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07.08.2005, © Vivienne

G’schichten von der Frau Hofrat

Auf unserer Welt bleibt einem selten Unrecht erspart. Selbst in unserem ach so zivilisierten Bereich zeigt sich immer wieder, welche Abgründe sich im Verborgenen auftun. Wobei es sich dabei verhält wie mit der Spitze des Eisberges: Was aus dem Wasser heraus ragt, ist nur der kleinste Teil, unter der Wasseroberfläche befindet sich das, was einem Gänsehaut macht, wenn man einmal einen Blick darauf werfen kann. Ich bin in  den vergangenen Jahren einige Male in die Situation gekommen, derartige Eisberge zu entdecken, meist in äußerlich sehr löblichen Gegebenheiten und bin dankbar, aus den resultierenden Situationen letztlich relativ unbeschadet wieder hervorgegangen zu sein. Dankbar deshalb, weil ich voll Idealismus glaubte, da etwas ändern zu müssen, was mehrfach die Konfrontation mit dem Kehricht der menschlichen Seele zur Folge hatte…  

Mein Fazit daraus ist: man sollte nichts tun, was einem gut gemeint nur Schwierigkeiten einbringt. Das Leben zeigt, dass jene Subjekte, die glauben, über jeder Regel und jeder Ordnung zu stehen, früher oder später das Gegenteil eingebläut bekommen – Der Krug geht solange zum Brunnen bis er bricht! Auch ohne eigenes Zutun. Unser Dasein folgt nämlich eigenen Gesetzen, denen sich jeder einmal stellen muss. – Ich kann  mich noch erinnern, als ich damals mit Ali zusammenkam, scheute ich anfangs die Konfrontation mit seiner Mutter sehr. Ich fürchtete ehrlich gesagt, als Frau, die einige Jahre älter war als deren Sohn, einen schweren Stand zu haben. Ohne das genau begründen zu können. Wider Erwarten, gab mir meine Schweigermutter aber sehr bald zu verstehen, das sie kein Problem mit meinem Alter hatte. Und es stellte sich auch heraus, dass sie mit einigen Ansichten von mir auf einer Linie stand. Anlässlich ihrer Pensionierung, die wir vor einiger Zeit auch privat feierten, griff sie ins Nähkästchen und weihte mich und uns in die Umtriebe der „Frau Hofrat“ ein, die sich auch ihrer selbst zu sicher war…

„… ich habe spät wieder in der alten Firma zu arbeiten begonnen…“ Irmgard, Alis Mutter nippte an ihrem Achtel Weißwein. „Na ja, und meine neue Chefin stellte mir am ersten Arbeitstag die Leute in der Abteilung vor. Und eine davon kannte ich von früher, Bettina Neissl, die schon vor fünfzehn Jahren als die „Hofrätin“ bei uns bekannt war. Eine unglaublich falsche, verlogene Person, verderbt bis ins Mark und eine Speichelleckerin, wie sie im Buche steht. Nach oben buckeln, nach unten treten. Ihr kennt das ja. Ich habe mir damals erlaubt…“ Irmgard sah versonnen in die Runde. „…eine etwas giftige Bemerkung über Frau Neissl zu machen. Worauf mich Frau Krautgartner, unsere Chefin sehr vorwurfsvoll ansah. Sie selber hatte noch nicht so lange ihre Position inne und verstand sich mit der Neissl sehr gut. Und da wusste ich, ich muss vorsichtig sein. Frau Hofrat hatte schon wieder ihre Netze ausgeworfen, und Frau Krautgartner beredt und mit Schmeicheleien von sich überzeugt.“

