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03.07.2005, © Vivienne

Ehekrieg

Gegen Mittag machten Ali und ich uns auf den Weg zu Bert und Vicky. Ali hatte Blumen besorgt und ich selber war schon gespannt, wie es Vicky so kurz vor der Geburt gehen würde. Besorgt war ich nicht, zumindest nicht wirklich, und warum sollten uns die beiden denn zum Essen einladen, wenn nicht nach dem „falschen“ Alarm neulich wieder alles in Ordnung gewesen wäre? Albert gegenüber erwähnte ich jedoch von meinen Gedanken nichts, ich wusste ja selber, dass sie lächerlich waren… Ich kannte mich. Wenn ich mich einmal in einen Wust von Gedanken und scheinbar logischen Schlussfolgerungen verrannt hatte, dann waren die Folgen immer dieselben: ich begann mir Sorgen zu machen, wo sie nicht im Geringsten angebracht gewesen wären…

Ich schluckte also schwer, als wir den Lift betraten und ignorierte tunlichst Alis Blick, der mich mit einem Mal etwas skeptisch von der Seite zu mustern begann. Er kannte mich, er spürte meine Nervosität, und fragte sich wohl, was mich so aus dem Konzept gebracht hatte. Aber ich tat ihm nicht den Gefallen irgendetwas zu sagen, ich starrte vor mich hin und war froh, als wir im fünften Stock ausstiegen. Bert öffnete und begrüßte uns herzlich. „Da seid ihr ja! Wunderbare Blumen, das wäre nicht notwendig gewesen. Vicky ist in der Küche…“ Ich startete sofort zu meiner Busenfreundin und während ich die Schritte beschleunigte, fiel mir auf, dass kein Geruch von Essen in der Luft lag. Nein, es roch eigentlich nur nach Putzmittel oder etwas Ähnlichem.

Vicky stand bei der Kaffeemaschine. Sie sah gut aus, hatte eine blühende Gesichtsfarbe und setzte bei meinem Anblick ein Lächeln auf. „Sorry, Vicky. Kein Essen, aber Pizzamann. Welche Pizza wollt ihr?“ Ich starrte Vicky kurz entgeistert an. „Was ist denn passiert?“ Vicky lachte. „Im Grunde gar nichts. Ich habe nur heute Nacht fast nichts geschlafen und da hat Bert darauf bestanden, dass ich mich am Vormittag noch mal hinlege. Dabei war ich gar nicht so müde…“ Bert und Ali kamen mir ins Gespräch vertieft in die Küche nach. Wir machten eine Bestellung und ein halbe Stunde später wurden die Pizzas geliefert. Meine Thunfischpizza war ein Traum, und geraume Zeit waren im Wohnzimmer nur Kaugeräusche zu hören. Bis plötzlich durch das gekippte Fenster lautes Schreien an unsere Ohren drang. Der Bass eines Mannes und der Sopran einer Frau. Die Wortfetzen, die ich hörte, ließen mich aufs Essen vergessen.

„Was ist los? Sind die verrückt geworden?“ Vicky stand auf und schloss das Fenster. „Schlimm, was? Aber es geht schon seit Monaten so. Nur war es noch nie so arg wie die letzten beiden Wochen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Kann man da nichts machen? Das ist doch nicht auszuhalten!“ „Wo denkst du hin!“ Bert konnte meine Meinung nicht teilen. „Damit sie uns dann auch noch anschreien?“ Ich verstand noch immer nicht wirklich, was da eigentlich im Gang war. „Sagt mir mal einer, warum die so verrückt sind?“ Vicky lachte und setze sich wieder vorsichtig. Die Kugel vor ihrem Bauch hatte schon eine enorme Größe angenommen. „Weißt du, Vivi, das Ehepaar lebt in Scheidung. Die Kinder sind groß und arbeiten selber, also sollte es normalerweise kein Problem geben in Bezug auf eine einvernehmliche Trennung. Aber dem ist leider nicht so.“

Selbst durch das geschlossen Fenster war das Streitgespräch des Paares noch recht deutlich zu hören. Wie konnte man nur neben zwei derartigen Streithanseln leben ohne die Nerven zu verlieren? Während ich nachdachte, nahm Vicky den Faden wieder auf. „Sie konnten sich nicht einig werden, das ist der Grund. Über den Unterhalt, wer die Wohnung behält, und dutzende Kleinigkeiten mehr. Er hatte schon länger eine Freundin und deshalb wollte sie ihm eins auswischen. Rache nehmen, du weißt schon…“ Momentan war es draußen ruhig. Offenbar war den beiden der Streitstoff kurz ausgegangen. Ich hatte meine Stirn in Falten gelegt.  Man hätte sich so schön einvernehmlich trennen können… „Das wäre ja nicht auszuhalten, wenn die nachts auch noch weiter streiten würden!“ meinte ich mehr zu mehr selbst, halb in Gedanken. Vicky lachte laut auf, ihr Gesicht drückte großes Vergnügen aus.

„Da irrst du dich aber, was glaubst du, warum ich gestern nicht geschlafen habe? Die zwei stritten bis Mitternacht und als wir endlich glaubten, schlafen zu können, ging der Kampf um vier Uhr früh wieder von vorn los. Ihm muss irgendetwas eingefallen sein, dass er ihr unbedingt noch an den Kopf werfen wollte. Im Grunde ist es wie in einem schlechten Film, leider ist der noch immer nicht aus…“ Vicky hatte zu lachen aufgehört, ihr Gesicht drückte eine gewisse komische Resignation aus. „Und dagegen machen können wir nichts, immerhin haben die beiden angeblich nächsten Montag Gerichtstermin. Aber das Hauptproblem an der Sache ist: keiner der beiden kann ohne weiteres aus der Wohnung ausziehen. Das hieße vor Gericht „böswilliges Verlassen“, und der- oder diejenige würde damit automatisch schuldig geschieden werden und alle Ansprüche verlieren.“

Bert nickte dazu. „So hoffen wir und die anderen Leute im Haus, dass ihnen bald das Geld ausgeht. Damit sie sich einigen müssen.“ Dann widmete er sich wieder der Pizza. Quattro Staggioni. Diese Ruhe müsste man haben! dachte ich mir nicht ohne Neid. Ich würde wohl in einer ähnlichen Situation durchdrehen – oder doch nicht? Die beiden, Vicky und Bert, hatten einfach andere Sorgen. Ihr Kind war jetzt wichtiger als die beiden Streithähne, die sich gegenseitig fertig machen wollten. Und wie gesagt: die Zeit arbeitet für unsere Freunde und die anderen betroffenen Parteien im Haus…

Vivienne

 

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