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20.07.2005, © Vivienne

Der Unfall

Ich ordnete den Beleg der Bank neben der Rechnung der Werkstatt im Versicherungsordner ein. Mit einer gewissen Erleichterung. Diese Sache vor mehr zwei Monaten hatte uns wahrlich viel Ärger gekostet. Während ich Ali anrief und über den positiven Bescheid informieren wollte, fiel mir wieder jener Freitagabend ein, als wir uns auf dem Heimweg von einer Stippvisite bei meinen Eltern befunden hatten und uns durch das Gewirr der Seitenstraßen in meinem Geburtsort kämpften… „…er ist gerade nicht am Platz“, tönte die schnorrige Stimme von Alberts Kollegen an mein Ohr. „Probieren Sie es doch in einer halben Stunde wieder, ja? Ich weiß nicht, wie lange er für den Auswärtstermin noch braucht!“ Oh, natürlich konnte ich das, es eilte ja nicht so…

Ich legte auf und kehrte wieder zu meiner Erinnerung zurück. Auf dem Land ist es oft verwirrend, sich in kleineren Gemeinden zurecht zu finden, auch wenn ich mich bei uns einmal gut ausgekannt hatte. Wir waren auf der Seitenstraße unterwegs, die uns den Weg zur Bundesstraße abkürzen sollte. Hinter uns ein dunkelblauer Opel mit Kennzeichen LL, an dessen Steuer ein älterer Mann mit Vollbart saß, der sich keinen Deut um den Sicherheitsabstand kümmerte. Ständig schlich er ganz knapp an unsere Stoßstange heran, was mich schön langsam zu ärgern begann. Hier im Ort galt die 30er Beschränkung und an die hielten wir uns natürlich. Idiot! dachte ich mir mehr als einmal, und als ich Ali gerade wieder darauf aufmerksam machen wollte, bremste meine bessere Hälfte abrupt. Ein Reh von links überquerte, die Rechtsregel ignorierend, die Straße in gewaltigen Sprüngen.

Im selben Moment fuhr uns schon der Vollbartträger hinten in den Wagen. Verdammt! entfuhr es mir. Eine logische Konsequenz der unvorsichtigen Fahrweise unseres Hintermanns. Wir stiegen aus, während der ältere Mann sein Auto begutachtete und lautstark zeterte, warum wir überhaupt gebremst hätten. Eine junge Frau mit Lockenmähne stand wortlos neben ihm. Ali hörte dem Mann eine Minute zu, dann rief er mit dem Handy die Polizei an. „Sind Sie wahnsinnig?“ versuchte ihn der Mann daraufhin zu unterbrechen. „OK, ich bezahle Ihren Schaden, aber mit der Polizei wird es nur teuer. Sie bereiten uns beiden nur Unannehmlichkeiten!“ Ich bewunderte Alis stoische Ruhe an diesem Tag. „Sie hören mir jetzt zu, verstanden?“ Alis Stimme klang ziemlich schroff, als er das Telefonat mit der Polizei beendet hatte. „Wir haben die Polizei nicht zu fürchten, weil wir die vorschriftsmäßige Geschwindigkeit eingehalten haben, während Sie ständig an unserer Stossstange geklebt sind. Jetzt sagen Sie vielleicht, Sie zahlen alles“… Ali wurde sehr bestimmt. „…und später streiten Sie alles wieder ab. Darauf lassen wir uns nicht ein.“

Die Polizeibeamten trafen bald ein. Wir machten unsere Aussage, wiesen auf das Reh hin, den 30er im Ort und das Verkehrsschild „Wildwechsel“, das etwa 50 m weiter hinten aufgestellt war. Im Grunde eine klare Angelegenheit, wie mir schien, und Gott sei Dank war der Schaden am Auto nicht groß. Als wir wieder daheim waren, verständigte ich unseren Versicherungsvertreter, der meine Ansicht teilte. Alles halb so wild, aber auch wenn der Ärger trotzdem an dem Abend noch vorherrschte, war die Rechtslage eindeutig. Die Versicherung des Opelfahrers musste uns den Schaden ersetzen. Bis Samstag ein Polizeibeamter aus unserem Ort anrief. „…da gibt es eine kleine Sache, die nicht ganz eindeutig ist…“, erläuterte er mir am Telefon. „…Sie und ihr Lebensgefährte haben angegeben, der Mann wäre am Steuer gesessen. Er und seine Tochter allerdings behaupten steif und fest, sie, das Mädchen, wäre gefahren. Sind Sie sicher, dass Sie sich nicht geirrt haben?“

Ich traute meinen Ohren nicht. Was sollte dieser Schachzug da wieder bedeuten? Auch Ali kam zum Telefon, aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Mann selber gefahren war. „..nein, wir irren uns nicht, der Mann lenkte den Wagen!“ unterstrich Ali, an den Polizeibeamten gewandt. „Die junge, schmale Person mit dem Lockenkopf sieht doch ganz anders aus wie der Kerl. Wie sollte uns da eine Verwechslung passieren?“ Der Polizeibeamte lenkte ein. „…schon in Ordnung, ich muss das nur abklären. Das Problem dabei ist: der Mann hat seit Jahren keinen Führerschein mehr, der wurde ihm wegen verschiedener Verkehrsdelikte abgenommen. Ist er wirklich gefahren, gibt es zusätzlich eine Anzeige für ihn.“ Daher wehte also der Wind. Ali schüttelte den Kopf. „So ein A…! Kein Wunder, dass man ihm das rosa Papierl schon so lange genommen hat, so wie der fährt… ich bin froh, dass ich die Polizei gerufen habe!“

Oder auch nicht. Montagabend, Ali und ich faulenzten vor dem Fernsehgerät, als das Telefon klingelte. Ich stand auf und meldete mich. Eine hektische Männerstimme begann auf mich einzureden. „Hören Sie ganz genau zu, ja?“ Der Kerl stellte sich nicht vor und überrollte mich im ersten Moment. „Sie können mich gar nicht am Steuer des Wagens gesehen haben, weil ich nicht gefahren bin, sondern meine Tochter. Wenn Sie mir Schwierigkeiten machen, werde ich dafür sorgen, dass Sie kein Geld sehen. Haben Sie mich verstanden?“ Ich war momentan baff, dann aber reagierte ich schnell. „Das ist Nötigung! Ich rufe sofort die Polizei an!“ Ich legte auf und wählte gleich die Nummer des Polizeipostens. „Na, so was! Wir knüpfen uns den Kerl gleich vor!“ Ab dem Zeitpunkt erst lief dieser Routinefall wirklich klaglos. Und heute hatte ich den Beleg erhalten, dass die Reparatur unseres Wagens bezahlt worden war. Dem Vollbartträger war vermutlich klar geworden, dass er sich in eine aussichtslose Position manövriert hatte.

Mein Handy läutete. Ali war wieder von seinem Auswärtstermin zurück und hörte sich die freudige Botschaft zufrieden an. „Ist das schön, dass diese Angelegenheit endlich erledigt ist. Und das alles wegen eines Rehs.“ Ich musste ihm Recht geben. Es war schon eine Katastrophe, mit welchen Verkehrsteilnehmern man bisweilen konfrontiert war, nicht nur Autofahrer, aber besonders auch die. Fahren ohne Führerschein gehörte wohl so ziemlich zum letzten, was man sich leisten konnte oder durfte, aber leider, Einsichtigkeit fehlt den Menschen oft nicht nur auf der Straße…

Vivienne

 

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