Wir schwiegen. Solche Leute gibt es nicht wenig, null Charakter und null Anstand, und sich mit diesen Leuten anzulegen, kann  – beruflich betrachtet – tödlich sein. Sie haben ihre Leute überall. Irmgard dachte kurz nach und fuhr dann fort. „Was sich in den kommenden Monaten während der Arbeit abspielte, spottete dann jeder Beschreibung. Ihre Töchter und Freunde tauchten auf, es wurde Kaffee getrunken, Kuchen gegessen und getratscht. Bisweilen auch gestritten, etwa, wenn die jüngere gestrandete Tochter, die auf Druck der Mutter eine reiche Partei machen hätte sollen und im halbseidnen Gewerbe hängen blieb, wieder Geld wollte. Frau Neissl war gewissenlos, und dem war auch ihre Tochter zum Opfer gefallen. Gearbeitet hat sich jedenfalls so gut wie nie etwas, wenn sie „Besuch“ hatte. Natürlich habe ich mich immer wieder gefragt, ob ich dem Treiben einfach zusehen kann, aber ich habe schon viel im Leben gesehen und mir kam dann immer wieder der Blick der Frau Krautgartner in Erinnerung. Nein, es wäre dumm gewesen etwas zu sagen…“

Meine Schwiegermutter sah mich an. „Das Kuriose war ja, dass Frau Krautgartner nicht im Mindesten ahnte, was sich hinter ihrem Rücken abspielte. Und noch viel weniger, wie lästerlich Frau Neissl, die die Chefin immer gekonnte beschleimte, diese selber heruntermachte. „Seht euch nur ihren Hintern in der engen Hose an! Und das dumme Mensch hat doch keine Ahnung! Der fehlt doch jede Lebenserfahrung!“ Lebenserfahrung, die die Frau Hofrat gepachtet zu haben glaubte, obwohl ihre jüngere Tochter ihretwegen gescheitert war, aber in der Firma hatte die Frau Neissl noch alle Fäden in der Hand. Bisweilen hätte man kotzen können, wenn sie vor den Herren der Chefetage devot ihre Aufwartung machte und sie nachher völlig durch den Dreck zog. Frau Neissl hatte ihre Beziehungen und die nutzte sie weidlich aus und all ihr Wissen über die wichtigen Leute in der Firma wusste sie gekonnt einzusetzen.“

„Aber so ist es doch nicht geblieben, oder?“ warf ich ein. „Irgendwann muss doch auch eure Chefin etwas bemerkt haben. Oder lief die mit Scheuklappen durch die Gegend?“ Irmgard schmunzelte. „Natürlich nicht. Aber es hatte sich wieder einmal bewährt, dass ich den Kaffeestunden der Frau Neissl, die sie anderswo ihren Job gekostet hätten, und zwar fristlos, tatenlos zugesehen hatte. Frau Neissl lieferte sich selbst ans Messer, weil sie nicht erkannte, dass sie zu weit ging. Nach einer Geburtstagsfeier hatte dann Frau Krautgartner erstmals mitbekommen, dass abends firmenfremde Leute zum Tratschen kamen, um es auf den Punkt zu bringen. Damals sah sie sehr nachdenklich aus, um nicht zu sagen, wie vom Donner gerührt. Und wie der Zufall es wollte: Wenig später musste sich Frau Neissl in einer anderen Abteilung wieder sehr heftig über unsere Chefin ausgelassen haben. Und jemand von dort, ein guter Freund der Frau Krautgartner, hat die dann aufgeklärt.“

Alle Blicke waren auf Irmgard gerichtet. Die stellte das Weinglas auf den Tisch und ließ sich die Worte auf der Zunge zergehen. „Ich kann mich noch gut erinnern. Völlig unerwartet kam eines Tages Frau Krautgartner zu Frau Neissls Schreibtisch und warf ihr die Kündigung hin. „Unterschreib, und dann kannst du gleich gehen. Du bist hier nicht mehr erwünscht!“ Die Neissl zuckte zusammen wie von einer Tarantel gestochen. Sie hatte nur noch zwei oder drei Jahre bis zur Pensionierung, aber davon abgesehen: mit einer Majestätsbeleidigung dieses Ausmaßes hatte sie nie gerechnet. Sie verließ die Firma in der Pose tiefster Verletztheit und schaffte es sogar, dass ein paar Leute sie bedauerten oder mit ihr sympathisierten. Dummköpfe, die es nicht besser wussten, aber die Macht der Frau Neissl in der Firma war gebrochen! Trinken wir darauf. Prost!“

Vivienne

 

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