergeben. Genau genommen hasste ich mich auch selbst ein wenig, weil ich auf seine glatte Tour hereingefallen war
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