Ich seufzte laut, denn ich fühlte mich in dieser lauten Runde schon lange nicht mehr wohl. Johanna Lichtenberger, unsere Nachbarin aus dem Wohnblock, hatte letztes Jahr im August zu einer Grillparty im Hof gebeten. Lichtenberger war eine dralle, vollbusige Person, die ständig ohne Büstenhalter herumlief und zahllose Liebschaften pflegte. Letzteres allerdings eher unfreiwillig – die Männer, liefen ihr alle nach relativ kurzer Zeit wieder davon. Mit ihren Liebeskünsten allein dürfte sie doch nicht in der Lage gewesen sein, ihre jeweiligen Partner zu halten oder zumindest einmal einen für längere Zeit…
Mir war schon klar, dass die Lichtenberger im Grunde eine arme Person und ständig auf der Suche nach der großen Liebe war und dabei doch immer wahre, aufrichtige Gefühle mit Sex verwechselte. Sie war nicht imstande zu begreifen, dass, wenn es zwischen zwei Menschen im Bett klappt, noch lange nicht die günstigen Voraussetzungen für eine anhaltende Beziehung gegeben sind. Durch dieses Dilemma tappte die Frau immer wieder in die Falle, aber an das wollte ich heute nicht denken, obwohl Frau Lichtenberger schon wieder sehr viel getrunken hatte und mit dem neuen Mann an ihrer Seite herzte und scherzte. Heute trug sie ein gelbes, trägerloses Top, das ihre enormen Brüste und ihre üppige Figur kaum bändigen konnte und eine dunkle Caprihose – beides nicht unbedingt figurfreundlich, verriet es doch auch, dass Frau Lichtenberger einmal mehr keine Unterwäsche trug…
Ali lachte verstohlen, als ich ihn heimlich auf diesen Umstand aufmerksam machte. „Vergiss es!“ meinte er schließlich. „Natürlich sieht es unmöglich aus, aber wenn es ihrem Mann gefällt oder besser gesagt: wenn es ihn nicht stört? Mir tut es nicht weh und dir doch auch nicht, oder?“ Mein Mann hatte ja Recht, warum regte ich mich überhaupt auf? Wenn ich ehrlich war – darum ging es mir doch gar nicht vorrangig. Nicht wenige Menschen verzichten im Sommer auf Unterwäsche und normalerweise kostet mich das keinen müden Grinser. Jeder wie er mag… Aber ich mochte die affektierte Art der Lichtenberger nicht und war nur auf Drängen Alis auf das Grillfest gekommen – zunächst hatte ich mich nämlich mit Händen und Füßen gewehrt. Aber Ali hatte mir erklärt, dass unsere Nachbarin aus dem vierten Stock durchaus sauer sein könnte, wenn wir sie versetzten…
Ich zündete mir eine Zigarette an, als ich Frau Lichtenberger aufgeregt an mir vorbeilaufen sah. Warum war die Frau so hektisch? Minuten später erklärte mir mein Mann, dass Bier und Mineralwasser ausgegangen waren. Er würde mit Charly Holzinger, dem Neuen von Frau Lichtenberger, etwas in einer Tankstelle organisieren. Ali küsste mich noch, bevor er mit Holzinger in seinen eigenen Wagen kletterte und aus dem Hof fuhr. Während ich den beiden nachsah, wurde mir bewusst, dass ich auch Holzinger nicht mochte. Holzinger gab sich recht umgänglich, aber es störte mich etwas an ihm, auch wenn ich es nicht erklären hätte können. Vermutlich redete ich mir das nur ein, weil ich auch die Lichtenberger nicht leiden konnte. Ich begann eine Plauderei mit unseren unmittelbaren Wohnungsnachbarn und fragte mich insgeheim, wie lange Ali wohl noch hier bleiben wollte…
Der liebe Gott musste ein Einsehen mit mir gehabt haben. Kurz nach dem Ali und Holzinger zurückgekommen waren, nahm mich Ali bei der Hand und wir flohen in einen Eissalon. Mir war nicht ganz klar, warum er es plötzlich so eilig hatte, aber als wir unseren Eiskaffee schlürften, packte Ali nach und nach aus. „Weißt du, was mir aufgefallen, ist, Vivi?“ Mir rutschte der Strohhalm aus dem Mund. „Wie bitte?“ Im ersten Moment begriff ich gar nichts, dann wiederholte mein Mann die Frage. „Weißt du, was mir aufgefallen ist, vorhin bei Charly Holzinger?“ Ich zuckte wortlos die Achseln. Ali starrte ein wenig an mir vorbei und antwortet mit einer Gegenfrage. „Was würdest du wohl sagen, wenn ich in meiner Geldbörse ein Foto einer anderen Frau offen zeigen würde? Sagen wir mal Babsi, zum Beispiel?“
Ich verstand nicht, worauf Ali hinauswollte, vielleicht hatte ich unter dem Sonnenschirm auch ein wenig geträumt, aber mein Mann grinste mich liebevoll an und klärte mich schließlich auf. „Holzinger hat ein Foto von einer anderen Frau in seiner Geldbörse. Ich habe es bemerkt, als er zahlte, und das erstaunt mich doch etwas. Auch wenn er erst ein paar Wochen mit der Lichtenberger beisammen ist.“ Ich ließ mir Alis Beobachtung durch den Kopf gehen. Mich würde so etwas ehrlich gesagt gewaltig stören, ich bin ein eifersüchtiger Mensch, und froh, dass Ali mir nie so eine Überraschung bereitet hat. Aber ich kannte auch Frau Lichtenberger, diese „Männerkennerin“, die so genau zu wissen glaubte, was ein Mann will und braucht. Ich hatte sie sogar in dem Zusammenhang einmal etwas äußern hören, vor längerer Zeit. „Das ist doch völlig okay. Ist doch nur ein Bild, oder?“
Nein, das fand ich nicht. Kein Mensch muss seine oder seinen Ex hassen, wenn er eine neue Beziehung beginnt. Aber das Foto von der oder dem Verflossenen hat dann im Geldbörsel eigentlich nichts mehr zu suchen… Schon auch aus Achtung vor der neuen Liebe. Vielleicht bin ich ja hoffnungslos altmodisch und habe keine Ahnung, von dem was auf der Welt so geschieht, aber im Herbst überraschte mich mein Mann mit einer Nachricht und doch auch wieder nicht. „Vivi, die Lichtenberger ist wieder solo, angeblich ist ihr Freund zu seiner Ex zurückgekehrt…!“ Na so was aber auch, wer hätte das gedacht!
Nach einer wahren Begebenheit
© Vivienne