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09.11.2005, © Vivienne
Die Jausenholerin
Frau Gall hat gekündigt! Albert hatte ein boshaftes Lächeln aufgesetzt, während er die Fernbedienung des Fernsehapparats suchte. Er fand sie unter dem Couchkissen und schaltete das Gerät ein. Ich beobachtete ihn interessiert. Warum war mein Mann heute so zufrieden und voller Schadenfreude? Ich setzte mich neben ihn und stieß ihn an. Wer ist Frau Gall? Und warum amüsiert dich das so? Albert lachte, ja er strahlte geradezu. Frau Gall ist, bzw. war die Chefsekretärin, die rechte Hand vom Rossecker. Und sie war noch nicht einmal ein Jahr da Ich nahm Ali die Fernbedienung aus der Hand. Und was ist daran so komisch? Erklär dich. Immer kommen nur einzelne Sätze von dir, und das nicht besonders aussagekräftig. Aber dein Gesicht spricht Bände. Nun, red schon!
Ali kreuzte die Beine übereinander. Dass du so neugierig bist Also hör zu: Frau Galls Vorgängerin ging ja des Geldes wegen unser Boss hat sie sehr kurz gehalten und deshalb hat sich Rossecker eine Nachfolgerin über das AMS gesucht, die schon länger arbeitslos war und die, wie er dachte, weniger Ansprüche stellen würde. Frau Gall war arbeitswillig und engagiert und machte das Rennen. Neben den üblichen Agenden hatte sie auch den Auftrag, Rossecker in der Früh das Frühstück zu besorgen: ein bis zwei Stück Gebäck, Butter, Aufschnitt, Käse Kein Wunder dass Alis Chef in den letzten Jahren so fett geworden war, konnte ich ein Grinsen nicht unterdrücken. Wenn er schon zu Tagesbeginn aß wie ein König !
Mein Mann fuhr in der Zwischenzeit unbeirrt fort. so lief das seit sie angefangen hatte. Fast jeden Tag kaufte Frau Gall in der nahen Bäckerei im Gegenwert von sieben, acht oder auch mehr Euros ein. Rossecker muss ihr versichert haben, dass er sie jedes halbe Jahr bezahlen würde und bat sie, sie möge doch die Rechnungen aufheben. Ali lachte wieder. Wie du dir vorstellen kannst: mein Chef hatte längst darauf vergessen, als ihn Frau Gall neulich darauf ansprach. Und? konnte ich meine Neugierde kaum bezähmen. Wie hat er reagiert? Mein Mann grinste breit von einem Ohr zum anderen. Der war völlig verdattert. Dann hat er gemeint, sie möge Ende der Woche zu ihm kommen, weil er gerade kein Geld eingesteckt hat. Und das hat Frau Gall auch getan.
Jetzt war ich gespannt, wie sich Rossecker da aus der Affäre gezogen hatte. Albert ließ mich wenigstens nicht zappeln. Du wirst es nicht glauben. Als ihn die Frau Gall dann wieder darauf ansprach, hat er ihr zehn Euro in die Hand gedrückt. Das passt doch, oder? Die Gall hat ihn völlig entgeistert angesehen. Die zehn Euro deckten nicht einmal das Frühstück von zwei Tagen, geschweige denn von einem guten halben Jahr. Was ich zunächst gehört habe, ist sie in Tränen ausgebrochen und davongelaufen. Das Geld hat sie nicht angerührt. Rossecker hat den Kopf geschüttelt und sich gedacht, das wäre es dann wohl. Aber da hatte er sich verrechnet. Denn am frühen Nachmittag stand die Gall wieder vor ihm wie ein wütender Rachengel und stellte ihm eine Box mit den ganzen Rechnungen hin.
Das war schon ein starkes Stück Präpotenz und Chauvinismus von Seiten Rosseckers gewesen. Ein Mann, der als Geschäftsführer, ein sattes Gehalt einstecken konnte und zeit seines Lebens nie darüber nachdenken hatte müssen, wie er seine Miete bezahlt, hatte die Stirn, seine Angestellte zu prellen. Wie hat er reagiert? Jetzt war ich wirklich gespannt. Ali nickte. Was glaubst du wohl? Er hat sie rausgejagt aus dem Büro. Schließlich wollte er nicht zahlen, das interessierte ihn gar nicht. Frau Gall musste seiner Meinung nach froh sein, dass er sie angestellt hatte und dafür musste sie sich auch erkenntlich zeigen. Das hat er wortwörtlich gesagt. Heute morgen hatte er die Kündigung von der Gall auf dem Schreibtisch, dazu hat sie ihm wirklich angedroht, das Geld für die Jause einzuklagen, wenn sie es nicht erhalten würde. Rechne mal nach, Vivi! Das sind wirklich fast 950 Euro, ein Monatsgehalt beinahe, um das sie gekommen wäre. Außerdem rief in der Früh eine Mitarbeiterin vom AMS an immerhin wurde Rossecker ja ein Teil des Gehaltes der Gall vom AMS bezahlt. Und die hatte sich sofort dorthin gewandt.
Mein Mann hatte wieder sein zufriedenes Grinsen aufgesetzt. Rossecker hatte ein hochrotes Gesicht, als das lange Telefonat wieder vorbei war. Die Gall hat ihr Geld bekommen. Binnen einer Viertelstunde sie musste aber auch die Firma auf die Stunde verlassen. Schließlich hatte sie sich eines schwierigen Deliktes schuldig gemacht: Majestätsbeleidigung. Ich war nicht wirklich überrascht über die Geschichte. Ich hatte selber als Aktive in Alis Firma eben den Rossecker und seine Dauer- und Immer-Wieder-Freundin Neumeier zur Genüge von ihren negativen Seiten kennen gelernt, vor allem die Neumeier. Rossecker hatte jedenfalls seine Meisterin gefunden und ich verstand den Standpunkt von Frau Gall sehr gut. Trotzdem würde Rossecker kein gutes Haar an ihr lassen, wenn ein möglicher neuer Dienstgeber sich bei ihm über sie erkundigen würde. Im Grunde hatte Frau Gall nur die Wahl zwischen zwei Übeln gehabt fand ich.
Nach einer wahren Begebenheit!
Vivienne
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