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26.08.2005, © Vivienne

Der Storch ist gelandet

Was für eine Aufregung hatte Vickys und Berts Sohn doch im Vorfeld seiner Geburt immer erzeugt! Nicht weniger als viermal hatte der Kleine falschen Alarm signalisiert und es sich jedes mal wieder anders überlegt, als hätte er kalte Füße bekommen. Ich war jedenfalls hypersensibilisiert. Jedes Mal wenn das Handy mit einer unbekannten oder unterdrückten Nummer läutete, glaubte ich an einen Anruf von Bert, der uns über das  freudige Ereignis informieren wollte. Aber Berts Anruf kam einfach nicht, obwohl ich gerade in der Woche fix damit gerechnet hatte. Die Spannung in mir ließ wieder nach, Albert und ich fuhren ein Wochenende nach Kärnten, wo wir ein paar Sonnenstrahlen erhaschen konnten. Bei der Rückfahrt kam dann unerwartet das SMS von Bert: Kann euch nicht erreichen, Baby ist da, Vicky und Sohn sind wohlauf. Liebe Grüße Bert.

Wir fielen beide aus allen Wolken. Schließlich stellte sich heraus, dass mein Handyanbieter während des halben Wochenendes einen Totalausfall in einem Teilgebiet von Kärnten zu verzeichnen gehabt hatte. Mir war aber auch nicht wirklich aufgefallen, dass ich an dem Relax-Wochenende nicht ein einziges Mal angerufen worden war. Im Gegenteil, es tat mir gut, einmal meine Ruhe zu haben, aber in diesem Fall war mir die Funkstille im Nachhinein nicht wirklich angenehm. Während Ali das Auto lenkte, rief ich Bert an, und dann erfuhren wir endlich die Facts: Freitagnacht hatten bei Vicky wieder einmal die Wehen eingesetzt, aber diesmal ließen sie nicht nach, sie wurden immer stärker. Bert hatte Vicky daraufhin in die Frauenklinik gefahren und zwei Stunden später war der Bub schon da gewesen.

Blond gelockt, wie sein Vater, und mit den Sommersprossen seiner Mutter. Die unwahrscheinlich leichte Geburt war Vicky selber ein Rätsel gewesen. Wenn ich da an Sigrid, die Frau meines Cousins Hubert dachte! Beim ersten Kind war sie fast zwanzig Stunden in den Wehen gelegen! Am nächsten Abend besuchte ich Vicky im Spital. Sie sah blass und müde aus und blaue Ringe unter den Augen zeigten mir, dass die Geburt trotzdem kein Honiglecken für sie gewesen war. Ich umarmte sie zur Begrüßung und als sie mir den neuen Erdenbürger zeigte, fühlte ich auch leichte Muttergefühle in mir aufsteigen. So ein süßer Bub! „3,50 kg schwer und fast 50cm groß!“ lieferte mir Vicky die Daten des Kindes, auf das sie und Bert solange gehofft hatten.

Eigentlich sollte es dich gar nicht geben! hielt ich in Gedanken Zwiesprache mit dem Buben. Aber du hast die Gegebenheiten einfach nicht akzeptiert… Ungerührt schlief der Kleine weiter. Nein, er gähnte nicht einmal, so wenig schien ihn meine Gegenwart zu berühren. Später saß ich mit Vicky in dem Zimmer, dass sie mit zwei anderen Damen teilte. Eine davon, eine große, hagere Frau um die 35, kam grußlos ins Zimmer, suchte sich ein Päckchen Zigaretten aus dem Nachtkästchen und verschwand wieder. Ihr Mund war verkniffen gewesen und sie wirkte unglücklich. Vicky schien mein Frage zu erraten. „Die Frau hat Gebärmutterhalskrebs. Sie wird demnächst operiert. Schaut nicht gut aus, was ich heute bei der Visite so mitbekommen habe.“

Betroffen starrte ich zu Boden. „Der Kummer scheint ihr irgendwie ins Gesicht geschrieben zu sein. Darum kommt sie so unfreundlich herüber. Diese Diagnose macht ihr Verhalten nachvollziehbar…“ Ich konnte meinen Blick von einem Punkt auf dem Boden kaum lösen. Vickys Stimme riss mich aus den Gedanken. „Weißt du, was das wirklich Tragische ist an diesem Fall? Sie und ihr Mann wollten schon seit Jahren Kinder und haben sich kürzlich deswegen an eine Kinderwunschklinik in Wien gewandt. Bei einer routinemäßigen Untersuchung der Frau hat man die schwere Krankheit erst entdeckt. Es scheint fast so, als würde der Krebs schon lange in ihr wuchern, und dass sie einfach aus dem Grund keine Kinder bekommen hatte können.“ Ich schwieg, während mein Blick zu Vickys Sohn in seinem Bettchen wanderte.

Was musste diese Frau wohl empfinden, wenn sie mit einer jungen Mutter das Zimmer teilte und selber nie mehr das Glück eines eigenen Kindes erfahren würde? Nein, vielmehr stand sie sogar selber an der schwelle zum Tod und sie würde hart um ihr Leben kämpfen müssen, wobei der Ausgang dieser Schlacht mehr als nur ungewiss war… Die Tür ging leise auf und Bert huschte herein. Er küsste Vicky sehr innig und wir begaben uns noch einmal zu dem neuen Erdenbürger, der weiter selig schlief. „Wie wollt ihr ihn den nennen?“ Mit dieser Frage fegte ich die kranke Frau aus meinem Kopf und wandte mich wieder den beiden zu. Vicky sah Bert an. „Wir haben an Georg gedacht, nicht wahr? Ja, so wird er heißen!“

Hallo Georg! wandte ich mich wieder telepathisch an den jungen Mann. Auch wenn du dauernd schläfst: Herzlich willkommen bei uns!

Vivienne

 

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