Home Kolumnen Die bunte Welt von Vivienne
06.12.2005, © Vivienne
Die Kehrseite der Medaille
Alex Turnherr war an sich eine recht nette Kollegin. Die Halbtagsangestellte, die zwei kleine Kinder im Alter von vier und zwei Jahren hatte, war sehr engagiert in ihrem ob und verlässlich ich selber hätte nie etwas anderes von ihr sagen können. Meine Lieblingskollegin war sie aber in keinem Fall, und das hatte ein paar handfeste Gründe. Alex jammerte viel und oft, wie schlecht es ihr und der Familie ging, vor allem, seit ihr Mann arbeitslos geworden war. Horst, wie er hieß, hatte Pech gehabt, seine Firma hatte Personal abbauen müssen und nun hoffte er darauf, dass die wirtschaftliche Krise des Betriebes wieder unter Kontrolle kam dann durfte er nämlich wieder dort anfangen.
Aber bis dahin war im Hause Turnherr Schmalhans Küchenmeister und Gürtel enger schnallen angesagt. Alex ließ keine Gelegenheit aus, sich darüber aufzuregen, wie teuer das Leben war und welch ein Pech sie und ihr Mann doch immer hatten. Vom unerschwinglichen Benzinpreis über die Preise für die öffentlichen Verkehrsmittel bis hinzu den teuren Kosten für die Wohnung nichts war Alex Turnherr zu gering um nicht ständig darauf hinzuweisen, und darauf, wie schlecht es doch die Familie getroffen hatte. Ja, das Leben kostet mehr Geld als früher, das wussten wir alle, ob man nun Kinder hatte oder nicht. Treibstoff war für alle teuer, sich ein Auto zu leisten ging ins Geld und bisweilen fluchte auch Ali, mein Mann, wenn eine teure Reparatur zu bezahlen war.
Keiner hat es leicht, und einmal versuchte ich meiner Kollegin das klarzumachen. Aber Alex begriff gar nicht, was ich ihr sagen wollte. Ganz im Gegenteil sie verfiel wieder in die alte Litanei und am liebsten hätte ich mir die Ohren zugestopft oder das Radio lauter gedreht. Besonders neidig war das kann man durchaus so dastehen lassen war Alex auf Frau Karrer, die schon über zehn Jahre in der Firma arbeitete. Frau Karrer war Mitte Vierzig und allein stehend. Ich hatte wenig mit ihr zu tun, aber sie war immer höflich und hilfsbereit, wenn man sie brauchte. Und bisweilen plauderte ich gern mit ihr über ihre Urlaube. Frau Karrer war weit herumgekommen, hatte diesen Sommer zwei Wochen in Spanien verbracht und plante über Weihnachten einen Tripp nach Tunesien.
Mir imponierte das, wie mutig Frau Karrer war und sich nicht scheute, allein in fremde Länder und sogar nach Übersee zu fliegen. Sie machte das Beste aus ihrem Singleleben und ich gewann nicht den Eindruck, sie wäre todunglücklich über ihr Leben. Ich habe durchaus Menschen gekannt, die ihr Leben nur über einen Partner definierten und nichts unternehmen wollten, bevor sich der Traumpartner eingestellt hätte. Eine Dummheit, kann ich nur sagen, wer nichts tut, wird auch nichts ändern, aber trotzdem schien mir so, dass Frau Karrer eine leise Melancholie anhing. Sie hatte sich wohl damit abfinden müssen, dass sie keine Beziehung mehr eingehen würde
Wer hätte gedacht, dass eine an sich harmlose Feier in unserer Abteilung so eskalieren würde! Frau Karrer hatte unserem Chef von ihrem Spanienurlaub im Sommer erzählt und ein paar Fotos hergezeigt. Ich merkte aber schnell, dass Alex mehr als nur interessiert zuhört, ihr Gesicht hatte einen gehässigen Ausdruck angenommen: Neid stand in jeder Mimik geschrieben, purer Neid, und als unser Chef einen Anruf am Handy erhielt und kurz in sein Büro ging, trat Alex zu Frau Karrer, die mir eine Episode in Barcelona erzählte. Sie haben ja leicht lachen! fiel uns Alex unvermittelt ins Gespräch. Sie kennen ja keine Geldsorgen, Sie brauchen nicht jeden Groschen zweimal umdrehen und Sie können ein paar Mal im Jahr Urlaub machen. Da fehlt ihnen natürlich jedes Verständnis für Leute, denen es nicht so gut geht, wenn Sie mit Ihren Bildern angeben!
Ich dachte, ich höre nicht richtig. So eine neidige Person und so schäbig in ihrer Argumentation, man musste sich fast schämen, dass man mit so was zusammen arbeiten musste. Frau Karrer neben mir stand aber ruhig auf und legte die Fotos beiseite. Ich habe gehört, dass es Ihnen nicht so gut geht. Das gibt Ihnen aber noch lange kein Recht mich anzufeinden, weil ich es mir leisten kann auf Urlaub zu fahren. Wie andere Leute auch. Der Chef telefonierte noch immer, und Alex holte aus, um ihre ganze Giftspritze auf Frau Karrer zu verspritzen. Sie haben ja keine Ahnung, wie schwer es heutzutage ist, eine Familie mit Kindern großzuziehen Karrer fuhr ihr ins Wort, und selten habe ich ihre Stimme härter klingen gehört. Jetzt passen Sie auf, Frau Turnherr, wenn Sie es im Guten nicht hören wollen. Sie jammern jeden Tag wie schlecht es Ihnen geht, jeder der finanziell ein wenig besser dasteht, wird von Ihnen zum Feindbild erklärt. Dabei haben Sie so viel, und sehen das gar nicht!
Alex hatte ihr mit offenem Mund zugehört. Frau Karrer schwieg kurz, dann ergriff sie wieder das Wort. Glauben Sie nicht, ich hätte nicht auch einmal von einer kleinen Familie geträumt, so wie Sie eine haben? Mit einem liebenden Mann an der Seite, mit dem man durch dick und dünn gehen kann? Frau Karrer leckte sich die trockenen Lippen. Aber wissen Sie, Frau Turnherr, das hat sich nie ergeben, ich bin nie an den Richtigen geraten, ich wurde betrogen und verlassen und am Ende hatte ich weder Mann noch Kind. Obwohl ich mir beides so gewunschen hatte. Sie fixierte Alex, die jetzt etwas eingeschüchtert auf mich wirkte. Was regen Sie sich auf, weil ich ein wenig auf Urlaub fahre? Ich würde gerne mit Ihnen tauschen, sofort, und ich würde es nicht bereuen!
Ich sah Alex an, dass es in ihr kämpfte. Überzeugt wirkte sie nicht auf mich, aber sie wusste auch nicht mehr, was sie noch erwidern konnte. Obwohl sie krampfhaft überlegte, das sah man ihr an, aber dann kam unser Chef wieder aus seinem Büro und die Unterhaltung, die während des Streitgesprächs von Karrer und Turnherr gestockt hatte, kam wieder in Gang. Ich wusste nun, dass ich die Zeichen richtig gedeutet hatte: Frau Karrer hätte gern eine eigene Familie gehabt, und sie litt deswegen. Mehr, als man wohl ahnen konnte. Alex hatte durch den Vorfall alle Sympathien bei mir eingebüßt Leute, die nur ihren eigenen Standpunkt sehen und sich nur bemitleiden, verdienen nicht viel Zuwendung Sie geben sich diese in Übermaß selbst.
Vivienne
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